Entscheidungsstichwort (Thema)
Keine Anknüpfung der Besteuerung eines GmbH-Geschäftsführers an den Sitz der Gesellschaft, sondern an den Tätigkeitsort des Geschäftsführers
Leitsatz (NV)
Der Beschluß des Großen Senats des BFH vom 15. November 1971 GrS 1/71 (BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68) über den Tätigkeitsort des Geschäftsführers einer GmbH am Sitz der Gesellschaft ist zum DBA- Schweiz 1931/1959 ergangen. Er ist auf andere Doppelbesteuerungsabkommen nicht anzuwenden (Bestätigung des Senatsurteils vom 5. Oktober 1994 I R 67/93, BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95). In einem Rechtsstreit, in dem über einen entsprechenden Sachverhalt zu entscheiden war, der dem DBA-Kanada unterfällt, bedurfte es deshalb keiner erneuten Anrufung des Großen Senats.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2, § 126 Abs. 5; GG Art. 101 Abs. 1 S. 2, Art. 103 Abs. 1; DBA CAN Art. 15, 23
Verfahrensgang
Gründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
1. Die von den Klägern und Beschwerdeführern (Kläger) aufgeworfene Rechtsfrage danach, ob das Finanzgericht (FG) im zweiten Rechtsgang an das vorangegangene und zurückverweisende Urteil des Bundesfinanzhofs -- BFH -- (hier: Senatsurteil vom 5. Oktober 1994 I R 67/93, BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95) auch dann gebunden ist (§126 Abs. 5 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --), wenn der BFH hierdurch Verfassungsrecht verletzt hat, wäre in einem nachfolgenden Revisionsverfahren nicht klärungsfähig. Das Urteil des erkennenden Senats in BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95 verletzt kein Verfassungsrecht.
a) Nach §126 Abs. 5 FGO hat das Gericht, an das die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen ist, seiner Entscheidung die rechtliche Beurteilung des BFH zugrunde zu legen. Die Bindung entfällt nur dann, wenn sich im zweiten Rechtsgang ein anderer Sachverhalt ergibt oder wenn nach der Zurückverweisung eine rückwirkende Gesetzesänderung oder eine Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung eintritt (Beschluß des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes -- GmS-OGB -- vom 6. Februar 1973 GmS-OGB 1/72, BFHE 109, 206). Derartige Ausnahmefälle liegen im Streitfall nicht vor. Grundsätzlich im gleichen Umfang wie das FG ist auch der erkennende Senat an die dem zurückverweisenden Urteil zugrundeliegende Rechtsauffassung gebunden (sog. Selbstbindung des Revisionsgerichts im zweiten Rechtsgang; vgl. Beschluß in BFHE 109, 206; BFH-Beschluß vom 4. Oktober 1973 GrS 8/70, BFHE 110, 322, BStBl II 1974, 12). Diese Bindung ist unabhängig davon, ob das Urteil formell- oder materiell-rechtlich unrichtig ist oder ob der erkennende Senat zwischenzeitlich zu einer abweichenden Erkenntnis gelangt ist (BFH-Beschluß vom 26. März 1980 I B 11/80, BFHE 130, 17, BStBl II 1980, 334; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., §126 Rdnr. 20, 24; Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., §126 FGO Tz. 38). Der Senat hat zwar erwogen, die Bindung ausnahmsweise dann entfallen zu lassen, wenn das aufhebende Urteil unter Verletzung des rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes -- GG --) zustandegekommen ist (Senatsurteil vom 25. Februar 1976 I R 77/74, BFHE 118, 361, BStBl II 1976, 431; a. A. Gräber/Ruban, a.a.O., §126 Rdnr. 20). Unabhängig davon, ob er bei dieser Auffassung bleibt, ist über einen solchen Fall vorliegend nicht zu entscheiden. Das Senats urteil in BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95 ist nicht in verfassungswidriger Weise zustandegekommen.
b) Dies betrifft zunächst den Einwand der Kläger, durch den Senat dem gesetzlichen Richter entzogen worden zu sein (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG). Die von den Klägern gerügte Abweichung von dem Beschluß des Großen Senats des BFH vom 15. November 1975 GrS 1/71 (BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68) liegt nicht vor. Der erkennende Senat hat durch dieses Urteil zwar die frühere Rechtsprechung des BFH, wonach ein Geschäftsführer einer Kapitalgesellschaft grundsätzlich am Sitz der Gesellschaft tätig war, aufgegeben (vgl. auch Wassermeyer, Internationales Steuerrecht -- IStR -- 1996, 541; Neyer, IStR 1997, 33). Er war hieran durch den vorangegangenen Beschluß des Großen Senats in BFHE 103, 433, BStBl II 1972, 68 wegen der voneinander abweichenden gesetzlichen Entscheidungsgrundlagen jedoch nicht gehindert. Es genügt insoweit -- zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen -- die Bezugnahme auf das Senatsurteil in BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95.
c) Die Kläger machen aber auch zu Unrecht geltend, ihnen sei in der mündlichen Verhandlung am 5. Oktober 1994 kein ausreichendes rechtliches Gehör gewährt worden (Art. 103 Abs. 1 GG). Der Anspruch auf rechtliches Gehör im verfassungsrechtlichen Sinne bedeutet, daß den Verfahrensbeteiligten die Gelegenheit gegeben sein muß, sich zu allen einschlägigen Sach- und Rechtsfragen des konkreten Verfahrens zu äußern und gehört zu werden (Senatsurteil in BFHE 118, 361, BStBl II 1976, 431). Sie müssen sich in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht äußern können; das Gericht muß solche Ausführungen zur Kenntnis nehmen und in Erwägung ziehen. Es ist im Streitfall nicht ersichtlich, daß dem im ersten Rechtsgang durch den erkennenden Senat nicht entsprochen worden wäre: Den Beteiligten, auch dem seinerzeit persönlich anwesenden Kläger, ist ausweislich des Sitzungsprotokolls Gelegenheit gegeben worden, ihre Anträge zu begründen. Wenn der Kläger dabei weiteres, das sich ihm in der Sache als drängend erschien, hätte vorbringen wollen, so wäre ihm dies grundsätzlich unbenommen gewesen. Er hätte dies ungeachtet der Ausführungen des Beklagtenvertreters tun können. Die Behauptung, die Richter seien aufgrund der überlangen "filibuster artigen" Ausführungen des Beklagtenvertreters übermüdet gewesen, ist nicht substantiiert. Eine solche Ermüdung ist von den vier Richtern, die seinerzeit und auch gegenwärtig noch dem erkennenden Senat angehören, in deren dienstlichen Äußerungen auf die Ablehnungsgesuche der Kläger auch in Abrede gestellt worden. Im übrigen können sich die Kläger schwerlich auf eine Verletzung des ihnen zustehenden rechtlichen Gehörs berufen, indem sie zugleich verlangen, der Senatsvorsitzende hätte dem Beklagtenvertreter das Wort abschneiden sollen. Damit wäre womöglich dessen rechtliches Gehör verletzt worden. Die gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs der Kläger läßt sich schließlich nicht damit belegen, daß das Urteil in BFHE 175, 424, BStBl II 1995, 95 weitgehend mit dem vorangegangenen Gerichtsbescheid vom 16. März 1994 inhaltlich übereinstimmt. Das bedeutet keineswegs, daß der Senat das zwischenzeitliche schriftliche und münd liche Vorbringen der Kläger bei seiner Entscheidung aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 1994 unberücksichtigt gelassen hätte. Das Gericht ist zwar verpflichtet, in seinem Urteil alle wesentlichen Fragen prozessualer und materiell-rechtlicher Art zu behandeln (§105 Abs. 2 Nr. 5 FGO; Gräber/von Groll, a.a.O., §105 Rdnr. 24, m. N. zur Rechtsprechung). Eine Auseinandersetzung mit jedem einzelnen vorgetragenen Gesichtspunkt ist indes nicht erforderlich (Gräber/von Groll, a.a.O., m. N.).
2. Auf das übrige Beschwerdevorbringen der Kläger ist nicht weiter einzugehen. Sie wiederholen in der Sache lediglich ihr Klage- und Revisionsvorbringen aus dem ersten und dem zweiten Rechtsgang. Darin liegt aber kein tauglicher Zulassungsgrund i. S. von §115 Abs. 2 FGO, sondern allenfalls die Begründung einer ggf. nachfolgenden Revision. Voraussetzung hierfür wäre aber deren zuvorige Zulassung, für die keine Gründe ersichtlich sind.
Fundstellen
Haufe-Index 66392 |
BFH/NV 1998, 18 |
GmbHR 1998, 203 |