Rz. 12
Nach § 92 S. 1 AO bedient sich die Finanzbehörde der Beweismittel, die sie nach pflichtgemäßem Ermessen zur Ermittlung des Sachverhalts für erforderlich hält. Auch die Entscheidung der Finanzbehörde, von dem Beteiligten nach § 95 AO die Abgabe einer Versicherung an Eides statt zu verlangen, ist eine Ermessensentscheidung ("kann"). Sie hat insoweit nur ein durch die allgemeinen Eingriffsschranken und zusätzlich durch § 95 Abs. 1 S. 2 AO eingeschränktes Auswahlermessen.
Rz. 13
Danach soll die Finanzbehörde die Beweisführung nur dann im Weg der Abnahme einer eidesstattlichen Versicherung fortsetzen, wenn Zweifel an der Richtigkeit der Sachverhaltsdarstellung des Beteiligten verblieben sind, andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit nicht vorhanden sind, zu keinem Ergebnis geführt haben oder einen unverhältnismäßigen Aufwand erfordern (Subsidiarität). Andere Mittel zur Erforschung der Wahrheit sind nicht vorhanden, wenn der Finanzbehörde außer der eidesstattlichen Versicherung keine Sachaufklärungsmittel zur Verfügung stehen, die die vorhandenen Zweifel an der Richtigkeit der vom oder für den Beteiligten behaupteten Tatsachen ausräumen können. Sie haben schon dann zu keinem Ergebnis geführt, wenn sich der relevante Sachverhalt nicht mit dem erforderlichen Gewissheitsgrad feststellen lässt, sodass entweder geschätzt oder nach den Regeln über die materielle Beweislast entschieden werden müsste. Dies ist der Fall, wenn die Darstellung des Beteiligten von den üblicherweise vorzufindenden Sachverhalten abweicht, bzw. diese unschlüssig ist. Die Erforschung der Wahrheit mit anderen Mitteln erfordert einen unverhältnismäßigen Aufwand, wenn die Finanzbehörde einen im Verhältnis zur steuerlichen Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts überproportionalen zeitlichen, sachlichen oder personellen Aufwand zur Sachverhaltsaufklärung einsetzen müsste.
Rz. 14
Die eidesstattliche Versicherung ist also ein letztes Mittel zur Wahrheitsfindung. Nach dem Wortlaut der Norm müsste die Versicherung an Eides statt sogar das allerletzte Beweismittel sein, sodass auch die eidliche Vernehmung anderer Personen nach § 94 AO vorrangig wäre. Hierbei handelt es sich aber nur um eine gesetzliche Ungenauigkeit. Denn der Eid als die höchste Beteuerungsform ist im Vergleich zur Inanspruchnahme des Beteiligten nach § 95 AO der schwerere Eingriff und deshalb nach Verhältnismäßigkeitsgrundsätzen dieser gegenüber nachrangig.
Rz. 15
Die Rechtsfrage, ob die Voraussetzungen des § 95 Abs. 1 S. 2 AO erfüllt sind, kann von den Gerichten in vollem Umfang überprüft werden. Die Nichtbeachtung des gesetzlich festgelegten Rahmens der Ermessensausübung führt zwar zur Rechtswidrigkeit der Maßnahme, berührt aber – sofern kein Nichtigkeitsgrund vorliegt – nicht deren Wirksam- und Verwertbarkeit. Der Betroffene muss die Aufforderung der Finanzbehörde deshalb anfechten und die Aussetzung der Vollziehung der Aufforderung nach § 361 AO beantragen bzw. die Gründe der Rechtswidrigkeit darlegen. Anderenfalls hat er der Aufforderung vorerst nachzukommen. Bei der Abgabe der eidesstattlichen Versicherung einer Vermögensauskunft nach § 284 AO kann die Finanzbehörde nicht von der Abgabe absehen. Hat der Schuldner mindestens zwei Wochen seit der Mahnung der fälligen Steueransprüche verstreichen lassen, so hat die Finanzbehörde die Vorladung auszusprechen, ohne dass diesbezüglich ein Ermessen eröffnet ist.
Rz. 16
Überdies muss die Versicherung an Eides statt nach Einschätzung der Finanzbehörde geeignet sein, die hinsichtlich des Wahrheitsgehalts einer vorliegenden Auskunft bestehenden Zweifel auszuräumen. Dieses ungeschriebene Merkmal ist im Weg vorweggenommener Beweiswürdigung zu prüfen. Hierzu hat sie sich davon zu überzeugen, dass den unter Abgabe der Eidesformel versicherten Angaben ein höherer Beweiswert zuzuschreiben ist, weil der Eindruck des Eides vernehmlich auf den Eidleistenden wirkt und dadurch der Beweiswert der Aussage steigt. Ist die Finanzbehörde z. B. bereits vom Gegenteil der Behauptungen des Beteiligten überzeugt, weil diese durch andere Beweismittel zweifelsfrei widerlegt werden bzw. sich der Beteiligte als steuerlich unzulässig erwiesen hat, oder hält sie die Behauptungen auch ohne eine Bekräftigung für wahr, kann eine eidesstattliche Versicherung für die Wahrheitsfindung nicht mehr förderlich sein. Insbesondere darf der Beteiligte nicht wissentlich in die Strafbarkeit getrieben werden. Angezeigt ist die eidesstattliche Versicherung dagegen u. a. zur Bekräftigung von Behauptungen, die an sich schlüssig sind, sich durch andere Beweismittel aber nicht erhärten lassen und zudem auf begründete, nicht willkürliche (Rest-)Zweifel stoßen.
Rz. 17
Sind die Voraussetzungen des § 95 AO erfüllt, so geht die eidesstattliche Versicherung einer Entscheidung nach den Regeln der Beweislast denknotwendig vor. Die Finanzbehörden müssen sich in solchen Situationen die Richtigkeit der behaupteten Tatsachen an Eides statt versic...