Leitsatz (amtlich)
Hat das Insolvenzgericht am alten Sitz der Insolvenzschuldnerin vor einer Verweisung des Verfahrens Anhaltspunkte dafür, dass diese an ihrem gerade durch Verlegung neu begründeten Sitz keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat, hat es alle Umstände von Amts wegen zu ermitteln, die seine örtliche Zuständigkeit begründen könnten; die bloße Nachfrage bei der Insolvenzschuldnerin über den Umfang einer etwaigen wirtschaftlichen Tätigkeit im eigenen Bezirk ist hierfür unzureichend.
Normenkette
InsO § 3; ZPO § 281
Verfahrensgang
AG Potsdam (Aktenzeichen 35 IN 615/09) |
AG Hannover (Aktenzeichen 906 IN 463/09) |
Tenor
Das AG Hannover ist zuständig.
Das Verfahren ist gerichtsgebührenfrei; außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.
Gründe
I. Der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin stellte unter dem 14.5.2009 einen Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens beim AG Hannover. Unter dem 8.6.2009, dem AG Hannover per Fax am 22.6.2009 zugegangen, teilte der Geschäftsführer der Insolvenzschuldnerin mit, dass die Insolvenzschuldnerin Anfang des Jahres ihren Firmensitz nach N. verlegt habe, sie dort wider Erwarten keine Geschäftstätigkeit aufgenommen hätte und beim AG Potsdam die Eröffnung des Insolvenzverfahrens beantragt hätten. Dort sei ihnen nahe gelegt worden, das Insolvenzverfahren am früheren Firmensitz zu beantragen, da das Unternehmen in N. nicht hätte tätig werden können. Nachdem das AG Hannover mit Schreiben vom 22.6.2009 auf seine Bedenken gegen die eigene örtliche Zuständigkeit hingewiesen hat, da die Insolvenzschuldnerin (seit März 2009) mit dem Firmensitz in N. (AG Potsdam) eingetragen sei und für das Vorhandensein des Mittelpunkts einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit im Zuständigkeitsbereich des AG Hannover keine Anhaltspunkte vorlägen, hat sich das AG Hannover auf Antrag der Insolvenzschuldnerin mit Beschluss vom 3.7.2009 ohne weitere Begründung für örtlich unzuständig erklärt und das Verfahren an das AG Potsdam verwiesen. Das AG Potsdam hat sich nach Durchführung von Ermittlungen mit Beschluss vom 10.11.2009 gleichfalls für örtlich unzuständig erklärt und zur Begründung vorgetragen, die Insolvenzschuldnerin sei dort zu keinem Zeitpunkt wirtschaftlich tätig gewesen, obwohl sie ihren satzungsgemäßen Sitz im Zuständigkeitsbereich des AG Potsdam gehabt habe. Hinweise für eine tatsächliche wirtschaftliche Tätigkeit der Schuldnerin im dortigen Zuständigkeitsbereich seien nicht erkennbar. Unter der im Insolvenzantrag und bei der Sitzverlegung angegebenen Anschrift befinde sich lediglich eine Briefkastenanschrift; die einzigen Vermögenswerte des Unternehmens befänden sich nach den Feststellungen des Sachverständigen am Wohnsitz des Geschäftsführers in W.
Das AG Potsdam hat das Verfahren dem OLG Celle zur Bestimmung der Zuständigkeit vorgelegt.
II.1. Das OLG Celle ist gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zur Entscheidung dieses negativen Kompetenzkonflikts zuständig, da sowohl das AG Hannover als auch das AG Potsdam sich rechtskräftig für örtlich unzuständig erklärt haben und das AG Hannover das zuerst mit der Sache befasste, im hiesigen Zuständigkeitsbereich gelegene Gericht ist.
2. Der Senat hat das AG Hannover als zuständiges Gericht bestimmt.
a) Die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses gem. § 4 InsO, § 281 ZPO entfällt, wenn die Verweisung willkürlich ist oder unter schweren Verfahrensfehlern leidet. Dabei kommt Willkür in einer Verweisung im Insolvenzverfahren in Betracht, wenn sie auf einer offensichtlich unzureichenden Erfassung des Sachverhaltes beruht; hiervon ist insbesondere auszugehen, wenn das Insolvenzgericht unter Verstoß gegen seine Amtsermittlungspflicht aus § 5 InsO dem nahe liegenden Verdacht auf eine gewerbsmäßige "Firmenbestattung" nicht nachgegangen ist und sich ohne Umschweife auf pauschale und substanzlose Angaben des Geschäftsführers verlassen hat (MünchKomm/InsO-Ganter, 2. Aufl., § 3 Rz. 28a; OLGReport Celle 2004, 45 ff.; BGH NJW 2006, 847, 848). Bestehen Anhaltspunkte für einen vom allgemeinen Gerichtsstand des Insolvenzschuldners abweichenden Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit, hat das Insolvenzgericht vor einer etwaigen Verweisung den für die Zuständigkeit maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären (OLGReport München 2009, 637). Insbesondere muss das angegangene Gericht zur Zeit der Verweisung örtlich unzuständig sein (Musielak-Foerste, ZPO, 7. Aufl., § 281 Rz. 6; vgl. a. BGH NJW 1993, 1273).
b) Nach diesen Maßstäben, die der Senat seiner Entscheidung zugrunde legt, entfaltet der Verweisungsbeschluss des AG Hannover vom 3.7.2009 keine Bindungswirkung. Gemäß § 3 Abs. 1 Satz 2 InsO ist das Insolvenzgericht ausschließlich zuständig, in dessen Bezirk der Mittelpunkt einer selbständigen wirtschaftlichen Tätigkeit liegt. Die örtliche Zuständigkeit nach § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO ist demnach nachrangig. Die erforderlichen Ermittlungen für die örtliche Zuständigkeit hat das AG nicht durchgeführt.
Dem AG Hannover war zum Zeitpunkt der Verweisung aufgrund der ...