Entscheidungsstichwort (Thema)
Investitionszulage 1993
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
3. Die Revision wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 120.000,– DM festgesetzt.
Tatbestand
Streitig ist, ob einer klagenden Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) die erhöhte Investitionszulage zusteht, wenn ihre Gesellschafter bereits vor dem 09.11.1989 aus der DDR geflohen sind.
Die Klägerin ist eine GbR, die seit 01.09.1993 in der Strickwarenproduktion tätig ist. An der Klägerin sind Eheleute beteiligt, deren Wohnsitz am 09.11.1989 nicht in der ehemaligen DDR (Fördergebiet) war. Die Eheleute wohnten jedoch bis zu ihrer Ausweisung am 19.05.1989 in A-Stadt (B). Sie erwarben die Strickwarenfabrik im Zuge der Reprivatisierung und nahmen seit dem 01.10.1990 die Produktion auf. Das Unternehmen beschäftigt über 100 Arbeitnehmer.
Die Klägerin beantragte am 09.03.1994 Investitionszulage für 1993 (Anschaffungskosten der begünstigten Wirtschaftsgüter: 6.537.730,DM) und begehrte u. a. die erhöhte Investitionszulage von 20 v. H. von einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 1.000.000 DM (= 200.000,– DM Investitionszulage).
Der Beklagte (das Finanzamt – FA) lehnte dies ab, und setzte mit Investitionszulagenbescheid vom 03.02.1995 die Investitionszulage für 1993 mit 8 v. H. der Bemessungsgrundlage fest.
Mit seiner hiergegen gerichteten Sprungklage, der das Finanzamt zugestimmt hat, begehrt die Klägerin weiterhin die erhöhte Investitionszulage von einer Bemessungsgrundlage von 1.000.000,– DM. Sie meint, unter dem Gesichtspunkt des Gleichheitsgrundsatzes des Grundgesetzes müsse auch der Klägerin, deren Gesellschafter ein halbes Jahr vor der Wende B verließen, die erhöhte Investitionszulage zustehen.
Die Klägerin beantragt,
den Investitionszulagenbescheid vom 03.02.1995 zu ändern und die Investitionszulage für 1993 auf 640.643,– DM festzusetzen.
Das Finanzamt beantragt,
die Klage abzuweisen.
Es meint, es bestehe kein Grund, von dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes abzugehen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf eine erhöhte Investitionszulage.
Gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. Satz 2 des Investitionszulagengesetzes 1993 hat eine Gesellschaft im Sinne des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes, die im Fördergebiet begünstigte Investitionen im Sinne des § 2 und 3 des Investitionszulagengesetzes vornimmt, unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen Anspruch auf eine Investitionszulage. Die Investitionszulage beträgt gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 2 Investitionszulagengesetz 1993 bei hier streitigen Investitionen grundsätzlich 8 v. H. der Bemessungsgrundlage.
Gemäß § 5 Abs. 2 Satz 1 Ziff. 2 a des Investitionszulagengesetzes – InvZulG – 1993 erhöht sich die Investitionszulage unter weiteren hier nicht streitigen Voraussetzungen auf 20 v. H. der Bemessungsgrundlage, wenn die Wirtschaftsgüter nach ihrer Anschaffung oder Herstellung zum Anlagevermögen eines Betriebes des verarbeitenden Gewerbes gehören und die Investitionen von einer Gesellschaft vorgenommen werden, bei der mehr als die Hälfte der Anteile unmittelbar Steuerpflichtigen zuzurechnen sind, die am 09.11.1989 einen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet hatten.
Eine unmittelbare Anwendung dieser Norm scheidet im Streitfall aus. Denn die Gesellschafter der Klägerin hatten am 09.11.1989 ihren Wohnsitz nicht im Beitrittsgebiet (Fördergebiet), sondern in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hatten bereits im Mai des Jahres 1989 die ehemalige DDR verlassen müssen.
Eine gesetzesanaloge Anwendung des § 5 Abs. 2 Satz 1 Investitionszulagengesetz 1993 scheidet mangels einer Gesetzeslücke aus.
Eine von Verfassungs wegen zulässige Gesetzesänderung durch die Rechtsprechung setzt eine Gesetzeslücke voraus (vgl. z. B. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 10.10.1961 II BvL 1/59, BVerfGE 13, 153, 164), d. h. das Gesetz oder die einzelnen Gesetzesvorschriften sind, gemessen am zugrundeliegenden Plan oder Zweck des Gesetzes, lückenhaft geblieben, der verfolgte Plan oder Zweck ist tatbestandsmäßig nicht oder nicht voll gedeckt (vgl. BFH-Urteile vom 09.08.1989 X R 30/86, BFHE 158, 45, BStBl II 1989, 898 m. w. N.; vom 22.12.1993 I R 75/93, BStBl II 1994, 578 ff).
Eine derartige Planwidrigkeit ist jedoch nicht festzustellen. Der Gesetzgeber wollte in der Tat nur solche natürlichen Personen begünstigen, die am 09.11.1989 (dem Zeitpunkt der Öffnung der Mauer) einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt in dem in Artikel 3 des Einigungsvertrages genannten Gebiet (Beitrittsgebiet) hatten (vgl. BT Drucksache 12/7427; Blümich/Selder, Komm. z. EStG, KStG, GewStG, § 5 InvZulG 1993 Rz. 4).
Die Anwendung des einfachen Rechts führt im Streitfall auch nicht zu einem Verstoß gegen Artikel 3 Abs. 1 des Grundgesetzes.
Artikel 3 Abs. 1 Grundgesetz gebietet, alle Menschen vor dem Gesetz gleich zu behandeln. Der allgemeine Gleichheitsgrundsatz verlangt, ...