Entscheidungsstichwort (Thema)
Fristbewehrte Aussetzung nach § 74 FGO bei Aufrechnung mit rechtswegfremder Gegenforderung
Leitsatz (NV)
1. Das FG kann das Verfahren gemäß § 74 FGO aussetzen, um eine Entscheidung des zuständigen Zivilgerichts über das Bestehen einer Aufrechnungsgegenforderung herbeizuführen, und dem aufrechnenden Verfahrensbeteiligten eine Frist zur Erhebung der entsprechenden Klage setzen.
2. Dem Aufrechnenden wird der Rechtsschutz nicht verweigert, wenn zum Zeitpunkt der Begründung der Beschwerde gegen die Verfahrensaussetzung die vom FG gesetzte Frist zur Klageerhebung bereits abgelaufen war. Denn solange über die erhobene Beschwerde nicht entschieden ist, darf das FG trotz fehlender Klageerhebung vor dem Zivilgericht die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht als erwiesen ansehen.
3. Bestätigt der BFH die Aussetzungsentscheidung, kann das FG - ggfs. nach erneuter Fristsetzung zur Klageerhebung vor dem Zivilgericht - die für den Aufrechnenden negative Entscheidung über die Gegenforderung treffen, wenn dieser der Aufforderung zur Klageerhebung nicht nachkommt.
Normenkette
FGO §§ 74, 143 Abs. 1, § 155; ZPO § 322 Abs. 2
Tatbestand
Mit der beim Finanzgericht (FG) anhängigen Klage begehrt die Klägerin und Beschwerdegegnerin (Klägerin) die Auszahlung eines bei dem Gesellschafter A entstandenen Umsatzsteuer-Erstattungsanspruchs. Zur Begründung trägt sie vor, dieser Anspruch sei an sie abgetreten und die Abtretung dem Beklagten und Beschwerdeführer (Finanzamt - FA -) am 21. Juli ... offengelegt worden. Es treffe nicht zu, daß dieser Erstattungsanspruch durch Aufrechnung des FA mit einer gepfändeten Gegenforderung erloschen sei. Denn die vom FA mit Pfändungsverfügung vom 28. November ... gepfändete angebliche Forderung der X-GmbH gegen A, mit der das FA in der Folgezeit gegen den Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch aufgerechnet habe, habe nicht bestanden; sie sei bereits während des Konkursverfahrens der X-GmbH durch gegenseitige Verrechnung zwischen der GmbH und dem Gesellschafter A erloschen.
Das FA hält demgegenüber an der Behauptung fest, die gepfändete Forderung der X-GmbH gegen A habe zum Zeitpunkt der Pfändung noch bestanden, so daß mit ihr gegen den Erstattungsanspruch aus Umsatzsteuer wirksam habe aufgerechnet werden können.
Das FG setzte das Verfahren gemäß § 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) aus und setzte dem FA eine Frist zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens der Forderung vor dem ordentlichen Gericht bis zum .... Zur Begründung führte es aus, für das vorliegende Verfahren sei das Bestehen der vom FA gepfändeten Forderung der X-GmbH gegen den Gesellschafter A streitentscheidend. Habe die Forderung zum Zeitpunkt der Pfändung bestanden, sei der von der Klägerin beanspruchte Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch durch Aufrechnung des FA erloschen. Andernfalls stehe der Umsatzsteuer-Erstattungsanspruch der Klägerin als Abtretungsempfängerin zu.
Es sei daher zweckmäßig, das Verfahren bis zur Entscheidung dieser zivilrechtlichen Vorfrage gemäß § 74 FGO auszusetzen und dem FA eine Frist zur Klageerhebung vor dem ordentlichen Gericht zu setzen.
Mit seiner Beschwerde macht das FA geltend, es sei unzweckmäßig, wenn ein anderes Gericht tätig würde. Die Vorfrage gehöre zwar in das bürgerliche Recht. Um sie aber zu entscheiden, komme es ausschließlich auf das Bilanzsteuerrecht an. In steuerlichen Fragen habe das FG die größere Erfahrung und Sachkunde. Aus diesem Grunde sollte der Rechtsstreit auch von ihm allein entschieden werden. Im übrigen könne nach § 74 FGO nur ausgesetzt werden, wenn das Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses den Gegenstand eines anderen anhängigen Rechtsstreits bilde. An dieser Voraussetzung fehle es im Streitfall.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Der erkennende Senat hat in seinen Entscheidungen vom 6. August 1985 VII B 3/85 (BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672) und vom 23. Februar 1988 VII R 52/85 (BFHE 152, 317, BStBl II 1988, 500) unter Berücksichtigung der von den anderen obersten Bundesgerichten zu dieser Rechtsfrage vertretenen Auffassungen entschieden, daß das FG im Fall der Aufrechnung mit einer bürgerlich-rechtlichen Forderung, die klageweise nur vor den Zivilgerichten geltend gemacht werden könne, gegen Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis mit Rücksicht auf die Rechtskraftwirkung nach § 155 FGO, § 322 Abs. 2 der Zivilprozeßordnung (ZPO) und die Vorgreiflichkeit der in den Bereich der Zivilgerichte fallenden Entscheidung jedenfalls befugt sei, das Verfahren nach § 74 FGO bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Gegenforderung auszusetzen und dem mit der umstrittenen Gegenforderung aufrechnenden Beteiligten - soweit noch nicht erfolgt - eine Frist zur Erhebung der Klage auf Feststellung des Bestehens dieser Forderung in dem für diese zuständigen Rechtswege zu setzen. Erhebe der Aufrechnende die Klage vor dem anderen Gericht nicht innerhalb der ihm gesetzten Frist, so könne das Gericht in dem anhängigen Verfahren das Bestehen der Gegenforderung als nach den Grundsätzen der objektiven Beweislast nicht erwiesen behandeln (Urteil des Bundesgerichtshofs - BGH - vom 11. Januar 1955 I ZR 106/53, BGHZ 16, 124) und ohne Berücksichtigung der Aufrechnung entscheiden. Durch eine Entscheidung dieses Inhalts, die keine Rechtskraftwirkung nach § 322 Abs. 2 ZPO habe, sei der aufrechnende Beklagte auch im Falle des Prozesses mit dem ursprünglichen Gläubiger der Klageforderung nicht gehindert, die behauptete Gegenforderung später noch auf dem zuständigen Rechtsweg einzuklagen (BGHZ 16, 124, 140; Urteil des Bundessozialgerichts vom 26. Juni 1963 I RA 21/60, Neue Juristische Wochenschrift 1963, 1844; Eyermann/Fröhler, Verwaltungsgerichtsordnung, 8. Aufl., § 40 Rdnr. 40, § 94 Rdnr. 4).
Die Vorentscheidung entspricht den vom Senat entwickelten Rechtsgrundsätzen über das Verfahren bei der Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung. Das FG hat das Verfahren gemäß § 74 FGO ausgesetzt, um eine Entscheidung des nach der Rechtswegregelung zuständigen Zivilgerichts über das Bestehen der Aufrechnungsgegenforderung herbeizuführen. Es hat auch zu Recht die Frist zur Erhebung der Klage über das Bestehen der Gegenforderung dem aufrechnenden Verfahrensbeteiligten - hier dem FA - gesetzt. Damit hat das FG der Beweislastverteilung bei der Aufrechnung, die dahingeht, daß derjenige, der eine Forderung zur Aufrechnung stellt, deren Bestehen beweisen muß (vgl. Baumgärtel, Handbuch der Beweislast im Privatrecht, § 387 BGB, m.w.N.), Rechnung getragen.
Die Tatsache, daß zum Zeitpunkt der Beschwerdebegründung des FA die ihm gesetzte Frist zur Klageerhebung vor dem Zivilgericht bereits abgelaufen war, führt nicht etwa dazu, daß das FG den bei ihm anhängigen Rechtsstreit auf unabsehbare Zeit in der Schwebe läßt und so der Klägerin den Rechtsschutz verweigert.
Solange über die vom FA erhobene Beschwerde nicht entschieden ist, darf das FG trotz fehlender Klageerhebung vor dem Zivilgericht die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung nicht als nicht erwiesen ansehen. Erst wenn der Bundesfinanzhof (BFH) die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens bestätigt, kann das FG - ggf. nach erneuter angemessener Fristsetzung zur Klageerhebung vor dem Zivilgericht - die für das FA negative Entscheidung über die Gegenforderung treffen, wenn dieses der Aufforderung zur Klageerhebung nicht nachkommt.
Der angegriffene Aussetzungsbeschluß ist unter diesen Umständen aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Wie sich aus den dargelegten Rechtsgrundsätzen und der dort angeführten Rechtsprechung des Senats ergibt, liegt es im Streitfall, in dem der Abtretungsempfänger klagt, im Ermessen des FG, ob es im Interesse der Prozeßökonomie und der Vermeidung widerstreitender Entscheidungen (vgl. BFHE 144, 207, BStBl II 1985, 672, 674) das Klageverfahren nach § 74 FGO unter Setzung einer Frist, den Rechtsstreit bei dem anderen Gericht anhängig zu machen, aussetzt oder ob es das Verfahren in der Weise fortführt, daß es selbst über das Bestehen der Gegenforderung entscheidet. Gründe, die darauf schließen ließen, daß das FG sein Ermessen nicht entsprechend dem Zweck der Ermächtigung in § 74 FGO ausgeübt oder die dort gesetzten Grenzen des Ermessens nicht eingehalten hat, sind vom beschwerdeführenden FA nicht vorgetragen worden; sie sind auch nicht ersichtlich.
Eine Kostenentscheidung ist nicht erforderlich, da durch die Beschwerdeentscheidung nicht ein Verfahren i.S. des § 143 Abs. 1 FGO beendet worden ist. Daran fehlt es schon deshalb, weil die Beschwerde sich gegen eine Entscheidung des FG richtet, die - im Rahmen des durch Klage eingeleiteten Hauptverfahrens - von Amts wegen getroffen und deshalb nicht durch Rechtsbehelf eines Verfahrensbeteiligten veranlaßt worden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 20. Oktober 1987 VII B 82/87, BFH/ NV 1988, 387, 388).
Fundstellen
Haufe-Index 418874 |
BFH/NV 1994, 479 |