1 Allgemeines
Rz. 1
Die Norm ist Nachfolgevorschrift zu § 182 RAO und ergänzende Sonderregelung zu § 93 AO. Als allgemeine Verfahrensvorschrift gilt § 94 AO in allen Sachaufklärungsverfahren, und damit ohne Einschränkungen auch im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren sowie im Außenprüfungs- und Steuerfahndungsverfahren. Wie § 93 Abs. 1 AO den Vorrang der Auskunftserteilung durch den Beteiligten vor dem Dritten festschreibt, ist auch der eidesstattlichen Vernehmung des Beteiligten nach § 95 AO der eidlichen Vernehmung des Dritten nach § 94 AO der Vorrang einzuräumen. Da der Beteiligte als sachnähere Auskunftsquelle eher ergiebig sein dürfte und im Übrigen der Kreis der in steuerliche Ermittlungen involvierten Personen nicht unnötig vergrößert werden soll, erscheint entgegen dem eindeutigen Wortlaut des § 95 Abs. 1 Satz 2 AO, der die eidesstattliche Versicherung durch den Beteiligten nur dann für zulässig erklärt, wenn andere Mittel zur Erforschung des Sachverhalts nicht vorhanden sind, die eidliche Vernehmung als allerletztes Beweismittel. Der Dritte als sachfernere Erkenntnisquelle ist – zumal in fremden steuerlichen Angelegenheiten – gegenüber dem vorrangig aufklärungspflichtigten Beteiligten gerade auch mit Blick auf mögliche strafrechtliche Folgen schutzwürdiger.
Rz. 2
Sie regelt die eidliche Vernehmung "anderer Personen". § 94 Abs. 1 AO trifft Regelungen zur Zulässigkeit (vgl. Rz. 5ff.) und Zuständigkeit (vgl. Rz. 17ff.), Abs. 2 zum Verfahren (vgl. Rz. 18ff.) und Abs. 3 zur Geltendmachung von Auskunfts- und Eidesverweigerungsrechten (vgl. Rz. 29ff.). Ihr Sinn liegt im Wesentlichen darin, eine Auskunft durch deren strafrechtsbewehrte Beeidigung im Interesse der Wahrheitsfindung zu qualifizieren. Wegen der Bedeutung des Eides als der höchsten Beteuerungsform im deutschen Recht ist die Eidesabnahme abweichend von § 182 RAO ausschließlich den Gerichten vorbehalten. Die Ableistung des Eides ist eine höchstpersönliche Verpflichtung, sodass eine Vertretung nicht zulässig ist. Bevollmächtigte und Beistände haben allerdings ein Teilnahmerecht.
Rz. 3
Die Möglichkeit der eidlichen Vernehmung spielt nicht zuletzt aufgrund des aufwendigen Verfahrens und den aufwachsenden sonstigen, weniger aufwendig erreichbaren Erkenntnisquellen in der Praxis der Finanzbehörden kaum eine Rolle. Ferner trägt hierzu bei, dass die Finanzbehörden im Rahmen der Ermessensausübung nicht nur den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, sondern auch das gestufte Beweismittelverfahren der §§ 92ff. AO zu beachten haben. Die Bedeutung der Vorschrift liegt letztlich wohl eher in ihrem präventiven Charakter.
Rz. 4
Ein Eid ist die Bekräftigung der Richtigkeit einer Auskunft in einem formellen Verfahren. Tauglicher Gegenstand einer eidlichen Vernehmung ist alles, was Gegenstand einer Auskunft sein kann. Der Eid kann sich demnach nur auf einen Tatsachenvortrag beziehen, wobei auch innere Tatsachen und Hilfstatsachen umfasst sind. Nur die Wahrheit von Tatsachen kann bekräftigt werden.
2 Voraussetzungen (§ 94 Abs. 1 AO)
Rz. 5
Der Beteiligte hat keinen Anspruch auf die Beeidigung einer Auskunftsperson. Aber auch die Auskunftsperson hat kein Recht darauf, eidlich vernommen zu werden. Hält die Finanzbehörde die Auskunft des Dritten ebenso wenig für glaubwürdig wie die des Beteiligten und kann sie auf weitere Beweismittel nicht zurückgreifen, kommt eine Entscheidung nach den Grundsätzen der Darlegungs- und Beweislast nur in Betracht, wenn aus Sicht der Finanzbehörde ausgeschlossen werden kann, dass durch die strafrechtlichen Sanktionen der durch einen Eid bekräftigten Auskunft ein gesteigerter Beweiswert zuzuerkennen ist. Die Finanzbehörde "kann" das Gericht um eine eidliche Vernehmung ersuchen. Sie hat also – sofern die im Folgenden dargestellten Voraussetzungen gegeben sind – eine Ermessensentscheidung zu treffen.
Grundvoraussetzung ist, dass für den eidesfähigen Dritten (vgl. Rz. 8) eine Auskunftspflicht nach § 93 Abs. 1 Satz 3 AO besteht und die sonstigen materiellen Voraussetzungen dieser Norm erfüllt sind. Darüber hinaus müssen die von der Auskunftsperson wahrgenommenen Tatsachen für die Feststellung eines steuerlichen Sachverhalts erheblich und erforderlich sein. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ist zu beachten.