Entscheidungsstichwort (Thema)
Zivilprozesskosten als außergewöhnliche Belastungen
Leitsatz (redaktionell)
Aufwendungen für Prozesse, die das Umgangsrecht mit dem Kind, die Höhe des Trennungsunterhalts und die Hausratverteilung zum Gegenstand haben, sind als agB in Abzug zu bringen.
Normenkette
EStG § 33
Streitjahr(e)
2010
Tatbestand
Streitig ist die Frage, ob Prozesskosten als außergewöhnliche Belastungen abgezogen werden können.
Im Zusammenhang mit ihrem noch nicht abgeschlossenen Scheidungsverfahren führte die Klägerin mit ihrem getrennt lebenden Ehemann verschiedene Prozesse. Unter anderem ging es um das Umgangsrecht mit dem gemeinsamen Kind, den Trennungsunterhalt, den Zugewinnausgleich und die Aufteilung des Hausrats. Die mit der Prozessführung beauftragten Rechtsanwälte stellten der Klägerin folgende Beträge in Rechnung:
Rechnungsdatum |
Rechnungsbetrag |
Gegenstand des Prozesses |
13.10.2010 |
238,- € |
Hausrat |
14.10.2010 |
1.435,26 € |
Trennungsunterhalt |
14.10.2010 |
2.207,09 € |
Scheidung |
16.12.2010 |
566,14 € |
Umgangsrecht Kind |
Die Klägerin hat alle vier Rechnungen am 17. Dezember 2010 bezahlt. Über eine Rechtsschutzversicherung verfügt die Klägerin nicht. In ihrer Einkommensteuererklärung machte die Klägerin zunächst Krankheitskosten in Höhe von 199,- € und Prozesskosten in Höhe von 6.569,- € als außergewöhnliche Belastung geltend. Die Prozesskosten umfassten zusätzlich die Kosten für das Verfahren den Zugewinnausgleich betreffend in Höhe von 2.122,60 €, die die Rechtsanwälte allerdings erst im 2011 abgerechnet haben.
Der Beklagte berücksichtigte in dem Einkommensteuerbescheid 2010 vom 16. August 2012 lediglich außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 2.406,- €, von denen er die zumutbare Belastung in Höhe von 795,- € in Abzug brachte. Damit wirkten sich 1.611,- € steuermindernd aus. Der dagegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klägerin beantragte mit ihrer Klage zunächst, zusätzliche außergewöhnliche Belastungen in Höhe von 4.362,- € zu berücksichtigen. Dies hat sie inzwischen insoweit korrigiert, als sie nicht mehr den Abzug der Rechnung für den Zugewinnausgleich begehrt.
Die Klägerin macht sich die Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 12. Mai 2011 VI R 42/10 zu Eigen. Die Prozesse seien auch nicht aussichtslos oder mutwillig gewesen. Dies lasse sich den Protokollen des Amtsgerichts Göttingen entnehmen. Daraus ergebe sich auch, dass der Ehemann mit Erfolg die Verzögerung des Scheidungsverfahrens betrieben habe. Der Ehemann habe beim Familiengericht beantragt, dass die verschiedenen Scheidungsfolgeverfahren mit dem Scheidungsverfahren selbst verbunden worden seien. Damit seien die einzelnen Verfahren auch gar nicht trennbar. Ihre Ansprüche im Rahmen der elterlichen Sorge, des Unterhalts und des Zugewinnausgleichs habe die Klägerin ohne anwaltliche Hilfe nicht durchsetzen könne.
Die Klägerin beantragt,
unter Abänderung des Einkommensteuerbescheides 2010 vom 27. März 2012 und der Einspruchsentscheidung vom 17. August 2012 die Einkommensteuer 2010 auf 2.813,- € herabzusetzen.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte verweist auf einen Nichtanwendungserlass zur Entscheidung des BFH vom 12. Mai 2011. Die BFH-Rechtsprechung sei nicht überzeugend, weil der Finanzverwaltung für eine rechtsichere und zuverlässige Beurteilung der Erfolgsaussichten von Zivilprozessen keine ausreichenden Erkenntnismittel zur Verfügung stehen würden. Eine Berücksichtigung der Zivilprozesskosten komme als außergewöhnliche Belastung nur dann in Betracht, wenn der Steuerpflichtige Gefahr laufe, seine Existenzgrundlage zu verlieren oder seine lebensnotwendigen Bedürfnisse in dem üblichen Rahmen nicht befriedigen könne. Dies sei im Streitfall nicht gegeben.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Erwachsen einem Steuerpflichtigen zwangsläufig größere Aufwendungen als der überwiegenden Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse und gleichen Familienstandes (außergewöhnliche Belastung), so wird auf Antrag die Einkommensteuer in bestimmtem Umfang ermäßigt (§ 33 Abs. 1 EStG).
Die Aufwendungen der Klägerin für die Prozesse, die das Umgangsrecht mit dem Kind, die Höhe des Trennungsunterhalts und die Hausratsverteilung zum Gegenstand haben, sind als außergewöhnliche Belastung in diesem Sinne in Abzug zu bringen.
Zur Frage der Abzugsfähigkeit von Prozesskosten hat der BFH mit Urteil vom 12. Mai 2011 VI R 42/10, BStBl. II2011, 1015 entschieden:
„Bei den Kosten eines Zivilprozesses, die vorliegend von den Beteiligten zutreffend nicht als Werbungskosten der Klägerin beurteilt worden sind, spricht nach bisheriger ständiger Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) eine Vermutung gegen die Zwangsläufigkeit (BFH-Urteile vom 9. Mai 1996 III R 224/94, BFHE 181, 12, BStBl II 1996, 596, m.w.N.; vom 4. Dezember 2001 III R 31/00, BFHE 198, 94, BStBl II 2002, 382; vom 18. März 2004 III R 24/03, BFHE 206, 16, BStBl II 2004, 726, und vom 27. August 2008 III R 50/06, BFH/NV 2009, 553). Derartige ...