Entscheidungsstichwort (Thema)
Grundsätzliche Bedeutung; Divergenzrüge; Verfahren ohne mündliche Verhandlung; Krankengeld und Progressionsvorbehalt; Rentenversicherungsbeiträge sind keine Werbungskosten
Leitsatz (NV)
1. Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache wird nicht durch bloße Berechnungsbeispiele dargelegt, die zeigen, wie sich eine bestimmte Rechtsfrage steuerlich auswirkt.
2. Die Rüge der Divergenz setzt voraus, dass sich das angefochtene Urteil überhaupt mit der Rechtsfrage befasst hat, die angeblich abweichend beurteilt worden ist.
3. Auch bei einem nicht bezifferten Klageantrag kann das FG von der Möglichkeit Gebrauch machen, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, wenn der Streitwert unter 500 € liegt.
4. Krankengeldbezüge vermehren als Progressionseinkünfte das zu versteuernde Einkommen ohne Durchführung einer Schattenveranlagung.
5. Dass Rentenversicherungsbeiträge keine Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 EStG sind, ist höchstrichterlich geklärt.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nrn. 1-2, § 116 Abs. 3 S. 3, § 94a; EStG §§ 22, 32b Abs. 1 Nr. 2
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 22.05.2003; Aktenzeichen VI 239/2002) |
Tatbestand
I. In die Steuerfestsetzung der verheirateten Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), die im Streitjahr (1999) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt wurden, bezog der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) im Wege des Progressionsvorbehalts Lohnersatzleistungen in Höhe von 38 122 DM in die Berechnung des Steuersatzes ein. Dagegen wurde unter Hinweis auf die Steuerfreiheit der Krankengeldzahlungen der Antrag der Kläger abgelehnt, die Beiträge zur Angestellten- und Pflegeversicherung als Vorsorgeaufwendungen zu berücksichtigen, die von dem vom Kläger bezogenen Krankengeld einbehalten worden sind. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
Die Klage begründeten die Kläger mit der Überlegung, die vom Krankengeld einbehaltenen Versicherungsbeiträge in Höhe von 2 417,55 DM fielen wegen der Einbeziehung des Krankengeldes in den Progressionsvorbehalt nicht in den Anwendungsbereich des § 10 Abs. 2 Nr. l des Einkommensteuergesetzes (EStG) und seien als nach § 10 Abs. 1 Nr. 2a EStG beschränkt abzugsfähige Sonderausgaben zu berücksichtigen. Dies ergebe sich aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 29. April 1992 I R 102/91 (BFHE 168, 157, BStBl II 1993, 149). Danach sei bei der Ermittlung des besonderen Steuersatzes gemäß § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG das Abzugsverbot nach § 10 Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht zu berücksichtigen, soweit die mit den Pflichtbeiträgen in Zusammenhang stehenden steuerfreien Einnahmen in die Berechnung der Einkommensteuer einzubeziehen seien.
Die Klage hatte keinen Erfolg. Das Finanzgericht (FG) hat im Hinblick auf den unter 500 € liegenden Streitwert nach § 94a Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ohne mündliche Verhandlung entschieden.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
Die Kläger haben die von ihnen geltend gemachten Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache und der Notwendigkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie des Vorliegens eines Verfahrensmangels durch Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör nicht in der den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Weise (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) dargelegt.
1. Die Kläger haben die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) nicht schlüssig (substantiiert) dargetan.
a) Eine solche schlüssige Darlegung erfordert, dass der Beschwerdeführer eine bestimmte, für die Entscheidung des Streitfalles erhebliche abstrakte Rechtsfrage herausstellt und substantiiert darauf eingeht, inwieweit diese Rechtsfrage klärungsbedürftig, d.h. in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 32, m.w.N.).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung der Kläger zur grundsätzlichen Bedeutung nicht. Das Erfordernis der Herausarbeitung einer hinreichend konkretisierten abstrakten Rechtsfrage, deren Beantwortung für die Entscheidung des Streitfalles rechtserheblich sein könnte, wird weder durch die bloße Behauptung der grundsätzlichen Bedeutung erfüllt noch durch Berechnungsbeispiele, die zeigen, dass infolge des Krankengeldbezugs Einkommensteuer anfällt, die ohne den Progressionsvorbehalt nicht festzusetzen wäre. Daran vermag die Anregung der Kläger, "der BFH möge klären, ob der § 32b Abs. 2 EStG 'besondere Steuersatz' auf das Krankengeld i.V. mit § 10 Abs. 2 Ziff. 1 EStG trotzdem … als steuerfrei einzustufen sei" nichts zu ändern. Mit diesem Vorbringen sind die Kläger weder konkret noch substantiiert darauf eingegangen, ob, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die Beantwortung einer konkret zu formulierenden Rechtsfrage zweifelhaft und umstritten ist (BFH-Beschluss vom 17. April 2002 III B 164/01, BFH/NV 2002, 1028; Senatsentscheidung vom 19. März 2003 X B 121/01, BFH/NV 2003, 934). Das aber verlangt das Gesetz für die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache.
Davon abgesehen hat das FG in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung den wirtschaftlichen Zusammenhang der Vorsorgeaufwendungen mit steuerfreien Einnahmen zutreffend bejaht (vgl. Blümich/Hutter, Einkommensteuergesetz, Körperschaftsteuergesetz, Gewerbesteuergesetz, Kommentar, 15. Aufl., § 10 EStG Rz. 329; Stöcker in Bordewin/Brandt, Kommentar zum Einkommensteuergesetz, § 10 Rz. 827; Schmidt/Heinicke, Einkommensteuergesetz, Kommentar, 23. Aufl., § 10 Rz. 181). Das Krankengeld wird bei der Berechnung der Einkommensteuer nicht mehr einbezogen, sondern vermehrt oder mindert als Progressionseinkünfte lediglich das zu versteuernde Einkommen, ohne dass die frühere Schattenveranlagung durchzuführen ist.
2. Dem Zulassungsgrund der Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts und Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung, den die Kläger unter der Überschrift "Abzug eines Teils der Rentenversicherungsbeiträge als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen" mit der Begründung geltend machen, dass der Teil der vom Kläger im Jahr 1999 entrichteten Rentenversicherungsbeiträge, der dem Ertragsanteil der ab seinem 65. Lebensjahr bezogenen Rente entspricht, als vorweggenommene Werbungskosten bei den Einkünften aus wiederkehrenden Bezügen zu berücksichtigen sei, stehen mehrere Gründe entgegen.
a) Zum einen ist in der Rechtsprechung des BFH geklärt und vom Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bestätigt, dass Rentenversicherungsbeiträge nicht als Werbungskosten bei den Einkünften aus § 22 EStG abzugsfähig sind, weil sie ausschließlich dem Abzug als Sonderausgaben zugeordnet sind (BFH-Entscheidungen vom 29. Juli 1986 IX R 206/84, BFHE 147, 176, BStBl II 1986, 747; vom 14. Mai 1998 X R 38/93, BFH/NV 1999, 163, und BVerfG-Beschluss vom 20. August 1997 1 BvR 1523/88, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 1998, 397, 398). Das gilt genauso für die von den Klägern nur entsprechend dem von ihnen angenommenen späteren Ertragsanteil anteilig begehrte Berücksichtung als vorweggenommene Werbungskosten. Die Kläger haben über die bloße Behauptung hinaus nichts dargetan, was die Notwendigkeit einer weiteren Entscheidung des BFH zu dieser Rechtsfrage begründen könnte.
b) Zum anderen war die Frage der Abziehbarkeit der Rentenversicherungsbeiträge als vorweggenommene Werbungskosten nicht Gegenstand der Erörterungen im finanzgerichtlichen Verfahren. Im angefochtenen Urteil finden sich dazu keine Ausführungen. Deshalb kann auch keine Divergenz zu dem von den Klägern genannten Urteil des BFH vom 22. Juni 1990 VI R 2/87 (BFHE 160, 562, BStBl II 1990, 901) vorliegen, in dem der BFH Aufwendungen zum Teil als Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit und zum anderen Teil als Sonderausgaben aufteilte.
3. Ohne Erfolg machen die Kläger eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör i.S. des § 96 Abs. 2 FGO geltend. Das FG, dem § 94a FGO bei einem Streitwert unter 500 € die Möglichkeit gibt, ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden, war entgegen der Ansicht der Kläger nicht verpflichtet, sie vorher auf diese Möglichkeit hinzuweisen und ihnen Gelegenheit zu geben, einen Antrag auf mündliche Verhandlung zu stellen (vgl. BFH-Beschlüsse vom 17. Mai 2001 IX R 67/98, BFH/NV 2001, 1290, und vom 19. April 1996 VIII B 41/95, BFH/NV 1996, 745, unter II. 2., m.w.N). Von einem Kläger, der durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten ist, wird erwartet, dass er § 94a FGO kennt und weiß, dass das FG danach auch dann verfahren kann, wenn der Klageantrag nicht beziffert ist, der Streitwert also nicht ziffernmäßig offenkundig ist. Um eine Entscheidung im schriftlichen Verfahren zu vermeiden, hätten die Kläger ausdrücklich die mündliche Verhandlung beantragen müssen.
Fundstellen