Rz. 52
Die Hinweispflicht nach § 76 Abs. 2 FGO betrifft weniger die Sachaufklärung durch das FG, sondern das verfassungsrechtliche Gebot eines fairen Verfahrens, effektiven Rechtsschutzes und das Verbot von Überraschungsentscheidungen durch entsprechenden Schutz und Hilfestellung durch das Gericht. Inhalt und Umfang dieser Hinweispflichten sind von der Sach- und Rechtslage des einzelnen Falls abhängig, von der Mitwirkung der Beteiligten und von deren individuellen Möglichkeiten. Die Hinweispflicht entfällt auch bei fachkundig vertretenen Beteiligten nicht von vornherein, der Umfang kann hier aber eingeschränkt sein, jedenfalls bei klar ersichtlichen Prozesserfordernissen.
Keine Verletzung der Hinweispflicht liegt vor, wenn der Prozessbevollmächtigte trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht zur mündlichen Verhandlung vor dem FG erschienen ist.
Bei einem sachkundigen Prozessbevollmächtigten stellt das Unterlassen eines Hinweises regelmäßig keinen Verfahrensmangel dar. Insbesondere bei umstrittener Rechtslage muss der Beteiligte grundsätzlich alle vertretbaren Gesichtspunkte von sich aus in Betracht ziehen. Der Anspruch auf rechtliches Gehör und die richterliche Hinweispflicht verlangen jedoch nicht, dass das Gericht die maßgebenden Rechtsfragen mit den Beteiligten umfassend erörtert oder die einzelnen entscheidungserheblichen Gesichtspunkte im Voraus andeutet oder sogar seine mögliche Beurteilung erkennen lässt. Das gilt auch dann, wenn der Beteiligte ausdrücklich um einen Hinweis gebeten hat. Eine Hinweispflicht besteht nur dann, wenn das FG auf einen Gesichtspunkt abstellen will, mit dessen Berücksichtigung ein Beteiligter schlechterdings nicht rechnen konnte.
Das FG ist auch nicht verpflichtet, fachkundig vertretenen Beteiligten Rechtsrat oder Rechtsauskünfte zu erteilen.
Der BFH unterscheidet sonach, ob der Beteiligte im Verfahren fachkundig vertreten ist. Sachgerecht ist es, nach der Fachkunde des Beteiligten sowie auch des jeweiligen Prozessvertreters zu differenzieren. Gelegentlich sind steuerliche Berater und auch Beteiligte zwar hoch kompetent, was die materiell-rechtlichen Fragen betrifft, aber – da sie nur selten bei Gericht auftreten – weniger versiert in den prozessualen Verfahrensabläufen. Deshalb kann auch bei einem fachlichen Bevollmächtigten eine gesteigerte Hinweispflicht bestehen, wenn es um komplizierte Rechtsfragen, z. B. des Unionsrechts oder ausländischen Rechts geht. Anders ist es nur, wenn die Notwendigkeit, bestimmte Tatsachen vorzutragen, auf der Hand liegt. Kritisch zu sehen ist die pauschale Meinung, das FG müsse die entscheidungserheblichen Punkte und die mögliche Beurteilung nicht im Voraus erkennen lassen. Abzustellen ist auf die Umstände des Einzelfalls. Das FG darf nicht den Eindruck erwecken, ein Punkt sei i. S. d. Klägers geklärt und weiterer Vortrag dazu nicht erforderlich, wenn es der Klage insoweit nicht folgen will. Vielmehr muss es darauf hinweisen, wenn Unklarheiten bestehen und weiterer Sachvortrag angebracht ist. Hält das FG an einem zuvor erteilten Hinweis nicht mehr fest, muss es dies deutlich zum Ausdruck bringen.
Rz. 53
Die Rüge der Verletzung der Hinweispflicht verlangt die substanziierte Darlegung,
- worauf das FG hätte hinweisen müssen,
- aus welchen Gründen es einen entsprechenden Hinweis hätte geben müssen,
- welche Fragen vom Gericht hätten gestellt werden müssen,
- was der Revisionskläger auf den Hinweis konkret noch vorgetragen hätte,
- inwiefern das angefochtene Urteil – ausgehend von der materiell-rechtlichen Auffassung des FG – auf dem Verfahrensfehler beruhen kann (Entscheidungserheblichkeit).
Kommt ein Rügeverzicht in Betracht, ist außerdem darzulegen, dass auf die Rüge des Verfahrensmangels nicht verzichtet worden ist.