Entscheidungsstichwort (Thema)
Kindergeldanspruch auch bei vermögendem behinderten Kind, das das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat
Leitsatz (redaktionell)
- Kindesvermögen steht dem Kindergeldanspruch nicht entgegen, wenn das Kind das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Das folgt aus Art. 3 GG.
- § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG macht die Berücksichtigung von Kindern, die noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben, neben weiteren Voraussetzungen lediglich davon abhängig, dass das Kind keine Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhalts oder Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, erzielt hat, die die Betragsgrenzen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG übersteigen.
- Der Kindergeldanspruch für nichtbehinderte Kinder, die das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, entsteht unbeschadet der Höhe etwaigen Kindesvermögens.
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
Nachgehend
Tatbestand
Streitig ist, ob der Beklagte zu Recht die Festsetzung des Kindergeldes für die am 24.06.1980 geborene Tochter des Klägers mit Ablauf des Monats Juni 1998 aufgehoben und das Kindergeld für dieses Kind ab Juli 1998 auf 0 DM festgesetzt hat.
Mit Bescheid vom 7. September 1998 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass die Festsetzung des Kindergeldes für seine Tochter mit Ablauf des Monats Juni 1998 aufgehoben und das Kindergeld ab Juli 1998 auf 0 DM festgesetzt werde. Die Berücksichtigung seiner Tochter als behindertes Kind über das 18. Lebensjahr hinaus sei ausgeschlossen, weil das Kind aufgrund seines Sparguthabens von 130.000 DM in der Lage sei, seinen Lebensunterhalt zunächst durch Verwertung dieses Vermögens zu bestreiten.
Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die vorliegende Klage. Der Kläger trägt vor, dass seine Tochter aufgrund eines ärztlichen Kunstfehlers seit ihrer Geburt schwerstbehindert – völlig bewegungsunfähig, inkontinent, blind etc. – sei, die Betreuung in seinem Haushalt erfolge und zwei Vollzeit-Pflegekräfte tätig seien. Der kommunale Haftpflichtversicherer des für die Behinderung verantwortlichen Krankenhauses habe Schadensersatz in Höhe von insgesamt 225.000 DM geleistet – 100.000 DM Schmerzensgeld und 125.000 DM materiellen Schadensersatz. Daraus resultiere das heutige Sparguthaben. Sofern materieller Schadensersatz geleistet worden sei, seien die Beträge dementsprechend für seine Tochter aufgewandt worden. Die noch vorhandenen 130.000 DM stellten letztlich die Schmerzensgeldzahlung zuzüglich Verzinsung dar. Entgegen der Auffassung der Beklagten müsste dieses Sparguthaben nicht als verwertbares Vermögen in Ansatz kommen.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 7. September 1998 und die Einspruchsentscheidung vom 20. November 1998 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf ihre Einspruchsentscheidung und weist lediglich ergänzend darauf hin, dass das Schmerzensgeld im Jahre des Zuflusses nicht als Bezüge im Sinne des EStG angesehen werde. In den Folgejahren wachse es jedoch dem Vermögen zu.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird ergänzend auf die im Einspruchs- und Klageverfahren gewechselten Schriftsätze sowie die Kindergeldakte verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Nach § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG wird ein Kind, dass das 18. Lebensjahr vollendet hat, berücksichtigt, wenn es wegen körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung außerstande ist, sich selbst zu unterhalten. Das ist der Fall, wenn die Behinderung einer Erwerbstätigkeit entgegen steht und das Kind über keine anderen Einkünfte und Bezüge verfügt und deshalb seinen Lebensunterhalt sich selbst bestreiten kann (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteil vom 15. Oktober 1999 VI R 183/97, BStBl II 2000, 72 m.w.N.).
Diese Voraussetzungen sind im Streitfall gegeben. Die am 24.06.1980 geborene Tochter des Klägers ist seit ihrer Geburt aufgrund ihrer Behinderung – ausweislich des vorliegenden Schwerbehindertenausweises mit den Merkzeichen G aG H RF und Bl beträgt der Grad ihrer Behinderung 100 % - unstreitig nicht in der Lage, eine Erwerbstätigkeit auszuüben. Unstreitig verfügt sie auch nicht über andere Einkünfte und Bezüge, aus denen sie ihren Lebensunterhalt bestreiten könnte.
Zu Unrecht wendet die Beklagte ein, dass das Kind seinen Lebensunterhalt aufgrund seines Sparguthabens von 130.000 DM zunächst durch Verwertung dieses Vermögens bestreiten könne.
Entgegen der Finanzverwaltung in R 180 d Abs. 3 Satz 5 ESt-Handbuch und der Dienstanweisung zur Durchführung des Familienleistungsausgleiches in Bundessteuerblatt I 2000, 669 – DA 63.3.6.3.2 Abs. 6 – vertritt der erkennende Senat die Auffassung, dass das Kindesvermögen – hier das Sparguthaben von 130.203,37 DM – dem Kindergeldanspruch jedenfalls dann nicht entgegensteht, wenn das Kind – wie im Streitfall – das 27. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Das ergibt sich aus dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Grundgesetz.
Gemäß § 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 EStG in der a...