Dr. Karsten Webel, Dr. Wolfgang Dumke †
Rz. 60
Nach § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO ist ein Stpfl., der nachträglich vor Ablauf der Festsetzungsfrist erkannt hat, dass eine von ihm oder für ihn abgegebene Steuererklärung unrichtig oder unvollständig ist und es dadurch zu einer Steuerverkürzung gekommen ist oder kommen kann, zur unverzüglichen Anzeige und in der Folge zur Richtigstellung verpflichtet. Diese inhaltliche Korrektur muss nicht mit der Anzeige gemeinsam erfolgen und sie ist nach dem Wortlaut des § 153 Abs. 1 AO nicht fristgebunden, muss also nicht unverzüglich erfolgen. Der wissentliche Verstoß gegen diese Anzeige- und Korrekturpflicht erfüllt den Straftatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO.
Rz. 61
Die Berichtigungspflicht trifft nicht nur den Stpfl. selbst. Durch § 153 Abs. 1 S. 2 AO wird der Kreis der Erklärungspflichtigen auf Gesamtrechtsnachfolger, gesetzliche Vertreter i. S. d. § 34 AO und Vermögensverwalter i. S. d. § 35 AO erweitert. Den bevollmächtigten Berater des Stpfl. trifft hingegen keine Berichtigungspflicht.
Rz. 61a
Die Berichtigungspflicht besteht nur für Fehler, die der Stpfl. zu verantworten hat (s. § 153 AO Rz. 10). Wird bei einer richtigen Steuererklärung durch einen Fehler der Finanzbehörde die Steuer zu niedrig festgesetzt, so besteht für den Stpfl. keine strafrechtlich relevante Anzeigepflicht (§ 153 AO Rz. 10).
Rz. 61b
Die Anzeige und Berichtigungspflicht gem. § 153 Abs. 1 Nr. 1 AO besteht nach Ansicht des BGH auch, wenn der Täter einer bedingt vorsätzlichen Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO nachträglich zu der sicheren Erkenntnis gelangt, dass seine Falschangaben unrichtig waren. Erfährt der Täter nachträglich z. B. durch die Mitteilung eines Betriebsprüfers oder seines Steuerberaters, dass sein Vorgehen nicht nur eventuell, sondern mit Sicherheit eine Steuerhinterziehung darstellt, so ändert sich sein Vorsatz damit nachträglich von einem bedingten Vorsatz zu einem direkten Vorsatz. Diese Änderung des Vorsatzes soll nach Ansicht des BGH ein nachträgliches Erkennen i. S. d. § 153 Abs. 1 AO darstellen und eine Anzeige- und Berichtigungspflicht gem. § 153 AO auslösen.
Rz. 61c
Durch die Erstreckung der Anzeige und Berichtigungspflicht auf bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehungen muss der jeweilige Täter sich selbst einer Straftat bezichtigen, sodass ein Konflikt zwischen dem nemo-tenetur-Grundsatz und der steuerlichen Pflicht nach § 153 AO entsteht. Dies soll nach Ansicht des BGH jedoch unproblematisch sein, da eine Berichtigung nach § 153 AO – zumindest wenn Anzeige und Berichtigung zugleich erfolgen – zugleich eine Selbstanzeige i. S. d. § 371 AO darstellt und mithin zur Straffreiheit führt. Im Übrigen erwägt der BGH die Annahme eines Beweismittelverwertungs- oder -verwendungsverbots. Die strafrechtlich sanktionierte Berichtigungspflicht gem. § 153 AO soll danach erst enden, wenn ein Sperrgrund i. S. d. § 371 Abs. 2 AO eingreift und damit eine strafbefreiende Selbstanzeige ausgeschlossen ist. Folglich gilt dies auch, wenn bereits ein (Steuer-)Strafverfahren eingeleitet und bekannt gegeben worden ist. Die Berichtigungspflicht soll hingegen nicht enden, wenn kein Sperrgrund eingreift, aber die Nachzahlung der verkürzten Steuer nicht möglich wäre und daran die Straffreiheit scheitert. Der Sinn dieser Rechtsprechung dürfte darin liegen, dass damit die strafrechtliche Ahndung von Taten ermöglicht wird, die anderenfalls bereits verjährt wären. Liegt z. B. die bedingt vorsätzliche Steuerhinterziehung durch Abgabe einer unrichtigen Steuererklärung in dem Augenblick vier Jahre zurück, in dem der Täter sicher Kenntnis von der Unrichtigkeit erlangt, so beginnt in diesem Augenblick die Verjährung für die Steuerhinterziehung durch Unterlassen der Berichtigungserklärung gem. § 153 AO neu zu laufen. Aufgrund der Fragwürdigkeit dieser Folge und der obigen Bedenken im Hinblick auf den nemo-tenetur-Grundsatz ist diese Rechtsprechung abzulehnen.