Leitsatz (amtlich)
1. Das Verbot des Ausweises nicht entgeltich erworbener immaterieller Wirtschaftsgüter in § 153 Abs. 3 AktG 1965 gibt keinen allgemeinen Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung wieder, der bereits im Jahre 1962 galt.
2. Soweit Aufwendungen für nicht entgeltich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter in der Handelsbilanz des Wirtschaftsjahres 1962 aktiviert werden durften, bestand für sie grundsätzlich die Pflicht zur Aktivierung in der Steuerbilanz.
Normenkette
EStG §§ 5, 6 Abs. 1 Nrn. 1-2; AktG § 153 Abs. 3
Tatbestand
I. Sachverhalt
Der VI. Senat des BFH hat durch Beschluß VI 239/65 vom 16. Februar 1968 (BFH 92, 264, BStBl II 1968, 518) den Großen Senat des BFH gemäß § 11 Abs. 4 FGO zur Entscheidung folgender Rechtsfragen angerufen:
1. Ob und welche Auswirkungen haben die Vorschriften des AktG vom 6. September 1965 (BGBl I 1965, 1089, BStBl I 1965, 423) über die Ansetzung bzw. Nichtansetzung bestimmter Gegenstände in den Bilanzen der AG auf die allgemeinen steuerrechtlichen Vorschriften der §§ 4 bis 7 EStG 1961?
2. Ob und wieweit enthalten die Vorschriften des AktG allgemeine Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung, die für alle gewerblichen Unternehmen maßgebend sind?
3. Soweit es sich um allgemeine Grundsätze ordnungsmäßiger kaufmännischer Buchführung handelt: Gelten diese Grundsätze schon für die Zeit vor dem Inkrafttreten des neuen AktG?
4. Ist der Begriff "Wirtschaftsgut" für die Bilanzierung in der Steuerbilanz enger auszulegen, als es bisher in der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs (RFH) und des BFH geschehen ist?
Diesen Fragen liegt folgender Sachverhalt zugrunde: Die Revisionsbeklagte (Steuerpflichtige) ist eine KG; sie bezieht Strom von einem Elektrizitätswerk (E-Werk). Nachdem durch steigenden Strombedarf der angeschlossenen Unternehmungen Störungen in der Transformatorenstation (Trafo-Station) aufgetreten waren, legte das E-Werk die bisherige Trafo-Station still und errichtete drei neue Stationen, von denen eine ausschließlich die Steuerpflichtige versorgt. Das E-Werk verlangte und erhielt von der Steuerpflichtigen im Jahre 1962 einen verlorenen Zuschuß von 15 000 DM zur Errichtung der für sie bestimmten Trafo-Station.
Streitig ist im Verfahren der einheitlichen Gewinnfeststellung für das Kalenderjahr 1962, ob die KG den Zuschuß, wie sie es will, als laufenden Aufwand sofort im Jahre der Verausgabung verrechnen kann oder ob sie ihn, wie der Revisionskläger (das FA) meint, als Anschaffungskosten für ein Wirtschaftsgut aktivieren und auf die geschätzte Nutzungsdauer von 20 Jahren verteilen muß.
Nach Ansicht des VI. Senats wirft der Streitfall besonders die Frage nach der Bedeutung des Begriffs "Wirtschaftsgut" auf. Nach der bisherigen Rechtsprechung des RFH und des BFH werde der Begriff sehr weit gefaßt. Er umfasse nicht nur Sachen und Rechte, sondern auch Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb, zu deren Erlangung der Kaufmann Aufwendungen gemacht habe, die dem Betrieb für mehrere Jahre zugute kämen, nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Abgrenzung und Bewertung fähig seien und für die ein gedachter Erwerber des ganzen Betriebs im Gesamtkaufpreis ein besonderes Entgelt ansetzen würde. Die Rechtsprechung habe ein Wirtschaftsgut angenommen, auch wenn kein Gegenstand von einem Dritten entgeltlich erworben worden sei, sondern nur Aufwendungen angefallen seien, die nicht regelmäßig wiederkehrten und für den Betrieb einen Vorteil brächten, der über den Bilanzstichtag hinaus fortwirke.
Nach dem Inkrafttreten des AktG 1965 sei zweifelhaft geworden, ob dadurch, vor allem durch das Aktivierungsverbot des § 153 Abs. 3 AktG, der Begriff "Wirtschaftsgut" in seinem bisherigen steuerlichen Inhalt beeinflußt werde.
Angesichts der Bedeutung der Frage und ihrer verschiedenen Beurteilung durch maßgebende Stellen und anerkannte Schriftsteller halte der Senat es für geboten, zur Fortbildung des Steuerrechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung durch die drei Ertragsteuersenate des BFH gemäß § 11 Abs. 4 FGO eine Entscheidung des Großen Senats des BFH herbeizuführen.
Der VI. Senat hat ein Gutachten des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e. V. beigezogen. Der Bundesminister der Finanzen (BdF) ist gemäß § 122 Abs. 2 FGO dem Verfahren beigetreten und hat zu den Streitfragen Stellung genommen.
Entscheidungsgründe
II. Entscheidung des Großen Senats
1. Die Anrufung des Großen Senats ist zulässig. Nach § 11 Abs. 4 FGO kann ein Senat in einer grundsätzlichen Rechtsfrage die Entscheidung des Großen Senats herbeiführen, wenn nach seiner Auffassung die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung es fordern. Bei den hier gestellten Fragen handelt es sich um grundsätzliche Rechtsfragen, die für die Fortbildung des Rechts und die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung von Bedeutung sind. Der Große Senat kann aber nur in einer Rechtsfrage angerufen werden, die für die Entscheidung des erkennenden Senats erheblich ist; denn der Große Senat ist nicht zur Erstattung von Rechtsgutachten berufen (BFH-Beschluß Gr. S. 3/66 vom 17. Juli 1967, BFH 91, 213, BStBl II 1968, 285). Wenn auch bei dieser Prüfung kein enger Standpunkt angebracht ist, so ist gleichwohl über die Anrufung nicht zu entscheiden, wenn und soweit die Voraussetzung der Erheblichkeit der Rechtsfrage für die Entscheidung des anstehenden Rechtsstreits offenbar nicht erfüllt ist.
Der Sachverhalt betrifft die Bilanz des Jahres 1962 einer KG, so daß schon zeitlich das AktG 1965 keine Anwendung finden kann. Auch würde das AktG auf eine KG nicht unmittelbar anwendbar sein. Außerdem bezieht sich die Anrufung des Großen Senats ganz allgemein auf die Vorschriften des AktG über die Ansetzung oder Nichtansetzung von Wirtschaftsgütern in der Bilanz. Im vorliegenden Fall der Zahlung eines Zuschusses von 15 000 DM an ein E-Werk, der im Zusammenhang mit dem Bau der ausschließlich der Stromversorgung der Steuerpflichtigen dienenden Trafostation gewährt wurde, hat der anrufende Senat die dadurch erlangte Rechtsposition der KG zu Recht als immaterielles Wirtschaftsgut angesehen. Die Möglichkeit, daß ein nicht entgeltlicher Erwerb vorliege, ist von dem anrufenden Senat offengelassen worden. Der Anrufungsbeschluß bedarf hiernach der Auslegung, die unter Berücksichtigung der Begründung zu erfolgen hat (vgl. BFH-Beschluß Gr. S. 1/68 vom 27. Mai 1968, BFH 92, 188, BStBl II 1968, 473). Die Begründung der Anrufung durch den VI. Senat läßt erkennen, daß es ihm um die Frage geht, ob § 153 Abs. 3 AktG 1965 einen bereits vorher geltenden Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung wiedergibt, der bereits im Jahre 1962 allgemein gegolten hat, und welche steuerlichen Folgen daraus insbesondere im Verhältnis zur Rechtsprechung des BFH zu ziehen sind. Die Anfrage berührt zugleich die Beziehung der §§ 4 bis 7 EStG zum Handelsrecht und damit zur Handelsbilanz.
2. Zu den nach Handelsrecht und Steuerrecht zu bilanzierenden Wirtschaftsgütern können auch immaterielle Wirtschaftsgüter gehören; denn immaterielle Wirtschaftsgüter dienen ebenso wie materielle Wirtschaftsgüter der Erfüllung des Betriebszwecks. Nach dem in der Anfrage des VI. Senats angeführten § 153 Abs. 3 AktG 1965 darf für immaterielle Anlagewerte ein Aktivposten nur eingesetzt werden, wenn sie entgeltlich erworben worden sind. Diese Vorschrift bedeutet für die AG ein handelsrechtliches Aktivierungsverbot für nicht entgeltlich erworbene, d. h. selbstgeschaffene immaterielle Anlagewerte; sie kann für andere Unternehmensformen nur angewandt werden, wenn das Aktivierungsverbot ein Ausdruck eines allgemeinen Grundsatzes ordnungsmäßiger Buchführung ist. Sie kann darüber hinaus für eine Zeit vor Inkrafttreten des AktG 1965 nur wirksam werden, wenn sie auch schon damals den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung entsprach.
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung und Bilanzierung sind nach dem Urteil des BFH I 208/63 vom 31. Mai 1967 (BFH 89, 191, BStBl III 1967, 607) die Regeln, nach denen der Kaufmann zu verfahren hat, um zu einer dem gesetzlichen Zweck entsprechenden Bilanz zu gelangen. Bei der Frage, ob das Aktivierungsverbot des § 153 Abs. 3 AktG 1965 schon vor seinem Inkrafttreten als allgemeiner Grundsatz ordnungsmäßiger Buchführung anzusehen war, gibt die Geschichte der Vorschrift bedeutsame Hinweise:
Die ältere Rechtsprechung der Reichsgerichte (RG) und das ältere Schrifttum haben die Aktivierung selbstgeschaffener unkörperlicher Werte grundsätzlich abgelehnt. Im Urteil vom 27. Juni 1914 (Leipziger Zeitschrift für Deutsches Recht 1915 Sp. 231) hat das RG die Aktivierung selbstgeschaffener unkörperlicher Werte, die nicht Rechte sind, für unzulässig erklärt. Danach sind "ideelle Werte, die sich nicht in einem gegen jeden durchsetzenden Rechte ausdrücken, rein wirtschaftliche Güter und nur dann als Bilanzobjekte anzuerkennen, wenn die Gesellschaft sie von dritter Seite erworben und zu ihrer Erlangung Aufwendungen gemacht hat, so ein erworbenes Fabrikationsgeheimnis, die mit dem Geschäft eines Dritten erworbene Firma oder die übernommene Kundschaft eines anderen Geschäfts. ... Dagegen können die selbsterworbene Kundschaft, die eigene Firma, eigene Fabrik- und Erfindungsgeheimnisse nicht als Aktivum in einer Bilanz figurieren ...". Als der Gesetzgeber im Jahre 1931 in § 261 Nr. 4 HGB in der Fassung der Verordnung über Aktienrecht vom 19. September 1931 (RStBl I 1931, 493) vorschrieb, daß der Geschäftswert nur bei abgeleitetem Erwerb aktiviert werden darf, wurde in der Begründung zu dieser Vorschrift darauf hingewiesen, daß sie dem bisherigen Recht entspreche und als Beleg dafür die oben bezeichnete Entscheidung des RG angeführt (vgl. Schlegelberger-Quassowski-Schmölder, Verordnung über Aktienrecht, § 261 HGB, Anm. 27). Zur Begründung des § 133 Nr. 5 AktG 1937 (Geschäfts- oder Firmenwert) heißt es bei Schlegelberger-Quassowski (Aktiengesetz, 3. Aufl., 1939, § 133 Anm. 38): "Es wird aber als den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung zuwiderlaufend erachtet, diese Werte, wenn sie von dem Unternehmen selbst geschaffen sind, in der Jahresbilanz unter die Aktiven aufzunehmen." Auf Grund dieses Hinweises hält Döllerer (BB 1957, 983) es für bewiesen, daß auch § 133 Nr. 5 AktG 1937 die Grundsätze der Entscheidung des RG vom 27. Juni 1914 verankern wollte.
Diese strenge Rechtsansicht ist allerdings später aufgelockert worden. Adler-Düring-Schmaltz (Rechnungslegung und Prüfung der Aktiengesellschaft, 3. Aufl.) führen in Anm. 42 zu § 131 aus, die Vorschrift des § 131 Abs. 1 A II 5 bringe für Konzessionen, Patente, Lizenzen, Marken und ähnliche Rechte keinen Zwang, derartige Rechte zu aktivieren, es bestehe aber ein Aktivierungsrecht. In Anm. 118 zu § 133 (a. a. O.) heißt es, Patente könnten auch einen Herstellungswert haben, so daß Patente für eigene Erfindungen zwar aktivierungsfähig, nicht aber aktivierungspflichtig seien. Schlegelberger-Quassowski (a. a. O., § 131 Anm. 13) schließen diese Rechte nur dann von der Aktivierung aus, wenn im Betrieb kein Kostenaufwand entstanden ist (ebenso Godin-Wilhelmi, Aktiengesetz, 2. Aufl., § 131 Anm. 10; Gadow-Heinichen, Aktiengesetz, Großkommentar, 2. Aufl., § 131 Anm. 12). Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß im Jahre 1962 nach überwiegender Ansicht handelsrechtlich - und zwar, da kein Anlaß besteht, die entwickelten Grundsätze auf die AG zu beschränken, auch über den Kreis der AG hinaus - die Aktivierung der Aufwendungen auch für selbstgeschaffene immaterielle Wirtschaftsgüter für zulässig gehalten wurde, ohne daß eine rechtliche Verpflichtung zur Aktivierung bestand. Dem steht die Begründung zum Regierungsentwurf des AktG 1965 (vgl. Kropff, Aktiengesetz, Düsseldorf 1965, 244), wonach § 153 Abs. 3 AktG 1965 "eine zum Aktiengesetz entstandene Streitfrage im Sinne bewährter kaufmännischer Übung" entscheide, nicht entgegen; hier wird offenbar auf die älteren, zum Teil noch vertretenen Auffassungen Bezug genommen. Der Senat kommt nach alledem zu dem Ergebnis, daß handelsrechtlich vor dem Erlaß des AktG 1965 ein allgemein anerkanntes Verbot des Ausweises nicht entgeltlich erworbener immaterieller Wirtschaftsgüter nicht bestand.
3. Die weitere Frage ist, ob die im Jahre 1962 nach Handelsrecht gegebene Aktivierungsfähigkeit eines nicht entgeltlich erworbenen immateriellen Wirtschaftsguts dazu führt, daß es steuerlich aktiviert werden mußte. Dies ist zu bejahen.
Dem BdF ist darin zuzustimmen, daß der BFH und das Schrifttum die Frage, ob ein Wirtschaftsgut in die Steuerbilanz aufzunehmen sei, zum Teil aus § 5 EStG und der darin ausgesprochenen Bindung der Steuerbilanz an die Handelsbilanz (vgl. Herrmann-Heuer, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 5 Anm. 51 ff.; BFH-Urteil IV 255/53 U vom 28. Januar 1954, BFH 58, 516, BStBl III 1954, 109), zum Teil unmittelbar aus den §§ 6 und 7 EStG beantworten (vgl. Barske, Gedanken zum Verhältnis der Handelsbilanz zur Steuerbilanz, DB 1964, 1569; BFH-Urteil I 29/61 vom 4. September 1961, StRK, Einkommensteuergesetz, § 5, Rechtsspruch 278). Bei Zugrundelegung jeder dieser rechtlichen Begründungen gelangt der Große Senat dazu, daß in der Steuerbilanz 1962 Aufwendungen auch für nicht entgeltlich erworbene immaterielle Wirtschaftsgüter zu aktivieren sind.
a) Die Aktivierung solcher Wirtschaftsgüter war für die Bilanz 1962 handelsrechtlich gestattet und steuerrechtlich bei Anwendung des § 5 EStG grundsätzlich geboten. Diese Vorschrift verlangt, daß zur Ermittlung des steuerlichen Gewinns das Betriebsvermögen angesetzt wird, das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung auszuweisen ist. Die Verweisung auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung unterscheidet nicht zwischen Wirtschaftsgütern, deren Aktivierung handelsrechtlich geboten oder verboten ist, und Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, aber nicht müssen. Sie bedarf insoweit der Auslegung, bei der ihr Sinn und Zweck, der Zusammenhang mit den übrigen steuerrechtlichen Vorschriften über die Gewinnermittlung und schließlich auch verfassungsrechtliche Grundsätze zu berücksichtigen sind.
Aus der amtlichen Begründung zu § 5 EStG 1934 (abgedruckt bei Blümich-Falk, Einkommensteuergesetz, 9. Aufl., Bd. I, § 5 Anm. 1 A) ergibt sich, daß der steuerrechtlichen Gewinnermittlung bei buchführenden Kaufleuten die Handelsbilanz zugrunde gelegt werden sollte, daß jedoch der Spielraum, den die Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung dem Kaufmann für die Gewinnberechnung gewähren, steuerrechtlich nicht anerkannt werden sollte. Dieser Spielraum bestand nach der damaligen handelsrechtlichen Lage vor allem darin, daß der Kaufmann durch Unterbewertung seines Vermögens in beinahe unbeschränktem Umfang stille Reserven bilden und dadurch den ausgewiesenen Gewinn mindern durfte. Dieser Unterbewertung wird steuerrechtlich durch den Vorbehalt der Vorschriften über die Bewertung (§ 6 EStG), der in § 5 EStG aufgenommen wurde, ein Riegel vorgeschoben. Andererseits zeigt ein Vergleich der steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften des § 6 EStG mit denen des Handelsrechts, daß das Steuerrecht die oberen Grenzen für die Bewertung, die das Handelsrecht bestimmt, weitgehend anerkennt (Anschaffungs- oder Herstellungskosten oder der niedrigere Teilwert). § 6 EStG 1934 hat sich in diesem Punkt stärker an die handelsrechtlichen Bewertungsvorschriften angeschlossen als die entsprechenden Vorschriften des EStG 1925, die in erster Linie den Ansatz der Wirtschaftsgüter zum gemeinen Wert vorschrieben und nur wahlweise den Ansatz der Wirtschaftsgüter zu den Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzüglich der Absetzung für Abnutzung (AfA) zuließen (§ 19 Abs. 1 und 2 EStG 1925).
Wendet man diesen Grundgedanken, der das Verhältnis zwischen § 5 EStG und § 6 EStG beherrscht, auf die Frage der Aktivierung und Passivierung an, so läßt sich aus der Verweisung auf die handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung in § 5 EStG allenfalls eine Bindung des Steuerrechts an handelsrechtliche Aktivierungsverbote und Passivierungsgebote herleiten. Da es dem Sinn und Zweck der steuerrechtlichen Gewinnermittlung entspricht, den vollen Gewinn zu erfassen, kann es nicht im Belieben des Kaufmanns stehen, sich durch Nichtaktivierung von Wirtschaftsgütern, die handelsrechtlich aktiviert werden dürfen, oder durch den Ansatz eines Passivpostens, der handelsrechtlich nicht geboten ist, ärmer zu machen, als er ist. Bilanzierungswahlrechte im Steuerrecht stünden auch schwerlich im Einklang mit dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung (Art. 3 des Grundgesetzes). Ob und unter welchen Voraussetzungen das Steuerrecht ausnahmsweise auch handelsrechtliche Wahlrechte anerkennen kann - wie etwa bei jährlich wiederkehrenden Rechnungsabgrenzungsposten in geringer Höhe -, braucht der Große Senat im Streitfall nicht zu prüfen, da der Fall, der dem Vorlagebeschluß des VI. Senats zugrunde liegt, keine Ausnahme rechtfertigt.
b) Man gelangt zu dem gleichen Ergebnis, wenn man davon ausgeht, daß die Frage der steuerlichen Aktivierung der nicht entgeltlich erworbenen immateriellen Wirtschaftsgüter unabhängig vom Handelsrecht unmittelbar aus § 6 EStG zu beantworten ist. In diesem Zusammenhang sind die Grundsätze des auf das Steuerrecht abstellenden Urteils des RFH I A 470/27 vom 27. März 1928 (Steuer und Wirtschaft 1928 Nr. 417) noch von Bedeutung, wonach - im Interesse einer möglichst zutreffenden Abschnittsbesteuerung - Wirtschaftsgüter, die einen wesentlichen und über die Dauer des einzelnen Steuerabschnitts hinausreichenden Wert für das gewerbliche Unternehmen besitzen, steuerlich zu aktivieren sind. Hiernach ist davon auszugehen, daß die im Handelsrecht für aktivierungspflichtig oder aktivierungsfähig erklärten Gegenstände grundsätzlich einem auf § 6 EStG gestützten steuerlichen Aktivierungsgebot unterliegen. Die Tendenz, den Kreis der steuerlich zu aktivierenden Wirtschaftsgüter möglichst weit zu fassen, ergibt sich auch aus dem Urteil des BFH IV 403/62 U vom 29. April 1965 (BFH 82, 461, BStBl III 1965, 414), wo der BFH zusammenfassend erklärt, der Begriff des Wirtschaftsguts umfasse nicht nur Sachen und Rechte, sondern auch tatsächliche Zustände, konkrete Möglichkeiten und Vorteile für den Betrieb, deren Erlangung der Kaufmann sich etwas kosten lasse und die nach der Verkehrsauffassung einer besonderen Bewertung zugänglich seien.
4. Ist danach die steuerliche Aktivierungspflicht nicht entgeltlich erworbener immaterieller Wirtschaftsgüter für 1962 grundsätzlich gegeben, so braucht die Rechtsfrage, ob sich die Aktivierungspflicht aus § 5 EStG oder § 6 EStG ergibt, als im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidungserheblich vom Großen Senat nicht beantwortet zu werden. Jedenfalls ist der Begriff des Wirtschaftsguts für die Bilanzierung nicht entgeltlich erworbener immaterieller Rechte in der Steuerbilanz 1962 nicht enger auszulegen, als es bisher in der Rechtsprechung des RFH und des BFH geschehen ist.
Der Große Senat kann es nach alledem dahingestellt sein lassen, ob die Steuerpflichtige im Streitfall die Rechtsposition entgeltlich erworben hat.
Fundstellen
BStBl II 1969, 291 |
BFHE 95, 31 |