Rz. 32
Die Abgabe nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO ist eine strafprozessuale Verfahrenshandlung der Finanzbehörde. Gegen die Abgabe ist ein Rechtsbehelf nicht gegeben. Da es sich um eine Maßnahme des Strafverfahrens handelt, scheiden nach § 347 Abs. 3 AO das finanzbehördliche Einspruchsverfahren und nach § 33 Abs. 3 FGO der Rechtsweg zu den Finanzgerichten aus. Im Hinblick auf die Regelung des § 13 GVG liegt bei einem Streit über die Zulässigkeit der Abgabe demgemäß auch keine öffentlich-rechtliche, die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit begründende Streitigkeit i. S. v. § 40 Abs. 1 VwGO vor.
Letztlich liegt auch kein die Überprüfbarkeit durch das OLG begründender Justizverwaltungsakt i. S. v. § 23 EGGVG vor, da nicht in die Rechtsstellung des Beschuldigten eingegriffen wird. Zumindest fehlt ein Rechtsschutzbedürfnis des Beschuldigten, weil eine Rechtsverletzung nicht vorliegt, denn der Beschuldigte hat keinen öffentlich-rechtlichen Rechtsanspruch auf ein bestimmtes nichtgerichtliches Strafverfolgungsorgan.
Soweit vereinzelt eine Rechtschutzmöglichkeit für die Abgabe einer Strafsache angenommen wird, die im Zusammenhang mit einem Allgemeindelikt steht, ist dem nicht zu folgen, da in einem solchen Fall bereits keine ausschließliche Zuständigkeit der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 2 AO besteht. Es steht folglich nicht im Ermessen der Finanzbehörde nach § 386 Abs. 4 S. 1 AO, den Fall an die Staatsanwaltschaft abzugeben. Dies ist vielmehr geboten.
Rz. 32a
Wird eine Rechtssache entgegen der gesetzlichen Vorgabe nach § 386 Abs. 3 AO oder bei einem Fehlgebrauch des Ermessens bei der Entscheidung über die Andienung eines Falls zur Abgabe nach § 386 Abs. 4 S. 2 AO nicht an die Staatsanwaltschaft abgegeben, so ist eine dadurch entstehende Verzögerung bei der Strafzumessung anzurechnen. In besonderen Fällen kommt eine Berücksichtigung durch die Vollstreckungslösung in Betracht. Denkbar ist in extremen Fällen eine Strafbarkeit des zuständigen Bediensteten bei der Finanzbehörde nach § 258a StGB. Dabei ist allerdings die jeweilige Personalausstattung zu berücksichtigen.
Rz. 33
Bei der Abgabe an die Staatsanwaltschaft sind die Amtsträger der Finanzbehörde verpflichtet, das Steuergeheimnis zu beachten. Eine Verletzung des Steuergeheimnisses nach § 30 Abs. 2 AO liegt u. a. vor, wenn der dem Steuergeheimnis verpflichtete Amtsträger Verhältnisse eines anderen, die ihm im Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren in Steuersachen oder auch in einem Steuerstrafverfahren bzw. Bußgeldverfahren wegen einer Steuerordnungswidrigkeit bekannt geworden sind, unbefugt offenbart. Es muss die Befugnis zur Offenbarung nach § 30 Abs. 4, 5 AO vorliegen. § 386 Abs. 4 AO begründet diese Befugnis nicht, ist also kein Gesetz i. S. d. § 30 Abs. 4 Nr. 2 AO. Bei der Abgabe von ausschließlichen Steuerstraftaten an die Staatsanwaltschaft ist eine Offenbarung regelmäßig nach § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO gerechtfertigt. Fehlt dagegen die Befugnis zur Offenbarung, liegt in der Verletzung des Steuergeheimnisses auch eine Amtspflichtverletzung. Die Verletzung des Steuergeheimnisses begründet zudem das strafrechtliche Verwendungsverbot nach § 393 Abs. 2 AO. Die Staatsanwaltschaft hat dieses von Amts wegen zu beachten.
Rz. 33a
Werden der Finanzbehörde im Rahmen ihrer Ermittlungen Sachverhalte bekannt, die den Verdacht einer Straftat begründen, die keine Steuerstraftat ist, so dürfen diese an die Staatsanwaltschaft dann weitergegeben werden, wenn sie mit der Steuerstraftat gemeinsam eine Straftat im prozessualen Sinne bilden.
In diesem Fall ist die Offenbarung durch § 30 Abs. 4 Nr. 1 AO gedeckt. Jedoch ist in diesem Zusammenhang allerdings kein Fall des § 386 Abs. 4 S. 1 AO gegeben, weil keine ausschließliche Zuständigkeit der Finanzbehörde i. S. d. § 386 Abs. 2 AO vorliegt.
Rz. 33b
Bieten die Ermittlungen der Finanzbehörde Anlass zu der Annahme, dass ein Allgemeindelikt begangen worden sein könnte, das nicht mit einer Steuerstraftat durch einen einheitlichen Lebensvorgang verbunden ist, so kommt eine Mitteilung an die Staatsanwaltschaft unter den Voraussetzungen des § 30 Abs. 4 Nr. 4a, Abs. 5 AO in Betracht. Maßgebend ist demnach, dass diese Erkenntnisse aus den Ermittlungen resultieren und nicht bereits zuvor aktenkundig waren. Bei aktenkundigen Erkenntnissen, die nicht aus dem Ermittlungsverfahren resultieren, ist eine Weiterleitung zulässig, wenn der Beschuldigte diese in Kenntnis des Strafverfahrens der Finanzbehörde mitgeteilt hat.