Entscheidungsstichwort (Thema)
Finanzamtszuständigkeit für Umsatzsteuerhaftungsbescheid nach Sitzverlegung einer GmbH. Keine konkludente Zuständigkeitsvereinbarung bei Bestreiten eines Zuständigkeitswechsels. Gegen einen von mehreren potenziellen Haftungsschuldners vom örtlich unzuständigen Finanzamt erlassener Haftungsbescheid rechtswidrig
Leitsatz (redaktionell)
1. Soll ein Haftungsbescheid gegen den ehemaligen GmbH-Geschäftsführer hinsichtlich Umsatzsteuerverbindlichkeiten der Gesellschaft erlassen werden, ist für den Erlass des Haftungsbescheids das FA örtlich zuständig, in dessen Zuständigkeitsbereich sich der durch Gesellschaftsvertrag bestimmte Sitz der GmbH befindet. Das gilt auch dann, wenn die GmbH dort keine Betriebsstätte (mehr) hatte.
2. Hat nach einer Sitzverlegung der GmbH das neu zuständige Finanzamt seine Zuständigkeit bestritten und die Aktenübernahme vom bisher zuständigen Finanzamt abgelehnt, ist hierin keine konkludente Zustimmungsgerklärung i.S. von § 26 Satz 2 AO zu sehen.
3. Der von dem nach der Sitzverlegung der GmbH örtlich unzuständigen Finanzamt erlassene Haftungsbescheid ist auch unter Berücksichtigung von § 127 AO rechtswidrig und aufzuheben, wenn unter Berücksichtigung des Inhalts der Akten denkbar ist, dass das neu zuständige Finanzamt hinsichtlich des Auswahlermessens eine andere Entscheidung getroffen und ggf. andere potenzielle Haftungsschuldner in Anspruch genommen hätte.
Normenkette
AO §§ 10-11, 20 Abs. 1-2, § 21 Abs. 1, §§ 24, 26 S. 2, §§ 125, 127, 191 Abs. 1, § 5; FGO § 102
Nachgehend
Tenor
1. Der Haftungsbescheid vom 18. Dezember 1998 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 12. April 2007 wird aufgehoben.
2. Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Das Urteil wird hinsichtlich der Kostenentscheidung für vorläufig vollstreckbar erklärt. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung in dieser Höhe Sicherheit leistet.
4. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
5. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit eines Haftungsbescheides.
Die Klägerin war seit dem 23. Oktober 1991 alleinige Geschäftsführerin der S. Logistik GmbH (Steuerschuldnerin). Das Stammkapital der Gesellschaft betrug 200.000 DM; hiervon hielt die Klägerin 60.000 DM und ihr Ehemann 140.000 DM; der Gesellschaftsanteil des Ehemannes wurde später an einen Herrn K. H. und von diesem an die Schwiegermutter der Klägerin veräußert. Mit Gesellschafterbeschluß vom 13. Dezember 1996 wurde Herr H. zum neuen Geschäftsführer bestellt; außerdem wurde die Firma der Gesellschaft in „K. Warenhandels GmbH” geändert und der Sitz der Gesellschaft von A.-B. nach H. verlegt. Mit einem weiteren Gesellschafterbeschluß vom 12. August 1997 wurde der Sitz der Gesellschafter nach S. verlegt; die Geschäftsräume sollten sich unter der Adresse … S., …straße 3 befinden. Die dementsprechende Eintragung in das Handelsregister erfolgte am 13. Januar 1998. Am 14. März 2001 wurde das Gesamtvollstreckungsverfahren über das Vermögen der GmbH eröffnet, am 26. Juni 2003 wurde das Verfahren mangels Masse eingestellt.
Ausweislich der Dauerunterlagen ergaben Ermittlungen des Beklagten zum Ort der Geschäftsleitung zunächst, daß Anfang des Jahres 1997 noch Angestellte der GmbH unter der Adresse …straße 33 in A. tätig waren. Im April 1997 nahm der Beklagte mit der Steuerfahndung Rücksprache, ob Bedenken gegen eine eventuelle Aktenabgabe bestünden (Blatt 31 der Akten über die Betriebsprüfung/Steuerfahndung). Der Anwalt der GmbH teilte auf Anfrage des Beklagten im Juni 1997 mit, die GmbH habe den Ort ihrer Geschäftsleitung am Sitz der Gesellschaft. Nachdem an die GmbH an die Adresse in A. adressierte Post als unzustellbar zurückkam und eine am 10. Oktober 1997 durchgeführte Nachschau vor Ort ergab, daß das Betriebsgebäude leer stand und dem Verfall preisgegeben war, erkundigte sich der Beklagte erneut nach dem Ort der Geschäftsleitung. Diese Frage beantwortete der Anwalt der GmbH dahingehend, daß die Gesellschaft ihren Sitz in S. habe. Soweit noch Geschäfte geführt würden, würden diese von dort erledigt. Das Finanzamt S. dürfte demnach zuständig sein. Das Finanzamt S. teilte dagegen mit, die Nachschau des Vollziehungsbeamten unter der angegebenen Firmenanschrift habe ergeben, daß keine der bezeichneten Gesellschaften unter der Anschrift S., …straße 3, firmiere; dort sei eine Anwaltskanzlei ansässig. Die Übernahme der Akten wurde abgelehnt (Blatt 24 der Dauerunterlagen). Dem widersprach die GmbH, der Ort der Gesellschaft befinde sich am Gesellschaftssitz. Die GmbH habe in der …straße 3 in S. einen Büroraum angemietet, an diese Adresse gerichtete Post komme an (Blatt 26 der Dauerunterlagen).
Ab Juli 1995 hatte eine Steuerfahndungsprüfung bei der GmbH stattgefunden; das Finanzamt A. war den Prüfungs...