Rz. 22
Neben dem unmittelbaren Ausgleich der ausgefallenen oder beeinträchtigten Körperfunktion können Hilfsmittel den Zweck haben, die Folgen der Behinderung indirekt auszugleichen. Hier spricht man vom sog. mittelbaren Behinderungsausgleich. Der mittelbare Behinderungsausgleich setzt da an, wo ein unmittelbarer Ausgleich der Körperfunktion etc. (Rz. 21) nicht möglich ist oder nicht ausreicht.
- Ein Rollstuhl kann im Gegensatz zu einer Beinprothese nicht das Gehen ermöglichen, aber die Fortbewegung sichern.
- Eine Klingelleuchte für Hörgeschädigte kann zwar nicht das Hören ersetzen, allerdings auf das Klingeln in anderer Form aufmerksam machen.
Zu den Hilfsmitteln im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs zählen z. B. Badewannenlifter, Duschhocker, Unterarmstützen, Sitzschalenstühle, Toilettenstühle, Alltagshilfen/Adaptionen, Reha-Kinderwagen, behindertengerechte PCs und Blindenführhunde. Für die Beurteilung des Leistungsanspruchs sind sowohl das Behinderungsbild als auch die gesamte Lebenssituation des Menschen mit Behinderungen einschließlich seiner Kontextfaktoren (= gesamter Lebenshintergrund) entsprechend zu würdigen.
Zum Anspruch bzw. Leistungsumfang wird auf die Ausführungen unter Rz. 19 verwiesen. Aufgrund dieser Ausführungen ist der Rehabilitationsträger im Rahmen des mittelbaren Behinderungsausgleichs nur für den sog. Basisausgleich eintrittspflichtig. Ein Hilfsmittel zum mittelbaren Behinderungsausgleich ist demnach bei krankenversicherten Leistungsberechtigten von der Krankenkasse nur zu gewähren, wenn es die Auswirkungen der Behinderung nicht nur in einem bestimmten Lebensbereich (Beruf/Gesellschaft/Freizeit), sondern im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mindert.
Ein 85-jähriger Versicherter mit Querschnittslähmung an den unteren Gliedmaßen beantragt bei seiner Krankenkasse zusätzlich zu seinem Rollstuhl eine elektrische Rollstuhl-Ziehhilfe (elektrischer Handbike-Rollstuhlaufsatz). Dadurch kann er eine Strecke von 3 km zu seiner Familie und zu seinen Freunden zurücklegen, was ihm sonst mit einem handbetriebenen Rollstuhl nicht gelingt. Bis auf seine Familie und seine Freunde kann er alle für seinen Alltag wichtigen Stellen (z. B. Supermarkt, Arzt, Apotheke, Geldinstitut, Post) mit dem "normalen" Rollstuhl zurücklegen (Nahbereich).
Fachliche Beurteilung:
Auch durch die Rollstuhlziehhilfe kann der Versicherte nicht selbstständig gehen, sondern sich trotz Behinderung "nur" fortbewegen – und das über den Nahbereich hinaus. Bei dem Hilfsmittel handelt es sich also nicht um ein Hilfsmittel, welches die Behinderung unmittelbar ausgleicht (vgl. Rz. 21), sondern um ein Hilfsmittel, welches die Folgen der Behinderung ausgleicht (mittelbarer Behinderungsausgleich). Ein Anspruch auf Leistungen besteht bei einem mittelbaren Behinderungsausgleich nur unter bestimmten eingeschränkten Voraussetzungen (vgl. Rz. 19); da der Versicherte bereits alle für ihn wichtigen Stellen im Nahbereich aufsuchen kann, ist der Leistungsanspruch aus medizinischer Sicht gegenüber seiner Krankenkasse (§ 33 SGB V, § 47) nicht erfüllt (BSG, Urteil v. 12.8.2009, B 3 KR 11/08 R).
Zu beachten ist, dass die Möglichkeit von regelmäßigen Kontakten zur Familie und zu Freunden ein hohes Gut darstellt und eine Leistungsverpflichtung anderer Rehabilitationsträger – hier im Rahmen der Sozialen Teilhabe – in Betracht kommt. Für die Leistungsgruppe der Sozialen Teilhabe ist hier vermutlich der Träger der Eingliederungshilfe zuständig (vgl. BSG, Urteile v. 17.12.2009, B 3 KR 20/08 R, sowie v. 16.7.2014, B 3 KR 1/14 R). Die Krankenkasse hat eine mögliche Leistungsverpflichtung des Trägers der Eingliederungshilfe zu erkennen und den Antrag an den Träger der Eingliederungshilfe weiterzuleiten (§ 14) oder den Träger der Eingliederungshilfe in das Verwaltungsverfahren einzubinden (§ 15).
Zu den Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören neben den unter Rz. 19 aufgeführten Ausgleichen auch die Warnung bei Gefahren; gehörlose Versicherte haben z. B. regelmäßig gegen ihre Krankenkasse Anspruch auf Versorgung mit einem ihren Bedürfnissen angepassten Rauchwarnmeldesystem (BSG, Urteil v. 18.6.2014, B 3 KR 8/13 R).
Anspruch besteht auf die im Einzelfall ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Hilfsmittelversorgung, nicht jedoch auf eine Optimalversorgung. Deshalb besteht kein Anspruch auf ein teureres Hilfsmittel, soweit die kostengünstigere Versorgung für den angestrebten Nachteilsausgleich funktionell in gleicher Weise geeignet ist (BSG v. 10.9.2020 (a. a. O.)).
Rz. 23
Freizeitbeschäftigungen – welcher Art auch immer – werden vom Begriff des vitalen Lebensbedürfnisses bzw. des allgemeinen Grundbedürfnisses des täglichen Lebens nicht erfasst (BSG, Urteil v. 23.7.2002, B 3 KR 3/02 R). Demnach zählen auch die behindertengerechte Badekleidung (= nur mittelbarer Behindertenausgleich) zum Freizeitschwimmen oder Trainings- und Fitnessgeräte nicht zu den Hilfsmitteln i. S. d. § 47.
Wie beim unmittelbaren Behinderungsausgl...