vorläufig nicht rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG fristgebunden?
Leitsatz (redaktionell)
- Es spricht vieles dafür, dass der Antrag auf Günstigerprüfung gemäß § 32d Abs. 6 EStG nicht fristgebunden ist. Das folgt aus dem Gesetzeswortlaut sowie aus der BT-Drs. 17/5568, Frage Nr. 19.
- Letztlich kann die Frage im Streitfall offen bleiben, weil eine Änderung im hier zu entscheidenden Fall selbst bei einem fristgebundenen Antragsrecht nicht in Betracht kommt, weil grobes Verschulden am nachträglichen Bekanntwerden neuer Tatsachen zu bejahen ist.
Normenkette
AO § 173 Abs. 1 Nr. 2; EStG § 32d Abs. 6
Streitjahr(e)
2010
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob nach Bestandskraft des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2010 ein Antrag auf Günstigerprüfung im Sinne des § 32 Abs. 6 Einkommensteuergesetz (EStG) gestellt werden kann und somit nachträglich die einbehaltene Abgeltungssteuer zuzüglich Solidaritätszuschlag steuermindernd zu berücksichtigen ist.
Die Klägerin erzielte im Streitjahr 2010 als Mini-Jobberin Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von 16.765 €. Daneben erhielt sie nach ihrem verstorbenen Ehemann eine Leibrente in Höhe von 2.432 €. In der am 27. Januar 2011 beim Finanzamt eingegangenen Einkommensteuererklärung gab die Klägerin Einkünfte aus Kapitalvermögen nicht an. Die Einkommensteuererklärung wurde gefertigt von der Vereinigten X. Aufgrund der Einkommensteuererklärung ermittelte das Finanzamt ein zu versteuerndes Einkommen in Höhe von 7.849 € und daraus resultierend eine Einkommensteuer von 0,00 €. Der Einkommensteuerbescheid vom 3. März 2011 wurde bestandskräftig.
Mit Schreiben vom 12. Mai 2011, Eingang beim Finanzamt am 25. Mai 2011, beantragte die Klägerin unter Vorlage einer Steuerbescheinigung der K über die Kapitalerträge sowie anrechenbare Abzugsbeträge die Verrechnung der Abzugsbeträge mit der persönlichen Einkommensteuer. Die Bescheinigung der K (Bl. 17 der Einkommensteuerheftung) trägt das Datum vom 20. August 2010. Die Bescheinigung ist ausdrücklich als Steuerbescheinigung bezeichnet. Bestätigt wurde darin, dass Kapitalerträge im Sinne des § 20 Abs. 1 Nr. 6 Satz 2 EStG in Höhe von 1.523,72 € im Jahr 2010 ausgezahlt wurden. Die Kapitalertragssteuer wurde in Höhe von 380,93 € ausgewiesen, der Solidaritätszuschlag mit 20,95 €. In der Steuerbescheinigung findet sich weiter der Hinweis, dass die Höhe des in Anspruch genommenen Sparerpauschbetrages 0,00 € beträgt.
Der Beklagte lehnte die Änderung des bestandskräftigen Einkommensteuerbescheides ab. Bei den Wahlrechten nach § 32d Abs. 4 und Abs. 6 EStG seien die allgemeinen Grundsätze über steuerliche Wahlrechte zu beachten. Eine Anrechnung von Abgeltungssteuern sei somit nach Rechtskraft nicht möglich, wenn zuvor kein Antrag auf Günstigerprüfung bzw. auf Überprüfung des Steuereinbehalts für bestimmte Kapitalerträge gestellt worden sei.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruchsverfahren die Klage.
Die Klägerin ist weiterhin der Rechtsansicht, dass der Einkommensteuerbescheid 2010 nach § 173 Abs. 1 Nr. 1 Abgabenordnung (AO) dergestalt zu ändern sei, dass bisher nicht erklärte Kapitalerträge im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 EStG in die Veranlagung einbezogen werden müssen, mit der Folge, dass sich die festzusetzenden Steuern erhöhen und die von den Kapitalerträgen einbehaltenen Abzugssteuern (Abgeltungssteuer) anzurechnen seien. Die alleinstehende Klägerin sei in steuerlichen Dingen unerfahren. Sie erziele Versorgungsbezüge, eine kleine Rente sowie Einnahmen aus einem Minijob. Kapitalerträge aus den üblichen Spar- oder Wertpapiereinlagen habe sie im Jahr 2010 nicht erzielt. Allerdings habe sie per 1. September 2010 eine vor 2005 abgeschlossene Lebensversicherung innerhalb der Sperrfrist von 12 Jahren gekündigt. Es seien deshalb nach § 43 Abs. 1 EStG Kapitalertragssteuern auf die Auszahlung rechnungsmäßiger und außerrechnungsmäßiger Zinsen aus Sparanteilen einzubehalten gewesen. Die Klägerin habe nicht erkannt, dass die von der Versicherungsleistung einbehaltenen Abzugssteuern im Rahmen einer Günstigerprüfung nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG zu deren teilweisen Erstattung hätte führen können. Daher habe sie die Steuerbescheinigung der K ihrem Berater zunächst auch nicht vorgelegt. Mangels irgendeines Hinweises auf einbehaltene Kapitalertragssteuern habe die für die Klägerin zuständige Beratungsstellenleiterin der Einkommensteuererklärung 2010 keine Anlage KAP beigefügt. Erst nachdem die Klägerin im Mai 2011 ihrem Berater die Steuerbescheinigung der K für 2010 doch noch zur Kenntnis gegeben habe, habe die Beratungsstellenleiterin sodann eine nachträgliche Günstigerprüfung beim Beklagten beantragt.
Die Finanzrechtsprechung habe sich bis heute noch nicht mit der Frage beschäftigt, ob ein Antrag nach § 32d Abs. 6 Satz 1 EStG fristgebunden sei oder nicht. Im Gegensatz zu § 32d Abs. 4 EStG enthalte der Text des § 32d...