Entscheidungsstichwort (Thema)
NZB: Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage; Auswahlermessen bei Gesamtschuldnern, die eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen haben
Leitsatz (NV)
1. An der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre.
2. Die Anforderungen an die Begründung des Auswahlermessens bei der Inanspruchnahme mehrerer Gesamtschuldner, die sich eine vorsätzliche Steuerstraftat haben zu schulden kommen lassen, sind in der Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt.
3. Eine Differenzierung nach der Rolle der jeweiligen Beteiligten im Tatgeschehen und dem aus der Tat gezogenen Nutzen ist in diesen Fällen regelmäßig nicht geboten.
Normenkette
BranntwMonG § 143 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 S. 2; AO 1977 §§ 5, 44 Abs. 1; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
FG München (Urteil vom 26.05.2004; Aktenzeichen 3 K 1516/02) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten streiten, ob der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) zu Recht als Schuldner von Branntweinsteuer in Anspruch genommen wurde.
Der Kläger transportierte am 15. und 24. Juli 1998 als Fahrer einer Spedition jeweils 14 790 l Wodka unter Steueraussetzung zum Zollamt (ZA) G. Nach Erledigung dieses Steueraussetzungsverfahrens eröffnete das ZA G noch am gleichen Tag jeweils ein Versandverfahren T2 mit Bestimmungsstelle L zur Ausfuhr des Wodka aus der Gemeinschaft. Der Kläger fuhr jedoch nicht zur angegebenen Bestimmungsstelle, sondern nach Anweisung Dritter zu einem Firmengelände in J, wo er die Zollpapiere übergab und der Wodka ohne zollamtliche Beteiligung abgeladen wurde. Unter anderem wegen der hier streitgegenständlichen Alkoholtransporte wurde der Kläger durch rechtskräftiges Urteil des Landgerichts vom 8. Februar 2001 wegen Steuerhinterziehung verurteilt.
Mit Steuerbescheid vom 27. November 2001 setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Hauptzollamt --HZA--) gegen den Kläger als Gesamtschuldner neben dem Spediteur und einem weiteren Tatbeteiligten insgesamt 301 716 DM Branntweinsteuer fest, weil er am Entziehen des Branntweins aus dem Steueraussetzungsverfahren beteiligt gewesen sei. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) urteilte, das HZA habe den Kläger zu Recht als Schuldner der Branntweinsteuer gemäß § 143 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 4 Satz 2 des Branntweinmonopolgesetzes (BranntwMonG) in Anspruch genommen. Der vom Kläger beförderte Alkohol habe sich im Steueraussetzungsverfahren befunden, aus dem er durch die Übergabe der streitgegenständlichen Waren in J an eine nichtberechtigte Person ohne zollamtliche Beteiligung entzogen worden sei. Das Verhalten des Klägers stelle sich als Entziehungshandlung i.S. von § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG dar. Hierbei komme es nicht darauf an, ob der Kläger wusste, dass aufgrund seines Tatbeitrages Branntweinsteuer entstehe und er dadurch weiterer Steuerschuldner werde; maßgeblich sei allein, dass er den objektiven Entziehungstatbestand wissentlich durch eine willensgetragene Handlung verwirklicht habe. Im Streitfall ergebe sich aus dem Strafurteil, dass der Kläger wusste, dass die Fahrten nicht korrekt waren. Er könne daher nicht als willenloses Werkzeug angesehen werden, dem bezüglich der Entziehung des Branntweins aus dem Steueraussetzungsverfahren ein Handlungswille fehlte. Nicht entscheidungserheblich sei demgegenüber, welchen wirtschaftlichen Nutzen der Kläger aus der Entziehungshandlung gezogen habe und ob der Kläger sich strafrechtlich der Mittäterschaft oder der Beihilfe an einer Steuerhinterziehung strafbar gemacht habe. Der Steuerbescheid weise auch hinsichtlich der Auswahl der in Anspruch genommenen Gesamtschuldner keine Ermessensfehler auf. Gesamtschuldner, die als Täter oder Teilnehmer eine vorsätzliche Steuerstraftat begangen hätten, ständen bei der Ausübung des Auswahlermessens durch das zuständige HZA grundsätzlich gleichrangig nebeneinander. Der Kläger könne nicht beanspruchen, dass das HZA andere Gesamtschuldner vorrangig in Anspruch nehme. Im Übrigen habe das HZA den Kläger sogar zunächst von der Zahlungsverpflichtung freigestellt, bis die Zahlungsfähigkeit der übrigen Gesamtschuldner geklärt sei.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde, die er auf die Zulassungsgründe des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) stützt. Hierbei macht er eine fehlerhafte Auslegung des in § 143 Abs. 4 Satz 2 BranntwMonG enthaltenen Entziehungsbegriffes und eine sachwidrige Überprüfung der Ermessensausübung des HZA geltend. Von grundsätzlicher Bedeutung sei die Frage, ob ein weisungsgebundener Beteiligter, der zwar einer Schmugglerorganisation angehört habe, aber darin zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen sei, in die Ausübung der Tat einzugreifen, ein Entzieher aus dem Steueraussetzungsverfahren sein könne. Unter Berufung auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 24. Oktober 2002 5 StR 600/01 (BGHSt 48, 52) führt der Kläger aus, dass es, anders als das FG meine, sehr wohl darauf ankomme, ob der Kläger als Gehilfe bei einer Entziehung oder selbst als Entzieher aus dem Steueraussetzungsverfahren anzusehen sei. Anders als im Fall einer Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung, bei dem nach Art. 203 Abs. 3 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 (Zollkodex) des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Nr. L 302/1) nicht nur derjenige Zollschuldner werde, der die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen habe, sondern auch diejenige Person, die an der Entziehung beteiligt war, lege § 143 BranntwMonG nicht fest, dass neben dem Entzieher weitere Personen, wie z.B. Gehilfen, weitere Steuerschuldner werden. Der Tatbeitrag des Klägers, der bloßer Weisungsempfänger gewesen sei und den Tatablauf nicht wesentlich habe mitbestimmen können, spiele nur eine untergeordnete Rolle, so dass ihm sein Tatbeitrag nicht wie eigenes Tun zugerechnet werden könne.
Hinsichtlich der Prüfung der Gesamtschuldnerauswahl durch das HZA habe das FG verkannt, dass die Inanspruchnahme eines an einer Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren Beteiligten jedenfalls dann ermessensfehlerhaft sei, wenn der Tatbeitrag des in Anspruch genommenen und der wirtschaftliche Nutzen, den der Beteiligte aus der Tat gezogen habe, im Verhältnis zu seiner beabsichtigten Inanspruchnahme äußerst gering sei. Einen solchen Beteiligten auf die Möglichkeit des Regresses bei den übrigen Gesamtschuldnern zu verweisen, sei mit der Fürsorgepflicht des Fiskus gegenüber seinen Bürgern nicht zu vereinbaren, wenn bereits bei der Inanspruchnahme absehbar sei, dass die Durchsetzung der Regressansprüche scheitern oder zumindest mit unzumutbaren Schwierigkeiten verbunden sein würde.
Das HZA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Mängel in der Darlegung der benannten Revisionszulassungsgründe (§ 116 Abs. 3 Satz 3 FGO) liegen diese jedenfalls nicht vor.
1. Die Revision ist nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 1. Alternative FGO zuzulassen. Die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache und Erforderlichkeit einer Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) zur Fortbildung des Rechts kommt nur wegen einer klärungsbedürftigen und in dem angestrebten Revisionsverfahren klärungsfähigen Rechtsfrage in Betracht (vgl. BFH-Beschluss vom 10. April 2003 X B 109/02, BFH/NV 2003, 1082; Senatsbeschluss vom 8. April 2004 VII B 110/03, BFH/NV 2004, 1310).
a) Die von der Beschwerdebegründung aufgeworfene Frage, ob ein ausschließlich weisungsgebundener Beteiligter, der zwar einer Schmugglerorganisation angehörte, aber zu keinem Zeitpunkt in der Lage war, in die Ausübung der Tat einzugreifen, ein Entzieher aus dem Steueraussetzungsverfahren und damit weiterer Steuerschuldner sein könne, ist im Streitfall nicht klärungsfähig. Dies gilt auch hinsichtlich der Frage, ob es hinsichtlich der Erfüllung des Entziehungstatbestandes des § 143 Abs. 1 i.V.m. Abs. 4 BranntwMonG von Bedeutung ist, ob sich der Kläger wegen Mittäterschaft oder Beihilfe strafbar gemacht hat.
An der Klärungsfähigkeit einer Rechtsfrage fehlt es, wenn sie nach den für den BFH bindenden Feststellungen des FG (§ 118 Abs. 2 FGO) in dem erstrebten Revisionsverfahren nicht entscheidungserheblich wäre (vgl. BFH-Beschluss vom 15. September 1995 V B 59/95, BFH/NV 1996, 439, 440; Senatsbeschluss vom 28. August 2003 VII B 260/02, BFH/NV 2004, 69, 71). Die Beschwerde macht geltend, dass der Kläger nicht als Entzieher aus dem Steueraussetzungsverfahren, sondern als bloßer Gehilfe bei der Tat eines anderen oder als dessen willenloses Werkzeug fungiert habe, was mit den Feststellungen des FG, an die der Senat in dem angestrebten Revisionsverfahren gebunden wäre, nicht übereinstimmt. Nach den Feststellungen des FG, gegen die Revisionsgründe nicht vorgetragen sind, hat der Kläger die streitgegenständlichen Wodkasendungen selbst transportiert und die Begleitpapiere und die Waren ohne zollamtliche Beteiligung an eine nichtberechtigte Person übergeben, obwohl er wusste, dass dieses Verhalten vorschriftswidrig war. Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger durch seinen Tatbeitrag unmittelbar in die Ausübung der Tat eingegriffen und die zur Steuerentstehung führende Entziehungshandlung selbst vorgenommen. Der Kläger, der wegen der hier streitgegenständlichen Alkoholtransporte rechtskräftig als Täter einer Steuerhinterziehung verurteilt wurde, wäre damit auch nach strafrechtlichen Gesichtspunkten als Täter einer Entziehung aus dem Steueraussetzungsverfahren anzusehen (§ 25 Abs. 1 1. Alternative des Strafgesetzbuchs). Damit stellt sich die vom Kläger aufgeworfene Frage nicht, ob auch ein Beteiligter als "Entzieher" angesehen werden kann, der zu keinem Zeitpunkt in der Lage gewesen ist, in die Ausübung der Tat einzugreifen.
b) Die Frage, ob das HZA bei der Begründung des Auswahlermessens jeweils auch auf den von den jeweiligen Beteiligten gezogenen Nutzen aus der Tat und ihre Rolle im Tatgeschehen eingehen muss, ist in der Rechtsprechung des BFH bereits geklärt und infolgedessen nicht mehr klärungsbedürftig. An der Klärungsbedürftigkeit fehlt es, wenn die aufgeworfene Frage durch die Rechtsprechung des BFH bereits hinreichend geklärt ist und keine neuen Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und Entscheidung dieser Frage durch den BFH erforderlich machen (BFH-Beschluss vom 1. April 2004 X B 62/03, juris). Es entspricht der ständigen Rechtsprechung des Senats, dass es im Regelfall billig und gerecht ist, wenn die Finanzbehörde Täter oder Teilnehmer einer vorsätzlichen Steuerstraftat für den Steuerschaden in Anspruch nimmt, ohne dass es einer besonderen Begründung für die Ermessensausübung in diesen Fällen bedürfte (Senatsentscheidungen vom 5. Juni 1985 VII R 57/82, BFHE 144, 290, BStBl II 1985, 688; vom 27. Mai 1986 VII S 5/86, BFH/NV 1987, 10; vom 12. Januar 1988 VII R 74/84, BFH/NV 1988, 692). Die gleichen Erwägungen gelten auch bei der Auswahl zwischen mehreren gesamtschuldnerisch verpflichteten Abgabenschuldnern, da es sich auch hier regelmäßig als ermessensfehlerhaft darstellen würde, wenn die Behörde einen Gesamtschuldner, der sich eine vorsätzliche Steuerstraftat hat zu Schulden kommen lassen, von seiner abgabenrechtlichen Verpflichtung freistellte. Eine Differenzierung nach der Rolle der jeweiligen Beteiligten im Tatgeschehen und dem aus der Tat gezogenen Nutzen ist danach nicht geboten (BFH-Urteil vom 2. Dezember 2003 VII R 17/03, BFH/NV 2004, 597, 600). Dem Umstand, dass der Kläger möglicherweise Schwierigkeiten haben könnte, die weiteren Gesamtschuldner zivilrechtlich in Regress zu nehmen, kommt für die Frage des Auswahlermessens keine Bedeutung zu; im Übrigen hat das HZA ohnehin die Zahlungsverpflichtung des Klägers zurückgestellt, bis die Leistungsfähigkeit der übrigen Gesamtschuldner geklärt ist.
2. Da die Beschwerde aus den oben genannten Gründen keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung aufgeworfen hat, ist die Revision auch nicht nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO zuzulassen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 115 Rdnr. 43).
Fundstellen
Haufe-Index 1374691 |
BFH/NV 2005, 1240 |