Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
Rz. 36
Der objektive Tatbestand der Steuerhinterziehung ist erfüllt, wenn der Täter (s. Rz. 12) eine der in § 370 Abs. 1 Nr. 1–3 AO genannten Tathandlungen vorgenommen hat und dadurch (s. Rz. 74, 75) der Taterfolg (s. Rz. 76) eingetreten ist. Die Aufzählung der Tathandlungen ist abschließend.
Rz. 37
Die Steuerhinterziehung ist nach der Beschreibung der Tathandlungen des § 370 Abs. 1 AO ein Erklärungsdelikt. Die einfache Verletzung der steuerlichen Zahlungspflicht durch Nichtzahlung der Steuer erfüllt nicht den Straftatbestand der Steuerhinterziehung.
Rz. 38
Die Tathandlung enthält eine Verletzung der Wahrheits- bzw. Mitwirkungspflicht (s. Vor §§ 369–412 AO Rz. 1; s. Rz. 3) und gefährdet dadurch die Realisierung des geschützten steuerlichen Anspruchs (s. Rz. 2).
Die Tathandlung der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 1 Nr. 1–3 AO erfordert nicht eine besondere Steuerunehrlichkeit des Tatbeteiligten. Dieses für die Steuerhinterziehung nach § 392 RAO ungeschriebene Tatbestandsmerkmal ist in die Neufassung des § 370 AO nicht aufgenommen worden. Vielmehr sind die Tathandlungen jetzt so beschrieben, dass hierauf verzichtet werden konnte. Die Tathandlungen erfordern ausdrücklich nur pflichtwidriges Verhalten (s. Rz. 41, 54). Für die Abgrenzung der Tathandlungen nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO ist es unerheblich, wie sich der Tatbeteiligte (s. Rz. 11) im Rahmen etwaiger Vorbereitungshandlungen (s. Rz. 145) verhalten hat.
Rz. 39
Obgleich die Steuerhinterziehung ihrem Wesen nach ein spezieller Betrugstatbestand ist (s. Rz. 6, 259), gehören – anders als für den Betrug nach § 263 StGB – nicht die gelungene Täuschung und nicht die Irrtumserregung bei einem Amtsträger der Finanzbehörde zum Straftatbestand. Die Unkenntnis der Finanzbehörde von der Unrichtigkeit der Angaben (s. Rz. 44) oder von dem pflichtwidrigen Unterlassen (s. Rz. 54) ist nicht Tatbestandsvoraussetzung des § 370 AO. Folglich entfällt die Tatvollendung nicht dadurch, dass die Täuschung erkannt wird. Ebenso schließt ein bestehender Anfangsverdacht des Amtsträgers hinsichtlich der Steuerhinterziehung, also die Voraussetzung für die Einleitung des Steuerstrafverfahrens (s. § 397 AO Rz. 27), die Vollendung des Straftatbestands (s. Rz. 78, 150) nicht aus. Auch die Kenntnis anderer oder höherer Finanzbehörden von der steuerlichen und strafrechtlichen Relevanz des Sachverhalts ist für die Vollendung der Hinterziehung ohne Bedeutung. Es ist vielmehr ausreichend, dass die unrichtigen oder unvollständigen Angaben über steuerlich erhebliche Tatsachen in anderer Weise als durch eine Täuschung für die Steuerverkürzung oder das Erlangen eines nicht gerechtfertigten Steuervorteils kausal wird (BGH v. 21.11.2012, 1 StR 391/12, DStR 2013, 140; BGH v. 14.12.2010, 1 StR 275/10, NJW 2011, 1299).
Soweit in Lit. und Rspr. die Unkenntnis des jeweiligen Amtsträgers vorausgesetzt wird, hat bei Kenntnis eine Verurteilung wegen untauglichen Versuchs der Steuerhinterziehung (s. Rz. 136) zu erfolgen (zur fakultativen Strafmilderung s. Rz. 182).
Rz. 40
Die Tathandlung der Steuerhinterziehung kann in jedem Stadium des Besteuerungsverfahrens (s. Vor §§ 78–133 AO Rz. 16–19) begangen werden, also im
- Steuerfestsetzungsverfahren (s. Rz. 84) in jedem Verfahrensabschnitt (s. Vor §§ 78–133 AO Rz. 15, 17a);
- Steuererhebungsverfahren (s. Rz. 107);
- Beitreibungs- bzw. Vollstreckungsverfahren.
Für die Abgrenzung der Tathandlungen nach § 370 Abs. 1 Nr. 1 und 2 AO ist es unerheblich, wie sich der Tatbeteiligte (s. Rz. 11) im Rahmen etwaiger Vorbereitungshandlungen (s. Rz. 145) verhalten hat.