rechtskräftig
Entscheidungsstichwort (Thema)
Auswirkungen der VO – EWG – 1408/71 und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) auf deutschen Kindergeldanspruch
Leitsatz (redaktionell)
1. Sog. Ortskräfte sind alle bei einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung beschäftigten Mitarbeiter, die bereits vor Eintritt in die Vertretung am Ort wohnhaft waren oder aber im Inland – am Ort – unter Vertrag genommen wurden.
2. Anders als Mitarbeiter, die vom ausländischen Staat in die Vertretung entsandt werden, gelten Ortskräfte nach allgemeiner völkerrechtlicher Praxis als am Ort ansässig.
3. Der Status einer sog. Ortskraft ist nicht mit derjenigen eines Berufs-Konsularbeamten zu vergleichen.
4. Zu den Auswirkungen der VO – EWG – 1408/81 und des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen (WÜK) auf den Kindergeldanspruch ausländischer Staatsbürger gem. § 62 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Normenkette
EStG § 62 Abs. 1 Nr. 1, § 70 Abs. 2; WÜK Art. 1 Abs. 3, Art. 49, 71
Streitjahr(e)
1995
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Frage, ob die Klägerin als Ehefrau eines ausländischen Konsulatsmitarbeiters in Deutschland einen Kindergeldanspruch hat.
Die Klägerin ist Staatsangehörige des EG-Landes S . Ihr Ehemann – ebenfalls Staatsangehöriger des Landes S – lebt seit 1966 in der norddeutschen Stadt H. Im Jahre 1968 trat er als kaufmännischer Angestellter in den Dienst des Generalkonsulats des Landes S in H. Nach ihrer Heirat im Jahre 1974 reiste auch die Klägerin nach Deutschland ein und wohnt seither mit ihrem Mann in H. Aus der Ehe sind zwei Kinder hervorgegangen, der am 16. September 1977 geborene Sohn R und der am 25. Februar 1982 geborene Sohn M. Beide Kinder sind in H aufgewachsen und dort zur Schule gegangen. R hat nach der Schule ein Studium aufgenommen, das auch heute noch nicht beendet ist. Über eigenes Einkommen verfügt er nicht. M hat in der Zeit vom 1. August 1998 bis 14. Juni 2001 eine Berufsausbildung als Reiseverkehrskaufmann absolviert. Vom 15. – 30. Juni 2001 war er arbeitslos und hat Arbeitslosengeld bezogen. Im Monat Juli 2001 stand er in einem Beschäftigungsverhältnis, in der Zeit vom 1. August 2001 bis 10. März 2002 war er wieder arbeitslos. Wegen der Höhe der Ausbildungsvergütung und des Arbeitslosengeldes für M wird Bezug genommen auf die Lohnsteuerkarten für 2000 und 2001 (Bl. 94 und 95 der Gerichtsakten) sowie auf die Leistungsnachweise des Arbeitsamtes H vom 16. Oktober 2001 und 11. März 2002 (Bl. 96 und 97 der Gerichtsakten).
Zum 1. Januar 1987 entschied sich der Ehemann der Klägerin gem. Art. 16 Abs. 2 der EG Verordnung Nr. 1408/71 des Rates über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (VO (EWG) 1408/71) für die Anwendung der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit seines Heimatlandes S. Wenig später, nämlich am 3. Februar 1987, beantragte die Klägerin beim Arbeitsamt H Kindergeld für ihre beiden Söhne. Der Beklagte gab dem Antrag zunächst statt und zahlte das Kindergeld an die Klägerin aus.
Mit Bescheid vom 30. November 1988 hob der Beklagte ein erstes Mal die Kindergeldfestsetzung auf, und zwar rückwirkend ab März 1987. Der Aufhebungsbescheid hatte keinen Bestand. Im Zuge der dagegen erhobenen Klage 20 Kg 45/89 vor dem Sozialgericht H hob der Beklagte den Bescheid wieder auf.
Mit weiterem Bescheid vom 1. April 1992 hob der Beklagte die Kindergeldfestsetzung erneut auf, und zwar zunächst mit Wirkung ab November 1988. Durch Änderungsbescheide vom 4. Oktober 1993 und 24. Januar 1995 erkannte er einen Teil des Kindergeldanspruchs an und beschränkte die Aufhebung auf die Zeit ab Februar 1995. Gegen die Aufhebung wandte sich die Klägerin mit einer Klage vor den Sozialgerichten. Das Sozialgericht H hob die Aufhebungsbescheide mit Urteil vom 30. Juni 1994 auf. Im Zuge des dagegen vom Beklagten angestrengten Berufungsverfahrens regte er nach gesetzlicher Neuregelung und Umstellung des Kindergeldes als Steuervergütung die Neubeantragung des Kindergeldes an. Die Klägerin kam der Anregung nach und beantragte am 11. Juni 1996 erneut Kindergeld für ihre beiden Söhne. Der Beklagte lehnte auch diesen Antrag ab und setzte durch Bescheid vom 17. Juli 1996 das Kindergeld ab dem 1. Januar 1996 auf 0 DM fest. Der dagegen eingelegte Widerspruch führte zur Anschlussberufung im Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht. Während des Berufungsverfahrens hat das Landessozialgericht dem Europäischen Gerichtshof ein Vorabentscheidungsersuchen zur Auslegung des Art. 16 Abs. 2 der VO (EWG) 1408/71 vorgelegt. Durch Urteil vom 3. Juni 1999 hat der Europäische Gerichtshof erkannt, daß „.... die Entscheidung eines Mitglieds des Geschäftspersonals einer konsularischen Dienststelle gem. Art. 16 Abs. 2 S 1 der VO (EWG) 1408/71 nicht bewirkt, daß sein Ehegatte keinen Anspruch mehr auf eine Vergünstigung der sozialen Sicherheit hat, die ihm die Rechtsvorschriften des Mitgliedsstaates...