Rz. 55
Die in § 90 Abs. 2 S. 1 und 4 AO statuierten erweiterten Mitwirkungspflichten bei Vorgängen mit Auslandsbezug (Sachaufklärungs-, Beweismittelbeschaffungs- und Beweisvorsorgepflichten) sind verfassungsgemäß.[1] Die Regelungen sind allesamt sachlich geboten und zur Wahrung einer gleichmäßigen Besteuerung nach Maßgabe der Gesetze geradezu unerlässlich.
Rz. 56
Zur Frage der Gemeinschaftsrechtskonformität gehen die Meinungen auseinander. Z. T. wird diese unter Hinweis darauf, dass § 90 Abs. 2 S. 1 und 4 AO die verfahrensrechtliche Behandlung grenzüberschreitender Sachverhalte im Vergleich zu reinen Inlandssachverhalten verschärft, in Zweifel gezogen.[2] Hierdurch würden die Grundfreiheiten des AEUV (ex EGV) verletzt. Nach zutreffender Ansicht sind die erweiterten Mitwirkungspflichten bei Auslandssachverhalten mit den Vorgaben des Europarechts vereinbar, weil diese zur Sicherung einer wirksamen Steueraufsicht zwingend erforderlich und damit gerechtfertigt sind.[3]
Rz. 57
Die durch das Steuerhinterziehungsbekämpfungsgesetz eingeführte Vorschrift des § 90 Abs. 2 S. 3 AO verstößt hingegen nach allgemeiner Ansicht gegen verfassungs- und gemeinschaftsrechtliche Grundsätze.[4] Die Verfassungswidrigkeit ergibt sich insbesondere aus Verstößen gegen das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot[5], das Wesentlichkeitsprinzip[6] und das Übermaßverbot. In europarechtlicher Hinsicht verstößt die Vorschrift evident gegen die vom AEUV (ex EGV) gewährleistete Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Der beschriebene Zustand ist nur erträglich, weil § 90 Abs. 2 S. 3 AO in der Praxis mit einiger Sicherheit nie zur Anwendung kommen wird.
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