Prof. Dr. Christian Möller
1 Allgemeines
Rz. 1
§ 225 AO regelt die Reihenfolge der Tilgung, wenn ein Stpfl. der Finanzbehörde "mehrere Beträge" (Verpflichtungen aus dem Steuerschuldverhältnis i. S. d. § 37 AO und/oder Geldbußen) schuldet, eine – freiwillige oder erzwungene – Zahlung aber nicht zur vollständigen Tilgung sämtlicher Beträge ausreicht. Die Vorschrift befasst sich mit der Tilgungsreihenfolge bei Zahlungen. Die Regelung kann nicht auf andere Tilgungsarten, insbesondere nicht auf die Aufrechnung (s. zu dieser Rz. 8), übertragen werden.
Der Stpfl. schuldet "mehrere Beträge", wenn die Ansprüche der Finanzbehörde nach Art, Zeitpunkt des Entstehens oder Zeitpunkt der Fälligkeit verschieden sind. Nach der Art verschieden sind etwa Steueransprüche, Haftungsansprüche, die einzelnen steuerlichen Nebenleistungen untereinander und Geldbußen, aber auch Vorauszahlung und Abschlusszahlung einer Steuerart. Nach dem Zeitpunkt des Entstehens verschieden sind z. B. ESt der Jahre 01 und 02 oder USt-Vorauszahlungen der verschiedenen Vorauszahlungszeiträume (Monate) eines Vz. Nach dem Zeitpunkt der Fälligkeit verschieden sind z. B. Teile eines einheitlichen Anspruchs (z. B. ESt 01), wenn ein Teil der Schuld gestundet worden ist.
§ 225 Abs. 1 und 2 AO regeln die Reihenfolge der Tilgung bei freiwilligen Zahlungen des Stpfl. Der Stpfl. hat hier nach Abs. 1 ein Recht zur Tilgungsbestimmung (s. dazu Rz. 3). Für den Fall, dass er davon nicht Gebrauch macht, legt Abs. 2 eine Tilgungsreihenfolge fest, wobei nur in den Fällen des Abs. 2 S. 2 Hs. 2 ein bescheidener Entscheidungsspielraum der Finanzbehörde verbleibt (s. dazu Rz. 6). § 225 Abs. 3 AO regelt Geldleistungen, die im Verwaltungsweg erzwungen werden, und zwar im Sinne eines Rechts der Finanzbehörde zur Tilgungsbestimmung (s. dazu Rz. 9ff.).
2 Tilgung bei Zahlungen des Steuerpflichtigen
2.1 Tilgung bei freiwilliger Zahlung
Rz. 2
Das Recht zur Tilgungsbestimmung nach § 225 Abs. 1 AO und die gesetzliche Tilgungsreihenfolge gemäß § 225 Abs. 2 AO gelten nur bei freiwilligen Zahlungen (einschließlich Zahlungen aufgrund einer erteilten Einzugsermächtigung). Freiwillig sind, wie der Umkehrschluss aus § 225 Abs. 3 AO (s. dazu Rz. 9f.) ergibt, solche Leistungen, die nicht durch Vollstreckungsmaßnahmen der Finanzbehörden erzwungen sind.
Die Zahlung nach einer Mahnung oder nach einer Vollstreckungsankündigung ist noch freiwilllig. Auch nach Beginn eines Vollstreckungsverfahrens kommen noch freiwillige Leistungen in Betracht, etwa Zahlungen, die – auch an einen Vollziehungsbeamten – zur Abwendung einer Sachpfändung oder zur Abwehr sonstiger Vollstreckungsmaßnahmen geleistet werden. Unsicher ist, ob Freiwilligkeit noch zu bejahen ist, wenn der Stpfl. nach bereits erfolgter Sachpfändung zur Abwendung der unmittelbar bevorstehenden Versteigerung leistet. Auch ein durch Duldungsbescheid in Anspruch genommener Stpfl. kann noch freiwillig leisten. Der Erlös aus einer Verwertungshandlung (etwa aus einer Versteigerung nach §§ 298ff. AO) stellt keine freiwillige Leistung dar. Auch die Zahlung eines Drittschuldners auf eine gepfändete Forderung ist keine freiwillige Leistung des Schuldners an das FA. Ebenso handelt es sich bei der Zahlung eines Bürgen auf eine Bürgschaftsschuld und generell bei der Verwertung freiwillig gestellter Sicherheiten nicht um freiwillige Zahlungen des Stpfl.
2.1.1 Bestimmungsrecht des Steuerpflichtigen (Abs. 1)
Rz. 3
Bei freiwilliger Zahlung auf eine von mehreren Verbindlichkeiten hat der Stpfl. das Recht zu bestimmen, welche Verbindlichkeit getilgt werden soll (Abs. 1). Diese Regelung entspricht § 366 Abs. 1 BGB; es können daher die zu dieser Vorschrift entwickelten Grundsätze entsprechend herangezogen werden. Leistet ein Dritter anstelle des Stpfl., steht diesem (nicht dem Stpfl.) das Bestimmungsrecht zu.
Die Bestimmung der Reihenfolge der Tilgung durch den Stpfl. ist eine öffentlich-rechtliche Willenserklärung, auf die §§ 116 ff. BGB anzuwenden sind.
Das Bestimmungsrecht kann in jeder beliebigen Form oder formlos (u. a. also schriftlich oder mündlich) ausgeübt werden. Möglich ist auch die Bestimmung durch konkludentes Handeln. Entscheidend ist in allen Fällen, dass die Erklärung eindeutig bestimmt ist. Von einer konkludenten Ausübung des Bestimmungsrechts ist u. a. auszugehen, wenn ein Zahlbetrag genau dem Betrag einer der gesc...