Entscheidungsstichwort (Thema)
Eine die Kirchensteuerzahlung übersteigende Erstattung von Kirchensteuer ist rückwirkendes Ereignis
Leitsatz (NV)
Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass die Erstattung von Kirchensteuer (zumindest) insoweit ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs.1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 ist, als sie die im Jahr der Erstattung gezahlte Kirchensteuer übersteigt.
Normenkette
AO 1977 § 175 Abs. 1 S. 1 Nr. 2; EStG § 10 Abs. 1; FGO § 69
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Die Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller), zusammenveranlagte Eheleute, sind kirchensteuerpflichtig. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte bei den Einkommensteuerveranlagungen für 1993 bis 1997 die jeweils in diesen Veranlagungszeiträumen gezahlten Kirchensteuern --teilweise nach Abzug von Erstattungen-- als Sonderausgaben.
Im Veranlagungszeitraum 1999 wurde den Antragstellern aufgrund geänderter Einkommensteuerbescheide für die Jahre 1993 bis 1997 Kirchensteuer in Höhe von insgesamt 27 826 DM erstattet. Davon entfielen auf den Veranlagungszeitraum 1993 7 372 DM, 1994 7 155 DM, 1995 6 178 DM, 1996 6 543 DM und 1997 578 DM.
Das FA verrechnete die Erstattung zunächst mit der von den Antragstellern im Jahr 1999 gezahlten Kirchensteuer in Höhe von 145 DM. Den Erstattungsüberhang in Höhe von 27 681 DM verteilte es rechnerisch in Relation zu den tatsächlichen Erstattungsanteilen auf die Veranlagungszeiträume 1993 bis 1997 und erließ für die Streitjahre 1993, 1994 und 1996 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderte Einkommensteuerbescheide. In den Änderungsbescheiden für 1993 und 1994 minderte es die bisher als Sonderausgaben berücksichtigten Kirchensteuerzahlungen um die anteiligen Erstattungsüberhänge. Im geänderten Einkommensteuerbescheid für 1996 kürzte es den Sonderausgabenabzug auf 0 DM. Die Einkommensteuerbescheide für 1995 und 1997 änderte es mangels steuerlicher Auswirkung nicht.
Gegen die geänderten Einkommensteuerbescheide 1993, 1994 und 1996 legten die Antragsteller Einsprüche ein und beantragten erfolglos Aussetzung der Vollziehung (AdV). Daraufhin stellten sie beim Finanzgericht (FG) Antrag auf AdV nach § 69 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Kirchensteuererstattungen wirkten sich nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nur in Ausnahmefällen rückwirkend aus. Ein solcher Ausnahmefall liege hier nicht vor.
Das FG lehnte den Antrag ab. Es bestünden keine ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des BFH lägen keine Aufwendungen i.S. des § 10 des Einkommensteuergesetzes (EStG) vor, wenn die Ausgaben im Ergebnis keine endgültige wirtschaftliche Belastung für den Steuerpflichtigen bedeuteten. Die Erstattung sei ein rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Eine Verrechnung erstatteter Kirchensteuer mit den im Jahr der Erstattung gezahlten Kirchensteuern sei zwar aus Gründen der Praktikabilität grundsätzlich anzuerkennen. Dies gelte aber aufgrund eines der Rechtsprechung des BFH zu entnehmenden allgemeinen Rechtsgedankens nicht, wenn eine Erstattung der Aufwendungen nicht mehr in dem späteren Zeitraum ausgeglichen werden könne. Die Festsetzungsfrist sei im Zeitpunkt des Erlasses der Änderungsbescheide noch nicht abgelaufen gewesen.
Mit ihrer Beschwerde rügen die Antragsteller Verletzung des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977. Der BFH lasse von dem Grundsatz, eine Erstattung im Jahr der Erstattung mit Sonderausgaben zu verrechnen, nur zwei Ausnahmen zu. Der Streitfall falle nicht darunter. Weder sei Kirchensteuer willkürlich gezahlt worden noch sei die Kirchensteuer mangels Kirchenmitgliedschaft erstattet worden. Im Hinblick auf die unterschiedlichen Entscheidungen der FG bestünden zumindest ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Antragsteller ist unbegründet. Zu Recht hat das FG ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Einkommensteuerbescheide abgelehnt.
Gemäß § 69 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO soll das Gericht die Vollziehung eines angefochtenen Verwaltungsaktes ganz oder teilweise aussetzen, wenn ernstliche Zweifel an dessen Rechtmäßigkeit bestehen. Ernstliche Zweifel sind anzunehmen, wenn bei summarischer Prüfung des Verwaltungsaktes neben Umständen, die für die Rechtmäßigkeit sprechen, gewichtige Gründe zutage treten, die Unentschiedenheit oder Unsicherheit in der Beurteilung der Rechtsfragen oder Unsicherheit in der Beurteilung der Tatfragen auslösen (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Beschluss vom 9. Mai 2001 XI B 151/00, BFHE 195, 314, BStBl II 2001, 552). Diese Voraussetzungen liegen im Streitfall nicht vor. Es bestehen keine ernstlichen Zweifel daran, dass das FA die im Jahr 1999 erstatteten Kirchensteuern zu Recht mit Kirchensteuerzahlungen in den Streitjahren verrechnet hat.
1. Die Einkommensteuerbescheide für 1993, 1994 und 1996 waren zu ändern. Ein Steuerbescheid ist zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 FGO).
Die Erstattung von Sonderausgaben i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 EStG ist ein solches rückwirkendes Ereignis. Aus der Verwendung des Begriffs "Aufwendungen" in § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG folgt nach ständiger Rechtsprechung des BFH, dass nur solche Ausgaben als Sonderausgaben berücksichtigt werden dürfen, durch die der Steuerpflichtige tatsächlich und endgültig wirtschaftlich belastet ist (vgl. BFH-Urteile vom 26. Juni 1996 X R 73/94, BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646; vom 28. Mai 1998 X R 7/96, BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95, m.w.N.; vom 24. April 2002 XI R 40/01, BFHE 199, 167, BStBl II 2002, 569). An einer endgültigen Belastung fehlt es, wenn Sonderausgaben erstattet werden. Das gilt auch, wenn erst nach Ablauf des Veranlagungszeitraums geklärt wird, ob Sonderausgaben erstattet werden (BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646).
§ 11 Abs. 1 EStG steht der Annahme, dass die Erstattung von Kirchensteuer wegen des Wegfalls der endgültigen Belastung ein rückwirkendes Ereignis ist, nicht entgegen. Diese Vorschrift betrifft grundsätzlich nur die zeitliche Zuordnung steuerbarer Einnahmen und abzugsfähiger Aufwendungen (vgl. z.B. Schmidt/ Heinicke, Einkommensteuergesetz, 22. Aufl., § 11 Rdnr. 3). Die Erstattung von Sonderausgaben fällt unter keine der sieben Einkunftsarten.
Bei jährlich wiederkehrenden Sonderausgaben wie z.B. der Kirchensteuer hat der BFH zwar aus Gründen der Praktikabilität und Rechtskontinuität eine Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit gleichartigen Sonderausgaben im Jahr der Erstattung im Grundsatz zugelassen. Die Verrechnung erstatteter Sonderausgaben mit Sonderausgaben im Jahr der Zahlung ist aber insoweit geboten, als anderenfalls nicht mehr zu rechtfertigende Steuervorteile eintreten würden. Das ist beispielsweise der Fall, wenn im Erstattungsjahr keine gleichartigen Sonderausgaben angefallen sind (BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646). Dasselbe gilt, wenn im Erstattungsjahr die gezahlten (gleichartigen) Sonderausgaben niedriger sind als die Erstattung. Es bestehen daher keine ernstlichen Zweifel daran, dass das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 11. Juli 2002 IV C 4 -S 2221- 191/02 (BStBl I 2002, 667) insoweit eine zutreffende Gesetzesinterpretation enthält (ebenso Kirchhof/Söhn, Einkommensteuergesetz, § 10 Rdnr. B 57). Soweit in der Literatur eine andere Auffassung vertreten wird (vgl. z.B. Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, Einkommen- und Körperschaftsteuergesetz, Kommentar, § 10 EStG Rdnr. 22a), ist diese durch neuere Rechtsprechung überholt. Zudem wird verkannt, dass die zur Begründung herangezogenen Entscheidungen (z.B. BFH-Urteil vom 22. November 1974 VI R 138/72, BFHE 114, 346, BStBl II 1975, 350, m.w.N.) zwar die Verrechnung im Jahr der Erstattung zulassen, aber nicht zur Behandlung von Erstattungsüberhängen Stellung genommen haben.
2. Ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Bescheide ergeben sich auch nicht aus den Urteilen des BFH in BFHE 181, 144, BStBl II 1996, 646, und in BFHE 186, 521, BStBl II 1999, 95. Zwar lagen diesen Entscheidungen Fälle zugrunde, in denen Sonderausgaben mangels Kirchensteuer- bzw. Sozialversicherungspflicht erstattet wurden. Für die hier allein entscheidende Rechtsfrage, ob "Aufwendungen" i.S. des § 10 EStG vorliegen, ist der Rechtsgrund für die Erstattung aber unerheblich. Der Steuerpflichtige ist in Höhe der Erstattung nicht endgültig wirtschaftlich belastet, unabhängig davon, ob Kirchensteuer mangels Kirchensteuerpflicht oder aufgrund einer Herabsetzung von Einkommensteuer erstattet wird. Auch bei der Verrechnung gezahlter und erstatteter Versicherungsbeiträge im selben Steuerabschnitt wird nicht danach unterschieden, ob die Erstattung ihren Rechtsgrund in der fehlenden Beitragspflicht oder in einer Beitragsermäßigung hat (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 20. Februar 1970 VI R 11/68, BFHE 98, 357, BStBl II 1970, 314; vom 27. Februar 1970 VI R 314/67, BFHE 98, 412, BStBl II 1970, 422).
3. Entgegen der Meinung der Antragsteller ergeben sich allein daraus, dass die FG die hier entscheidungserhebliche Rechtsfrage unterschiedlich beantworten, noch keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Steuerbescheide i.S. des § 69 Abs. 2 Satz 2 FGO. Soweit nämlich nach der Rechtsprechung einzelner FG die Erstattung von Sonderausgaben im Ergebnis unberücksichtigt bleibt, wird übersehen, dass nach der Rechtsprechung des BFH zwar die Praktikabilität für eine Verrechnung im Jahr der Erstattung spricht, sie aber zur Vermeidung von ungerechtfertigten Steuervorteilen nur im Umfang der in diesem Jahr gezahlten Kirchensteuer zulässt.
Fundstellen
Haufe-Index 1207646 |
BFH/NV 2004, 1365 |