Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör; Fehlen von Gründen; Inhaltsadressat und Bekanntgabeadressat eines Verwaltungsaktes; Gesamtergebnis des Verfahrens; Aussetzungszinsen und endgültige Erfolglosigkeit; Divergenz; grob gesetzwidrige Entscheidung
Leitsatz (NV)
1. Gibt das angefochtene Urteil das Vorbringen eines Beteiligten im Tatbestand wieder und nimmt es darauf in den Entscheidungsgründen Bezug, ist dem Anspruch auf rechtliches Gehör hinreichend Rechnung getragen.
2. Ein Urteil ist trotz knapp gehaltener Ausführungen dann mit Gründen versehen, wenn die Sichtweise des Beteiligten fern liegt.
3. Kommt den Überlegungen eines Beteiligten für die Entscheidung keine Bedeutung bei, muss sich das Gericht mit ihnen nicht befassen, ohne dass dies zum Verfahrensfehler des Fehlens der Entscheidungsgründe führt.
4. Die Pflicht des Gerichts, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens zu bilden, verlangt nicht, sich zu jedem Vorbringen der Beteiligten zu äußern und alle Umstände des Einzelfalls zu erörtern.
5. Für die Frage, wann ein Rechtsbehelf gegen einen Grundlagenbescheid endgültig erfolglos gewesen ist, muss im Verhältnis Grundlagen- zu Folgebescheid darauf abgestellt werden, wann das für den Folgebescheid zuständige Finanzamt von dem für den Grundlagenbescheid zuständigen Finanzamt über die Erledigung des Rechtsbehelfs in Kenntnis gesetzt worden ist.
6. Eine die einheitliche Rechtsprechung gefährdende Divergenz liegt nur vor, wenn das Finanzgericht bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine abweichende Rechtsauffassung vertritt.
7. Die Rüge der Divergenz ist unschlüssig, wenn gleichzeitig behauptet wird, das Gericht habe sich mit den die Divergenz angeblich ausmachenden Überlegungen des Beschwerdeführers gar nicht befasst.
8. Die Annahme einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung muss auf ganz ungewöhnliche Fallgestaltungen beschränkt bleiben und kommt nicht in Betracht, wenn Ansatzpunkte für die Überlegungen des Gerichts der herrschenden Meinung entsprechen oder in Besonderheiten des konkreten Falles begründet sind.
Normenkette
FGO §§ 96, 115 Abs. 2 Nrn. 2-3, § 119 Nr. 6; AO §§ 119, 237 Abs. 1 Nr. 1, § 239 Abs. 1 Nr. 5
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 27.01.2004; Aktenzeichen 13 K 13/00) |
Tatbestand
I. Die verstorbene Ehefrau des früheren Klägers und Beschwerdeführers (früherer Kläger) sowie Rechtsvorgängers des jetzigen Klägers (Kläger) war ab dem Jahre 1970 an der …Gesellschaft mbH & Co. KG (nachfolgend KG) als Kommanditistin beteiligt. Nach einer bei der KG durchgeführten Betriebsprüfung für die Jahre 1970 bis 1974 wurden die ursprünglich geltend gemachten hohen Verluste reduziert und die Feststellungsbescheide geändert. Gegen die im Februar 1978 erlassenen geänderten Feststellungsbescheide legte die KG Einspruch ein. Das Betriebsstättenfinanzamt teilte dem Beklagten und Beschwerdegegner (Wohnsitzfinanzamt --FA--) im Schreiben vom 23. Mai 1978 die Aussetzung der Vollziehung (AdV) dieser Bescheide mit.
Mit Bescheiden vom 29. Februar 1980 setzte das FA die Vollziehung der Einkommensteuer 1970 bis 1972 und der Vermögensteuer für 1972, 1974, 1975 und 1976 aus. Die Bescheide gingen an den damaligen Steuerberater "für Dr. X-X", nennen bei der Einkommensteuer den Aussetzungsbetrag in einer Summe und beziehen sich auf die Rechtsbehelfe gegen die Feststellungsbescheide für die KG und auf einen Antrag vom 11. Juni 1979, der im Betreff Herrn Dr. X-X nennt bzw. vom 15. Januar 1980.
Im August 1990 entschied das Betriebsstättenfinanzamt über den Einspruch gegen die geänderten Feststellungsbescheide. Die KG klagte gegen die Einspruchsentscheidung. Auf Grund einer im Jahre 1995 erzielten tatsächlichen Verständigung über die Besteuerungsgrundlagen erließ das Betriebsstättenfinanzamt am 5. September 1996 geänderte Grundlagenbescheide; die Erledigungserklärung der KG wurde im März 1997 abgegeben. Die ursprünglich geltend gemachten Verluste wurden zum Großteil wieder anerkannt. Das FA änderte daraufhin die Einkommensteuer- und Vermögensteuerbescheide.
Mit Zinsbescheiden vom 12. November 1997 gemäß § 237 der Abgabenordnung (AO) setzte das FA wegen der AdV der Einkommensteuer Zinsen in Höhe von … DM und der Vermögensteuer in Höhe von … DM fest. Der Zinslauf begann nach diesen Bescheiden für die Vermögensteuer am 15. Januar 1980 und für die Einkommensteuer am 20. Februar 1980. Die Zinsbescheide sind gerichtet an "Herrn und Frau Dr. A und B X-X" bzw. für "Eheleute Dr. A und B X-X". Nach einem Abhilfebescheid beträgt der gesamte Zinsbetrag … DM. Im Übrigen wurde der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen.
Seine Klage begründete der frühere Kläger damit, dass schon die AdV-Bescheide nichtig seien. Infolgedessen seien sie keine wirksame Grundlage für die Zinsbescheide. Die Nichtigkeit der AdV-Bescheide beruhe auf der fehlenden Bestimmtheit des Inhaltsadressaten. Obwohl allein die verstorbene Ehefrau des früheren Klägers Kommanditistin der KG gewesen sei, seien die Bescheide an den früheren Kläger gerichtet gewesen. Somit sei unklar, wer Inhaltsadressat sei; der frühere Kläger sei jedenfalls der falsche Inhaltsadressat. Außerdem seien die AdV-Bescheide deshalb nichtig, weil die ausgesetzten Beträge bei der Einkommensteuer in einer Summe zusammengefasst worden seien. Die Zinsbescheide seien weiter deshalb rechtswidrig, weil die Hauptschuld bereits verjährt sei. Denn die nichtigen AdV-Bescheide hätten keine Verjährungsunterbrechung bewirkt.
Die Zinsbescheide seien wegen der fehlenden Bestimmtheit des Inhaltsadressaten ebenso nichtig wie die AdV-Bescheide. Sie hätten außerdem wegen Eintritts der Festsetzungsverjährung nach § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO nicht mehr ergehen dürfen, da mit der tatsächlichen Verständigung zwischen der KG und dem Betriebsstättenfinanzamt der Rechtsbehelf gegen die Feststellungsbescheide für die KG endgültig erfolglos gewesen sei. Die Zinsbescheide seien rechtswidrig, weil hinsichtlich der Hauptschuld Zahlungsverjährung eingetreten sei und sie auch nicht Frau X-X bekanntgegeben worden seien.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) verneinte die Nichtigkeit der AdV-Bescheide mit der Begründung, dass die Angabe des früheren Klägers als Inhaltsadressaten nicht dahingehend ausgelegt werden könne, entgegen der Bezeichnung solle die verstorbene Ehefrau des früheren Klägers betroffen sein. Die Zusammenfassung der ausgesetzten Beträge in einer Summe bewirke ebenfalls keine Nichtigkeit der AdV-Bescheide. Es sei zu beachten, dass es sich hierbei nicht um den früheren Kläger unmittelbar belastende, sondern ihn begünstigende Bescheide handele. Daher würden die Anforderungen an die Bestimmtheit belastender Verwaltungsakte nicht eingreifen. Außerdem seien die Bescheide an den damaligen Bevollmächtigten des früheren Klägers gerichtet gewesen, für den in Kenntnis der Hintergründe die Höhe der ausgesetzten Beträge nicht zweifelhaft gewesen sein könne. Anders sei es nicht erklärbar, dass erst im gerichtlichen Verfahren die Nichtigkeit des AdV-Bescheides wegen unbestimmter Betragshöhe behauptet werde. Zudem ergebe sich die Berechnung der Betragshöhe nachvollziehbar aus den Steuerakten. Wegen der fehlenden Nichtigkeit der AdV-Bescheide sei für die Zinsbescheide eine Rechtsgrundlage vorhanden und die Verjährung der Hauptschuld nicht eingetreten. Der Festsetzung der AdV-Zinsen habe keine Verjährung entgegengestanden. Endgültig erfolglos sei der Rechtsbehelf der KG erst mit dem Eingang der Erledigungserklärung in dem Klageverfahren der KG geworden.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg und wird als unbegründet zurückgewiesen.
1. Der Kläger rügt, das angefochtene Urteil leide an einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO), weil das FG seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (§ 96 Abs. 2 FGO) verletzt habe. Es habe sich auf sein Vorbringen nicht eingelassen bzw. entscheidungsrelevante Teile des klägerischen Vorbringens übergangen, das sich mit der Frage befasst habe, ob die AdV-Bescheide unzweideutig und widerspruchslos darüber Aufschluss gäben, ob das FA mit der Angabe "Dr. X-X" den früheren Kläger selbst als Inhaltsadressaten oder wegen der Zusammenveranlagung der Eheleute nur als Bekanntgabeadressaten für die Ehefrau bezeichnet habe.
Die Rüge ist unbegründet. Das angefochtene Urteil gibt in seinem Tatbestand auf S. 5/6 zwar in gedrängter Form, jedoch ausreichend das klägerische Vorbringen wieder. Auch in den Entscheidungsgründen nimmt das angefochtene Urteil auf das Vorbringen des Klägers Bezug und gibt darauf eine Antwort. Damit hat das FG dem Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör hinreichend Rechnung getragen.
2. Unbegründet ist die Rüge des Klägers,im angefochtenen Urteil würden insoweit die Entscheidungsgründe i.S. des § 119 Nr. 6 FGO fehlen, als das FG seine Auffassung von der fehlenden Nichtigkeit der AdV-Bescheide nicht begründet habe, weil es insbesondere die AdV-Bescheide nicht dahingehend überprüft habe, ob die AdV-Bescheide unzweideutig und widerspruchslos darüber Aufschluss geben würden, ob der frühere Kläger tatsächlich als Inhaltsadressat oder nur als Bekanntgabeadressat für seine Ehefrau angegeben worden sei.
Zwar sind die Ausführungen des FG sehr knapp gehalten, wenn das FG in den Entscheidungsgründen ausgeführt hat: "Soweit der Bescheid als Inhaltsadressaten Dr. X-X angibt, kann dies nach Auffassung des Senats jedoch nicht dahingehend ausgelegt werden, dass --entgegen der Bezeichnung-- gleichwohl B X-X betroffen sein soll. … Eine Nichtigkeit des Bescheides ergibt sich hieraus indes nicht." Angesichts der Eindeutigkeit der Formulierung in dem Bescheid sind die Ausführungen des FG jedoch ausreichend, weil die vom Kläger angeführten Möglichkeiten der Interpretation der Namensangabe fern liegen. Die vom FA gewählte Adressierung "… Für ihre(n) Mandant(en) Dr. X-X" --weibliche Form "Mandantin" ausdrücklich durchgestrichen-- schließt entgegen der Auffassung des Klägers die Annahme aus, damit könnten entweder "Herr Dr. X-X" oder "Frau Dr. X-X" oder auch "das Ehepaar Dr. A und B X-X" gemeint sein. Sollte Dr. X-X als Inhaltsadressat nicht in Frage kommen, was dahingestellt bleiben kann, so ergäbe sich daraus allenfalls die Rechtswidrigkeit der AdV-Bescheide, nicht jedoch deren Nichtigkeit.
Genauso fernliegend wie die vom Kläger angeführten Zweifel an der Person des Inhaltsadressaten ist seine Frage, ob Dr. X-X als Bekanntgabeadressat für Frau X-X gemeint gewesen sein könnte. Dagegen spricht, dass Bekanntgabeadressat der AdV-Bescheide der Steuerberater war, dem die Bescheide schon nach ihrem Wortlaut "für Dr. X-X" bekanntgegeben worden sind.
3. Als weiteren Verfahrensmangel macht der Kläger geltend,das FG habe zur hinreichenden Bestimmtheit des verfügenden Teils des AdV-Bescheides vom 29. Februar 1980 hinsichtlich der Einkommensteuer für 1970 bis 1972 nicht das Gesamtergebnis des Verfahrens zugrunde gelegt. Es habe den im Schreiben des früheren Klägers vom 28. April 2001 in C.I.3. (S. 10 f. Buchst. a bis d) enthaltenen Vortrag zur Bestimmtheit des verfügenden Teils des AdV-Bescheides bei seiner Überzeugungsbildung nicht berücksichtigt.
Der Kläger lässt bei dieser Rüge außer Acht, dass die Pflicht des Gerichts, seine Überzeugung aus dem Gesamtergebnis der Verhandlung zu bilden, das Gericht nicht verpflichtet, sich zu jedem Vorbringen der Beteiligten zu äußern (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a) und alle Umstände des Einzelfalls zu erörtern (Senatsbeschluss vom 3. Juni 2003 X B 102/02, BFH/NV 2003, 1209). Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das Vorbringen der Beteiligten zur Kenntnis genommen und auch denjenigen Akteninhalt in Erwägung gezogen hat, mit dem es sich in den schriftlichen Entscheidungsgründen nicht ausdrücklich auseinandergesetzt hat (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 27. September 1999 I B 83/98, BFH/NV 2000, 673, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 10. Februar 2005 X B 179/03, BFH/NV 2005, 1117). Die Ausführungen des FG sowohl im Tatbestand des angefochtenen Urteils wie in dessen Entscheidungsgründen lassen trotz ihrer Knappheit daran keine Zweifel. Dass das FG den Sachverhalt anders als der Kläger würdigt, rechtfertigt die Annahme des behaupteten Verfahrensmangels nicht.
4. Der Kläger rügt weiter das Fehlen der Entscheidungsgründe, soweit es um die Frage geht, ob der Zinsfestsetzung Festsetzungsverjährung entgegengestanden habe. Er führt aus, das FG habe sich lediglich mit dem Argument des Klägers befasst und dieses zurückgewiesen, dass die im Klageverfahren der KG erzielte tatsächliche Verständigung bereits zur endgültigen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs geführt habe. Dagegen habe es jegliche Auseinandersetzung mit der in der Klagebegründung (S. 16 unter 3.c) und im Schriftsatz vom 23. Januar 2004 (S. 6 f. unter C.III.7.) angeführten Überlegung unterlassen, die tatsächliche Verständigung sei als Änderungsantrag bzw. Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 132 AO zu werten, weshalb der Rechtsbehelf der KG gegen die Grundlagenbescheide bereits zu diesem Zeitpunkt endgültig erfolglos gewesen sei.
Dem Kläger ist zuzustimmen, dass nach der Rechtsprechung des BFH die Entscheidungsgründe nicht nur dann fehlen, wenn die Entscheidung überhaupt nicht mit Gründen versehen ist, sondern bereits dann, wenn das FG einen selbständigen prozessualen Anspruch oder ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel mit Stillschweigen übergangen hat (vgl. BFH-Entscheidungen vom 12. Juni 2001 VII R 67/00, BFH/NV 2002, 80, und vom 19. Oktober 2001 V B 48/01, BFH/NV 2002, 369, jeweils m.w.N.). Unter selbständigen Ansprüchen und selbständigen Angriffs- und Verteidigungsmitteln sind die eigenständigen Klagegründe und solche Angriffs- und Verteidigungsmittel zu verstehen, die einen vollständigen Tatbestand einer mit selbständiger Wirkung ausgestalteten Rechtsnorm bilden (BFH-Urteile in BFH/NV 2002, 80; vom 2. Oktober 2001 IX R 25/99, BFH/NV 2002, 363, jeweils m.w.N.).
Der Kläger übersieht bei seiner Überlegung jedoch, dass bei der Beurteilung eines Bescheides über Zinsen wegen der AdV eines Einkommensteuerbescheides als Folgebescheid der Frage, ob und wann ein Rechtsbehelf gegen einen Grundlagenbescheid endgültig erfolglos ist, auf Grund des besonderen Verhältnisses von Grundlagen- und Folgebescheid nur eine eingeschränkte Bedeutung zukommt. Es kann daher dahingestellt bleiben, ob seiner Ansicht gefolgt werden könnte, dass die tatsächliche Verständigung über die Beendigung des Rechtsstreits der KG um den Feststellungsbescheid als Änderungsantrag bzw. Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 132 AO mit der Folge zu werten sei, dass deshalb der Rechtsbehelf der KG bereits zu diesem Zeitpunkt endgültig erfolglos gewesen sei. Auf die Folgebescheide --hier die Einkommensteuerbescheide gegen die Eheleute X-X-- könnte sich diese Annahme frühestens ab dem Zeitpunkt einer entsprechenden Mitteilung des zuständigen Betriebsstättenfinanzamts an das FA auswirken. Ohne eine solche Mitteilung hatte das FA keinen Anlass, den Folgebescheid zu ändern und von einer endgültigen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs gegen den Grundlagenbescheid auszugehen. Infolgedessen wurde die Frist des § 239 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 AO für den Erlass eines AdV-Zinsbescheides durch die tatsächliche Verständigung im Verfahren der KG gegen das Betriebsstättenfinanzamt selbst bei deren Wertung als Änderungsantrag bzw. einer Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 132 AO nicht in Gang gesetzt. Der Überlegung des Klägers kommt deshalb für die Entscheidung des FG keine Bedeutung bei. Das FG hatte keinen Anlass, sich insoweit mit dem Vorbringen des Klägers zu befassen. Mangels Entscheidungserheblichkeit dieses Vorbringens kann das angefochtene Urteil auf dem behaupteten Verfahrensfehler nicht beruhen.
5. Der Kläger macht geltend, das angefochtene Urteil weiche von der Rechtsprechung des BFH zur Frage der hinreichenden Bestimmtheit der Angabe des Inhaltsadressaten der AdV-Bescheide ab.
Die behauptete Abweichung liegt nicht vor. Von einer die einheitliche Rechtsprechung gefährdenden Abweichung i.S. der 2. Alternative des § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO kann nur gesprochen werden, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH (Senatsbeschluss vom 20. Dezember 2005 X B 10/05, BFH/NV 2006, 777; vgl. Gräber/ Ruban, a.a.O., § 115 Rz 48). Daran fehlt es. Während der BFH in den vorgeblichen Divergenzentscheidungen vom 17. Juli 1986 V R 96/85 (BFHE 147, 211, BStBl II 1986, 834) und vom 19. Februar 1992 II B 100/91 (BFH/NV 1992, 784) auf Grund der jeweils besonderen Sachverhaltsgestaltung die Frage als zweifelhaft angesehen hat, ob der im Verwaltungsakt als Empfänger Genannte vom Finanzamt als Inhaltsadressat oder als Bekanntgabeadressat angesprochen war, hatte das FG keine Zweifel, dass die AdV-Bescheide an den früheren Kläger nur als Inhaltsadressat und nicht als Bekanntgabeadressat gerichtet waren.
Die Auffassung des FG ist durch die tatsächlichen Verhältnisse gedeckt. Bekanntgabeadressat des Verwaltungsaktes ist unzweifelhaft der damalige Steuerberater des früheren Klägers und seiner Ehefrau gewesen. Deshalb scheidet der frühere Kläger als Bekanntgabeadressat aus. Zweifel an seiner Stellung als Inhaltsadressat haben sich daher zu Recht dem FG nicht gestellt. Ob das FA den früheren Kläger als Inhaltsadressat ansehen durfte, ist eine davon zu unterscheidende Frage, die allerdings nicht die Frage der Bestimmtheit des Verwaltungsaktes berührt.
6.Nichtschlüssig ist die Rüge des Klägers, das angefochtene Urteil weiche von den Entscheidungen des BFH vom 27. November 1991 X R 103/89 (BFHE 166, 311, BStBl II 1992, 319) und vom 7. Juli 1994 XI B 3/94 (BFHE 174, 486, BStBl II 1994, 785) ab.
Der Kläger bringt vor, diesen Entscheidungen liege die Annahme zugrunde, dass § 237 Abs. 1 Satz 1 AO jede Art der Erledigung meine, und ein Rechtsbehelf endgültig erfolglos sei, wenn der Rechtsbehelfsführer sein Rechtsbehelfsbegehren einschränke, weil er einer Änderung des angefochtenen Verwaltungsaktes nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 132 AO zustimme, selbst wenn dem Rechtsbehelf nicht in vollem Umfang stattgegeben werde. Dagegen beruhe das angefochtene Urteil auf dem Rechtssatz, dass nur die Erledigung des Rechtsmittels durch übereinstimmende Erledigungserklärungen i.S. des § 138 FGO zur endgültigen Erfolglosigkeit des Rechtsbehelfs führe und dass andere Arten der Erledigung nicht in Betracht kämen.
Dieses Vorbringen rechtfertigt keine Annahme einer Divergenz. Zum einen ist bereits oben unter II.4. dargelegt, dass der Überlegung des Klägers für die Entscheidung des FG keine Bedeutung beikommt, so dass die behauptete Abweichung für das angefochtene Urteil unerheblich wäre. Zum anderen trägt der Kläger selbst vor, das FG habe jegliche Auseinandersetzung mit seiner Überlegung unterlassen, die tatsächliche Verständigung sei mit der Folge als Änderungsantrag bzw. Zustimmung nach § 172 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 132 AO zu werten, dass der Rechtsbehelf der KG gegen die Grundlagenbescheide bereits zu diesem Zeitpunkt endgültig erfolglos gewesen sei. Hat sich das FG mit diesen Überlegungen nicht befasst, so kann aus dem Umstand, dass es im Streitfall auf prozessuale Erledigungserklärungen als Kriterium der endgültigen Erfolglosigkeit abgestellt hat, nicht gefolgert werden, es habe den Rechtssatz aufgestellt, andere Arten der Erledigungen kämen nicht in Betracht.
7. Der Kläger rügt, das angefochtene Urteil weiche hinsichtlich der Adressierung der Zinsbescheide von der Entscheidung des BFH vom 6. Oktober 1987 VIII R 82/87 (BFH/NV 1988, 216) ab. Diesem Urteil entnimmt er den abstrakten Rechtssatz, "erfüllt nur ein Ehegatte die Voraussetzung, an die das Gesetz einen Steuer- bzw. Zinsanspruch anknüpft, so ist ein an beide Ehegatten gerichteter diesbezüglicher Steuer- bzw. Zinsbescheid unwirksam". Dagegen besage das angefochtene Urteil, dass ein an beide zusammenveranlagte Ehegatten gerichteter Zinsbescheid nicht deshalb unwirksam sei, weil die Vollziehung der Steuern nur gegenüber einem Ehegatten ausgesetzt worden sei. Verallgemeinernd lasse sich daraus der abstrakte Rechtssatz ableiten: "Erfüllt nur ein Ehegatte die Voraussetzung, an die das Gesetz einen Steuer- bzw. Zinsanspruch anknüpft, so ist ein an beide zusammenveranlagte Ehegatten gerichteter diesbezüglicher Steuer- bzw. Zinsbescheid deshalb nicht unwirksam."
Der Kläger lässt bei dieser Rüge außer Acht, dass zum einen in der behaupteten Divergenzentscheidung und dem angefochtenen Urteil unterschiedliche Sachverhalte zu beurteilen waren, und zum anderen sich die Rechtsprechung mit der Folge weiter entwickelt hat, dass eine Abweichung zu verneinen ist.
In dem BFH-Urteil in BFH/NV 1988, 216 war ein Subjekt der Gewerbesteuer namens "Herr und Frau A H", wie dies die Adresse des Bescheides auswies, jedenfalls bezüglich der vom dortigen Kläger ausgeübten Aktivitäten, die den materiell-rechtlichen Gegenstand des Bescheides darstellten, nicht denkbar, so dass ein Rechtsgrund für den Erlass eines derartig adressierten Gewerbesteuermessbescheides nicht ersichtlich war. Damit ist der Streitfall nicht zu vergleichen, in dem ohne Weiteres denkbar ist, dass sowohl der frühere Kläger wie seine Ehefrau als Schuldner der AdV-Zinsen in Betracht kommen können.
Dieser Konstellation trägt die neuere Rechtsprechung Rechnung, die dann, wenn die als Steuerschuldner bezeichnete Person als Steuerschuldner tauglich ist und deshalb möglicher Adressat des betreffenden Verwaltungsaktes sein kann, den Steuerbescheid auch dann als rechtswirksam behandelt, wenn die angegebene Person tatsächlich nicht der richtige Steuerschuldner sein sollte (vgl. BFH-Urteile vom 14. September 1989 IV R 85/88, BFH/NV 1990, 591, und vom 16. Dezember 1997 VIII R 32/90, BFHE 185, 190, BStBl II 1998, 480).
8. Schließlich hält der Kläger eine Entscheidung des BFH zur Sicherung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO mit der Begründung für erforderlich, das Urteil leide an gravierenden Rechtsanwendungsfehlern und sei deshalb in mehrfacher Hinsicht greifbar gesetzwidrig.
a) Er bringt vor, offenkundig greifbar gesetzwidrig sei die Auffassung des FG, bei begünstigenden Verwaltungsakten wie einem AdV-Bescheid seien an das gesetzliche Erfordernis der hinreichenden Bestimmtheit weniger strenge Anforderungen zu stellen. Diese Ansicht entbehre jeglicher Grundlage. § 119 AO mache keinerlei Unterschied zwischen einem belastenden und einem begünstigenden Verwaltungsakt, zumal der AdV-Bescheid ein Grundlagenbescheid i.S. des § 171 Abs. 10 AO für einen AdV-Zinsbescheid und deshalb zumindest ein Verwaltungsakt mit Doppel- bzw. Mischwirkung sei. Die Auffassung des FG finde in der Rechtsprechung keine Stütze, weil der BFH mehrfach dem AdV-Bescheid mit der Folge Tatbestandswirkung zugesprochen habe, dass die Verfügung verbindlich Umfang und Dauer der Aussetzung bestimme. Die genaue Höhe des von der Vollziehung ausgesetzten Steuerbetrags sei zudem maßgeblich für den Umfang der AdV-Zinsen. Ohne die hinreichende Bestimmung der ausgesetzten Steuerbeträge könne infolgedessen der Umfang der Verzinsung nicht rechtmäßig festgelegt werden. Der Standpunkt des FG widerspreche dem Schrifttum. Danach sei ein Verwaltungsakt nicht hinreichend bestimmt, in dem die Steuern mehrerer Jahre in ungeteilter Summe zusammengefasst seien (Tipke in Tipke/Kruse, Abgabenordnung, Finanzgerichtsordnung, § 119 AO Rz 5). Für AdV-Bescheide werde die genaue Angabe der ausgesetzten Steuer nach Steuerart, Zeitraum und Betrag sowie des Beginns und der Dauer der AdV verlangt (Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler --HHSp--, § 119 AO Rz 67 i.V.m. Rz 106; Frotscher in Schwarz, AO, § 119 Rz 8 - Stichwort "Stundung und Erlass, Aussetzung der Vollziehung"). Die offenkundige greifbar gesetzwidrige Entscheidung des FG mache eine Entscheidung des BFH erforderlich.
Offenkundig greifbar gesetzwidrig, weil auf einem gravierenden unerträglichen Rechtsverstoß beruhend und mit der vorliegenden Rechtsprechung schlechthin unvereinbar, sei das angefochtene Urteil weiter durch die Methodik der vorgenommenen Auslegung des Regelungsinhalts des AdV-Bescheides. Das FG stelle die anerkannten Auslegungsregeln auf den Kopf, wenn es auf einen Anhalt in der bekanntgegebenen Regelung verzichte, sondern auf den Informationsstand des Bevollmächtigten des früheren Klägers abstelle und zudem die Akten der Finanzbehörde zur Auslegung heranziehe, ohne dass diese dem Kläger bekannt sein müssten. Dagegen seien nach ständiger Rechtsprechung Verwaltungsakte unter Heranziehung des Rechtsgedankens des § 133 des Bürgerlichen Gesetzbuchs auszulegen. Dabei müsse die Auslegung zumindest einen Anhaltspunkt in der bekanntgegebenen Regelung haben, wobei der objektive Erklärungsinhalt der Regelung maßgebend sei, wie ihn der Steuerpflichtige nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben habe verstehen können. Von allem könne bei dem Vorgehen des FG keine Rede sein.
Das Urteil sei schließlich bezüglich der Bestimmtheit des Zinsschuldners greifbar gesetzwidrig. Die Ansicht des FG zur Bestimmtheit des Zinsbescheides beruhe auf einem Fehler bei der Gesetzesauslegung, der von einigem Gewicht und zudem geeignet sei, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu schädigen. Die Rechtsansicht des FG sei mit der Rechtsprechung zur Bestimmtheit des Steuer- bzw. Zinsschuldners schlechthin unvereinbar. Danach sei Schuldner der AdV-Zinsen der Rechtsbehelfsführer oder wer den Bescheid angefochten habe. Habe das von mehreren Gesamtschuldnern nur einer getan, so schulde nur dieser AdV-Zinsen. Weiter erfordere das Gebot der Bestimmtheit, dass ein Bescheid nicht in der Weise an mehrere Schuldner gerichtet werde, dass es den Schuldnern überlassen bleibe zu ermitteln, welcher Teil der Schuld auf welchen Schuldner entfalle. Es müsse der richtige Schuldner angegeben werden. Das FG hätte beachten müssen, dass sich die Gesamtschuld auf Grund einer Zusammenveranlagung bei der Einkommensteuer nicht auf die AdV-Zinsen erstrecke. Die AdV habe nicht die Ehefrau des früheren Klägers betroffen, so dass ihr gegenüber der Steueranspruch wegen Eintritts der Zahlungsverjährung bereits erloschen gewesen sei, sie also als Schuldnerin der AdV-Zinsen nicht in Betracht habe kommen können.
b) Die Annahme einer greifbar gesetzwidrigen Entscheidung muss auf ganz ungewöhnliche Fallgestaltungen beschränkt bleiben (Senatsbeschluss vom 22. Oktober 1998 X B 163/98, BFH/NV 1999, 504). So kann eine greifbare Gesetzwidrigkeit bejaht werden, wenn eine Entscheidung jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt, auf einer Gesetzesauslegung beruht, die offensichtlich Wortlaut und Gesetzeszweck widerspricht und die eine Gesetzesanwendung zur Folge hat, die durch das Gesetz ersichtlich ausgeschlossen werden sollte (BFH-Beschlüsse vom 5. März 2001 III B 119/00, BFH/NV 2001, 1036, und vom 8. Februar 2006 III B 128/04, BFH/NV 2006, 1116), oder wenn das FG eine offensichtlich einschlägige entscheidungserhebliche Vorschrift übersehen hat oder eine solche Vorschrift völlig unvertretbar ausgelegt hat. Nach Auffassung des beschließenden Senats beruht nur in solchen Fällen die Entscheidung auf einem gravierenden, unerträglichen und außerdem offenkundigen, d.h. ohne Weiteres erkennbaren Rechtsverstoß, so dass sie als mit der vorliegenden Rechtsprechung schlechthin unvereinbar und an einem so schweren Rechtsfehler leidend angesehen werden kann, dass sie bei verständiger Würdigung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheinen kann.
Ein solcher Mangel ist mit dem Vorbringen des Klägers nicht dargetan.
aa) Der Ansatz des FG, für die Würdigung der Wirksamkeit der vom Kläger als nichtig betrachteten AdV-Bescheide von ihrem Charakter als begünstigende Verwaltungsakte auszugehen, entspricht der herrschenden Meinung (Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 361 Rz 21; Pahlke/Koenig/Pahlke, Abgabenordnung § 361 Rz 68; Seer in Tipke/Kruse, a.a.O., § 361 AO Rz 9), so dass die sich daraus vom FG abgeleiteten Folgerungen nicht als mit der vorliegenden Rechtsprechung schlechthin unvereinbar und an einem so schweren Rechtsfehler leidend angesehen werden können, dass sie bei verständiger Würdigung unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheinen können.
bb) Entsprechendes gilt für die Kritik des Klägers an der vom FG vorgenommenen Auslegung des Regelungsinhalts des AdV-Bescheides. Es ist anerkannt, dass bei der Auslegung eines Verwaltungsaktes ausschlaggebend ist, wie der Betroffene dessen materiellen Gehalt verstehen musste (Klein/Brockmeyer, a.a.O., § 119 Rz 5; Pahlke/Koenig/Pahlke, a.a.O., § 119 Rz 8; Güroff in Beermann/Gosch, AO § 119 Rz 6; Söhn in HHSp, § 118 AO Rz 391; Tipke in Tipke/Kruse, a.a.O., § 118 AO Rz 51). Wird somit auf den Empfängerhorizont abgestellt, kann der Ansatz des FG, die Kenntnis des früheren Klägers und seines Bevollmächtigten im Besteuerungsverfahren bei der Auslegung des AdV-Bescheides zu berücksichtigen, keinesfalls einen gravierenden, unerträglichen und außerdem offenkundigen, d.h. ohne Weiteres erkennbaren Rechtsverstoß bewirken.
cc) Entgegen der Ansicht des Klägers ist das angefochtene Urteil bezüglich der Bestimmtheit des Zinsschuldners nicht greifbar gesetzwidrig. Zum einen durfte das FG bei seiner Entscheidung berücksichtigen, dass der steuerliche Vertreter des früheren Klägers im Schreiben vom 1. Juni 1979 für den früheren Kläger die AdV der Einkommensteuer beantragt hatte, was wegen dessen Zusammenveranlagung mit seiner Ehefrau --der Beteiligten an der KG-- Sinn machte. Von daher war es vertretbar, wenn das FA den früheren Kläger als Zinsschuldner in Anspruch nahm. Ebenso nachvollziehbar ist die Überlegung, die Ehefrau des früheren Klägers auf Grund des Umstandes, dass ihr als Gesamtschuldnerin die AdV der Einkommensteuer jedenfalls in der Praxis zugute kommt, ebenfalls als Zinsschuldnerin heranzuziehen. Selbst wenn diese Vorgehensweise in Widerspruch zu der Rechtslage stehen sollte, was bei der Beurteilung der Nichtzulassungsbeschwerde dahingestellt bleiben kann, wäre ein Fehler auf Grund der Besonderheiten des konkreten Falles nicht derart gravierend und offenkundig, dass er die Wertung als greifbar gesetzwidrig rechtfertigen würde.
Fundstellen
Haufe-Index 1995779 |
BFH/NV 2008, 1116 |
AO-StB 2008, 179 |