Entscheidungsstichwort (Thema)
Prozessurteil; Sachurteil; Subsidiarität der Feststellungsklage; Überraschungsentscheidung; Verfahrensfehler
Leitsatz (NV)
1. Lässt der Tenor der Entscheidung keinen Rückschluss auf das Vorliegen eines Sach- oder Prozessurteils zu, ist insoweit maßgeblich auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen abzustellen.
2. Die Subsidiarität der Feststellungsklage gegenüber der Gestaltungsklage liegt auch dann vor, wenn ein Verwaltungsakt, der die begehrte Feststellung betrifft, erst in absehbarer Zeit ergehen wird.
3. Keine Überraschungsentscheidung, wenn das Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt wird, der im FG-Verfahren zumindest am Rande angesprochen worden ist.
4. Auf die fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts kann eine Verfahrensrüge nicht gestützt werden.
5. Zu den Darlegungserfordernissen des Zulassungsgrunds der grundsätzlichen Bedeutung.
Normenkette
GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 41 Abs. 2 S. 1, § 76 Abs. 1-2, § 96 Abs. 1-2; AO § 164 Abs. 4
Verfahrensgang
Hessisches FG (Urteil vom 16.02.2006; Aktenzeichen 1 K 4543/03) |
Gründe
Die Beschwerde ist teilweise unzulässig und im Übrigen --ungeachtet teilweise erheblicher Bedenken an der ausreichenden Darlegung der Zulassungsgründe-- jedenfalls unbegründet.
1. Erlass eines Prozess- statt eines Sachurteils
a) Zu Unrecht rügen die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger), dass das Finanzgericht (FG) die Klage, soweit sie auf die Erteilung einer verbindlichen Zusage bzw. Auskunft entsprechend der von ihnen geäußerten Rechtsauffassung sowie hilfsweise auf eine entsprechende Neubescheidung gerichtet war, durch Prozessurteil als unzulässig abgewiesen hat.
Weder der Tenor der Entscheidung, der lediglich dahin lautet, dass die Klagen abgewiesen werden, noch der diesbezügliche Einleitungssatz der Entscheidungsgründe, der lautet, dass die Klage (insoweit) keinen Erfolg hat, lassen den Rückschluss auf das Vorliegen eines Prozessurteils zu. Insoweit ist maßgeblich auf die Ausführungen in den Entscheidungsgründen abzustellen. Dort finden sich zunächst Ausführungen zu dem Rechtsinstitut der verbindlichen Zusage nach einer Außenprüfung gemäß den Regelungen der §§ 204 ff. der Abgabenordnung (AO) sowie zu dem von der Rechtsprechung daneben anerkannten Rechtsinstitut der verbindlichen Auskunft. Im Rahmen der Subsumtion des Sachverhalts kommt das FG zu dem Ergebnis, dass im Streitfall eine verbindliche Auskunft erteilt worden ist, die nicht die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Verwaltungsaktes erfüllt. Im Weiteren führt das FG aus, dass die Klage unabhängig von der Rechtsnatur der Entscheidung des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--) und des damit zusammenhängenden Rechtsschutzverfahrens jedenfalls deshalb keinen Erfolg haben kann, weil sowohl bei der Auskunft als auch bei der Zusage lediglich ein Anspruch auf fehlerfreie Ermessensentscheidung des FA bestehe. Ein Ermessensfehler liege aber nicht vor.
Die Ausführungen im Zusammenhang mit dem Vorliegen eines Ermessensfehlers sind indes nur im Rahmen der materiellen Prüfung der Klage erforderlich und lassen daher nur den Schluss zu, dass das FG eine Entscheidung in der Sache treffen wollte.
Gleiches gilt für die Ausführungen im Zusammenhang mit dem hilfsweise gestellten Bescheidungsantrag. Zunächst werden Ausführungen zu den richterlichen Kompetenzen der Überprüfung einer Ermessensentscheidung (§ 102 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) gemacht und sodann folgt die Subsumtion, dass ein Ermessensfehler im Streitfall nicht feststellbar sei und deshalb ein Anspruch der Kläger auf Neubescheidung nicht bestehe.
Soweit das FG am Ende der diesbezüglichen Entscheidungsgründe unter Bezugnahme auf das Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 1. Februar 1973 IV R 1/72 (BFHE 108, 517, BStBl II 1973, 533) ohne weitere Stellungnahme ausführt, die Klage auf Verpflichtung zu einer bestimmten Auskunft sei nicht nur unbegründet, sondern unzulässig, kann dies nur als ein zusätzliches, das Ergebnis unterstreichendes Begründungselement verstanden werden, um den Klägern die Erfolglosigkeit ihres Begehrens deutlicher vor Augen zu führen.
b) Ein Verfahrensfehler liegt ebenfalls nicht vor, soweit das FG die Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen hat, die auf die Feststellung der fehlenden Betriebsvermögenseigenschaft im Einzelnen benannter Grundstücke gerichtet war.
Zu Recht hat das FG die Zulässigkeit der Feststellungsklage bereits im Hinblick auf die Subsidiaritätsklausel gemäß § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO verneint. So reicht es nach dem Urteil des Senats in BFHE 108, 517, BStBl II 1973, 533 für die Zulässigkeit einer Feststellungsklage nach § 41 FGO nicht aus, dass der Kläger ein berechtigtes Interesse an der baldigen Feststellung hat. Es ist darüber hinaus auch erforderlich, dass der Kläger seine Rechte nicht durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können. Der Kläger kann seine Rechte aber dann --zumutbar-- durch Gestaltungsklage verfolgen, wenn die begehrte Feststellung, soweit sie materiell berechtigt ist, in absehbarer Zukunft vom FA im Rahmen eines Verwaltungsaktes, insbesondere eines Steuerbescheids zu treffen ist (BFH-Urteil vom 7. März 1995 VII R 59/93, BFH/NV 1995, 640, unter 1. der Gründe). Die Wortfassung des § 41 Abs. 2 Satz 1 FGO "durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen kann oder hätte verfolgen können" darf nicht etwa dahin verstanden werden, dass ein entsprechender Verwaltungsakt, der die begehrte Feststellung enthält oder sie als materiell nicht berechtigt ablehnt, bereits ergangen sein muss. Es ist sicher richtig, dass der Kläger eine Gestaltungsklage stets erst dann erheben kann, wenn ein Verwaltungsakt vorliegt. Durch Gestaltungsklage verfolgen kann der Kläger seine Rechte aber auch dann, wenn in absehbarer Zukunft ein Verwaltungsakt ergehen wird, gegen den der Kläger dann Gestaltungsklage erheben kann. Der Ausdruck "verfolgen kann" ist ohne zeitlichen Aussagewert; er enthält den Hinweis auf eine rechtliche Befugnis ohne unmittelbare zeitliche Begrenzung (Senatsurteil in BFHE 108, 517, BStBl II 1973, 533; s. auch BFH-Urteil vom 10. November 1998 VIII R 3/98, BFHE 187, 386, BStBl II 1999, 199, unter 2. der Gründe).
Eine Anfechtungsklage ist im Streitfall aber ohne weiteres möglich. Wie das FG ausgeführt hat, sind die streitgegenständlichen Grundstücke bereits entnommen worden. Die steuerlichen Konsequenzen sind daher bei den Veranlagungen 2002 und 2003 zu ziehen.
Tatsächlich sind die steuerlichen Konsequenzen in den Steuerbescheiden 2002 und 2003 auch bereits gezogen worden. Dass die rechtliche Prüfung dieser Bescheide auf Grund des noch bestehenden Vorbehalts der Nachprüfung noch nicht abschließend erfolgt ist, vermag die Zulässigkeit der Feststellungsklage nicht zu begründen. Es ist den Klägern jedenfalls zuzumuten, die abschließende Prüfung der unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehenden Steuerbescheide abzuwarten. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Bescheide entsprechend der Rechtsauffassung der Kläger erlassen worden sind und die Nachprüfungsbefugnis sowie die damit einhergehende Änderungsbefugnis des FA auf Grund der Regelung in § 164 Abs. 4 AO einer zeitlichen Schranke unterworfen sind.
2. Überraschungsentscheidung
a) Nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) hat vor Gericht jedermann Anspruch auf rechtliches Gehör. Daraus folgt für das finanzgerichtliche Verfahren zum einen, dass das FG sein Urteil nur auf Tatsachen und Beweisergebnisse stützen darf, zu denen die Beteiligten sich äußern konnten (§ 96 Abs. 2 FGO). Darüber hinaus haben die Verfahrensbeteiligten Anspruch darauf, dass das Gericht sie auch in rechtlicher Hinsicht auf entscheidungserhebliche Erwägungen und Gesichtspunkte hinweist, mit denen sie erkennbar nicht gerechnet haben und auch nicht rechnen mussten (vgl. § 76 Abs. 2 FGO). Das FG verletzt deshalb das Recht eines Beteiligten auf Gehör, wenn es sein Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen war und dessen Heranziehung auch nicht aus sonstigen Gründen nahe lag (BFH-Urteile vom 17. Juni 1998 II R 29/97, BFH/NV 1999, 185, und vom 23. September 1999 VI R 106/98, BFH/NV 2000, 448; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 119 Rz 10a, jeweils m.w.N.).
Eine unzulässige Überraschungsentscheidung liegt indes nicht vor, wenn das FG das angefochtene Urteil auf einen rechtlichen Gesichtspunkt gestützt hat, der im bisherigen Verfahren zumindest am Rande angesprochen worden ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2000, 448, m.w.N.).
b) Davon ausgehend liegt eine Überraschungsentscheidung im Streitfall nicht vor. Das von den Klägern beanstandete Verhalten liegt darin, dass das FG die Klagen teilweise als unzulässig abgewiesen hat, ohne einen diesbezüglichen Hinweis zu erteilen. Die Frage der Zulässigkeit der Klagen war indes Gegenstand der schriftsätzlichen Stellungnahmen in den Klageverfahren. So hat das FA in den Klageerwiderungsschriftsätzen ausdrücklich darauf hingewiesen, dass seiner Ansicht nach sowohl die Feststellungsklage als auch die Klage auf Erteilung einer verbindlichen Auskunft unzulässig seien. Angesichts dessen mussten die Kläger, zumal sie anwaltlich vertreten waren, mit einer entsprechenden Entscheidung durch das FG rechnen. Vorheriger weiterer rechtlicher Hinweise durch das FG bedurfte es daher nicht.
Eine Überraschungsentscheidung ist ebenso wenig deshalb anzunehmen, weil das FG auf seine Bedenken gegen die Begründetheit der auf die Aufhebung des Vorbehalts der Nachprüfung gerichteten Klage nicht in der nach Auffassung der Kläger gebotenen Weise hingewiesen hat. Die Kläger folgern dies aus dem Umstand, dass im Rahmen der mündlichen Verhandlung seitens des FA erstmals vorgetragen worden sei, dass eine Betriebsprüfung noch im Laufe des Jahres 2006 erfolgen solle, und dass das FG diese Behauptung, ohne auf ihre Relevanz hinzuweisen, auch zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht habe.
Es liegt auf der Hand, dass das Gericht Ausführungen zum Sachverhalt, die von den Beteiligten nicht bestritten werden und bezüglich derer sich Zweifel an der Richtigkeit nicht aufdrängen müssen, im Rahmen seiner Entscheidungsfindung berücksichtigt. Dass die Absicht, eine Außenprüfung durchzuführen, für die Frage von Relevanz ist, ob der Steuerfall aus Sicht des FA bereits abschließend geprüft ist, musste sich den Klägern geradezu aufdrängen. Eines rechtlichen Hinweises des FG an die anwaltlich vertretenen Kläger bedurfte es daher nicht. Ebenso wenig bedarf es zur Verwertung der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Sachverhaltsdarstellung einer Protokollierung derselben. Zum Umfang der Niederschrift der mündlichen Verhandlung wird insoweit auf § 94 FGO i.V.m. § 160 der Zivilprozessordnung (ZPO) verwiesen.
3. Bezüglich der behaupteten Verstöße gegen die Regelungen in § 96 Abs. 1 Satz 1 FGO und § 76 Abs. 1 FGO fehlt es bereits an der ausreichenden Darstellung i.S. des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO. Tatsächlich knüpft der Vorwurf, das FG habe seine Entscheidung auf der Grundlage eines unvollständig ermittelten Sachverhalts getroffen und seiner Entscheidung nicht das Gesamtergebnis der Verhandlung zugrunde gelegt, ausschließlich an die angeblich fehlerhafte Sachverhaltswürdigung durch das FG an. So meinen die Kläger --allerdings zu Unrecht--, dass die Sachverhaltsfeststellungen des FG dessen Annahme nicht rechtfertigten, das FA habe ihren Steuerfall noch nicht abschließend geprüft. Eine fehlerhafte Subsumtion des Sachverhalts stellt indes --zudem-- einen materiellen Rechtsfehler dar, auf den die Zulassung der Revision nicht gestützt werden kann.
4. Die Erforderlichkeit der Rechtsfortbildung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO ist nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechend dargelegt worden.
a) Der Zulassungsgrund i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 2 1. Alternative FGO konkretisiert den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO. Dementsprechend bedarf es auch für die Darlegung der Erforderlichkeit der Rechtsfortbildung der Herausarbeitung einer bestimmten Rechtsfrage, deren Klärung das Interesse der Allgemeinheit an der einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt und die klärungsbedürftig sowie im Streitfall klärbar ist (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 15. Juli 1966 VI B 2/66, BFHE 86, 708, BStBl III 1966, 628, und vom 30. August 2001 IV B 79, 80/01, BFHE 196, 30, BStBl II 2001, 837).
b) Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Den von der Beschwerde herausgearbeiteten Rechtsfragen, wann und unter welchen Voraussetzungen die Annahme gerechtfertigt ist, dass eine abschließende Prüfung des Steuerfalls noch nicht gegeben ist, und ob es weiterer Feststellungen ggf. hinsichtlich welcher Gesichtspunkte bedarf oder ob für die Beurteilung allein die subjektive Einschätzung des FA maßgeblich ist, fehlt es bereits an jeglicher Bestimmtheit. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts etwaige Rechtsfragen abstrakt und losgelöst von dem dem Rechtsstreit zugrunde liegenden Sachverhalt zu klären.
Im Übrigen ist die Beurteilung der Frage, ob ein Steuerfall abschließend geprüft ist, regelmäßig von den Umständen des Einzelfalls abhängig und gehört zu den tatsächlichen Feststellungen i.S. des § 118 Abs. 2 FGO, an die das Revisionsgericht grundsätzlich gebunden ist. Es ist nämlich allein Aufgabe des FG, die für die Entscheidung maßgeblichen Tatsachen zu ermitteln und auf Grund des festgestellten Sachverhalts im Rahmen der ihm obliegenden Tatsachenwürdigung die Schlussfolgerungen tatsächlicher Art zu ziehen.
Fundstellen
Haufe-Index 1807422 |
BFH/NV 2007, 2127 |