Entscheidungsstichwort (Thema)
Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung; kumulative Urteilsbegründung
Leitsatz (NV)
1. Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen die aufgeworfene Rechtsfrage umstritten und warum sie im Streitfall entscheidungserheblich und daher in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar ist.
2. Soweit das FG seine Entscheidung auf zwei diese jeweils selbständig tragende Gesichtspunkte gestützt hat, muss der Beschwerdeführer für jede dieser beiden Erwägungen in einer den gesetzlichen Anforderungen entsprechenden Art und Weise einen Grund für die Zulassung der Revision darlegen.
Normenkette
FGO § 115 Abs. 2 Nr. 1, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 11.11.2004; Aktenzeichen 1 K 1087/04) |
Tatbestand
I. Eine Schuldnerin (S) der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) kaufte mit Vertrag vom 29. März 1996 das Erbbaurecht an einem Grundstück, wobei im vereinbarten Kaufpreis die Baukosten als Vertragsgegenstand enthalten waren. Das damals zuständige Finanzamt setzte für diesen Vorgang mit Bescheid vom 2. Mai 1996 Grunderwerbsteuer fest. Mit notarieller Urkunde vom 3. Februar 2000 wurde der Kaufpreis für das Erbbaurecht herabgesetzt, da die Verkäuferin die geschuldete Bauleistung nicht erbracht hatte und auch nicht mehr erbringen sollte.
Auf Antrag der Klägerin erließ das Amtsgericht (AG) … am 8. Februar 2000 in der Zwangsvollstreckungssache der Klägerin gegen S einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss gegen das damals bereits aufgelöste Finanzamt X, als Drittschuldner, mit dem es die "Forderung aus dem Grunderwerbsteuerbescheid vom 02.05.1996 über DM 291.000,00" pfändete. Dieser Beschluss gelangte am 20. April 2000 zum Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt --FA--).
Wegen der Vertragsänderung vom 3. Februar 2000 erließ das FA am 18. September 2000 einen geänderten Bescheid, mit dem es die Grunderwerbsteuer herabsetzte und der bestandskräftig wurde. Es zahlte aufgrund des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses einen Teilbetrag aus dem sich hieraus ergebenden Guthaben an die Klägerin aus.
Der Klage der S gegen das FA auf Erstattung des gesamten im Änderungsbescheid vom 18. September 2000 ausgewiesenen Steuerguthabens gab das Finanzgericht (FG) mit einem rechtskräftig gewordenen Urteil mit der Begründung statt, die Pfändung sei gemäß § 46 Abs. 6 Sätze 1 und 2 der Abgabenordnung (AO 1977) nichtig gewesen, da der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vor Entstehen des gepfändeten Erstattungsanspruchs erlassen worden sei. Die Klägerin war zu diesem Verfahren nicht beigeladen worden.
Das FA forderte daraufhin mit dem auf § 37 Abs. 2 AO 1977 gestützten Rückforderungsbescheid vom 19. Juni 2003 von der Klägerin die Rückzahlung des an sie ausgezahlten Teilbetrags. Einspruch und Klage blieben erfolglos. Das FG hielt an seiner bereits im Klageverfahren der S gegen das FA vertretenen Auffassung fest, dass die Pfändung nichtig gewesen sei und das FA deshalb den zurückgeforderten Betrag ohne Bestehen eines materiell-rechtlichen oder verfahrensrechtlichen Grundes an die Klägerin ausgezahlt habe. Anders als vom FA zunächst angenommen habe aus näher bezeichneten Gründen weder bei Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch bei Zugang dieses Beschlusses beim FA der S materiell-rechtlich ein Anspruch auf Rückzahlung von Grunderwerbsteuer zugestanden. Die Verpflichtung des FA zur Erstattung von Grunderwerbsteuer sei demnach erst durch den zu Unrecht ergangenen, aber bindenden Steueränderungsbescheid vom 18. September 2000 zustande gekommen, allerdings nicht rückwirkend.
Der angefochtene Rückforderungsbescheid sei auch nicht im Hinblick auf den von der Klägerin geltend gemachten Grundsatz von Treu und Glauben aufzuheben. Dieser auch im Steuerrecht geltende Grundsatz begründe wegen des in § 38 AO 1977 festgelegten Vorbehalts des Gesetzes keine Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis und lasse sie auch nicht erlöschen. Allerdings könne die erhobene Einrede nach Treu und Glauben der Geltendmachung eines Rückforderungsanspruchs entgegenstehen. Da die Klägerin diese Einrede aber erstmals im Klageverfahren erhoben habe, habe sie das FA bei Erlass des Rückforderungsbescheids noch nicht zu berücksichtigen brauchen. Im Übrigen habe die Klägerin die nach ihrer Ansicht einen Vertrauensschutz begründenden Umstände erst in der mündlichen Verhandlung näher substantiiert, jedoch ohne sie nachzuweisen und somit eine Überprüfung durch das FG zu ermöglichen. Diese Umstände könnten daher nicht berücksichtigt werden.
Die Klägerin stützt die Beschwerde wegen Nichtzulassung der Revision auf grundsätzliche Bedeutung, Divergenz und Verfahrensmängel.
Das FA hält die Beschwerde für unbegründet.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig. Sie entspricht nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen (§ 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Danach müssen in der Beschwerdebegründung die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden.
1. Grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO)
a) Die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache muss --vom hier nicht gegebenen Fall ihrer Offenkundigkeit abgesehen-- schlüssig und substantiiert dargelegt werden. Dies erfordert ein konkretes Eingehen des Beschwerdeführers darauf, inwieweit die aufgeworfene Rechtsfrage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und in welchem Umfang, von welcher Seite und aus welchen Gründen sie umstritten ist (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 30. Mai 2005 X B 149/04, BFH/NV 2005, 1618, m.w.N.). Außerdem muss der Beschwerdeführer darlegen, warum die von ihm herausgestellte Frage im Streitfall entscheidungserheblich und daher in einem künftigen Revisionsverfahren klärbar ist (BFH-Beschlüsse vom 1. September 2004 II B 156/03, BFH/NV 2005, 71, und vom 1. September 2004 X B 162/03, BFH/NV 2005, 224), und sich mit den Rechtsausführungen des FG auseinander setzen (BFH-Beschluss vom 15. Oktober 2003 III B 114/02, BFH/NV 2004, 223).
b) Diesen Anforderungen wird die Beschwerdebegründung der Klägerin nicht gerecht. Die von der Klägerin herausgestellte Frage, ob Ansprüche auf Erstattung von Grunderwerbsteuer ebenso wie Ansprüche auf Erstattung anderer Steuern bereits gepfändet werden können, wenn sie materiell-rechtlich entstanden, aber noch nicht durch Bescheid festgesetzt sind, hat das FG nicht verneint, sondern die Ansicht vertreten, dass weder bei Erlass des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses noch bei Zugang dieses Beschlusses beim FA materiell-rechtlich ein pfändbarer Anspruch der S auf Rückzahlung von Grunderwerbsteuer bestanden habe. Hinsichtlich dieser Ansicht des FG macht die Klägerin nicht ansatzweise deutlich, woraus sich insoweit eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache ergeben soll. Sie setzt sich mit den Rechtsausführungen des FG hierzu nicht auseinander.
2. Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO)
a) Die Ausführungen der Klägerin zur "materiellen Rechtsgrundtheorie" bei der Pfändung von materiell entstandenen, aber noch nicht festgesetzten Steuererstattungsansprüchen gehen auch hinsichtlich dieses Revisionszulassungsgrundes fehl, weil nach Auffassung des FG die Vertragsänderung vom 3. Februar 2000 nicht zu einem Entstehen eines Steuererstattungsanspruchs geführt hat und die Klägerin insoweit keinen Grund für die Zulassung der Revision dargetan hat.
b) Soweit sich die Klägerin auf den Grundsatz von Treu und Glauben beruft, hat das FG seine Entscheidung auf zwei diese jeweils selbständig tragende Gesichtspunkte gestützt, nämlich dass die Klägerin sich erstmals im Klageverfahren auf diesen Gesichtspunkt berufen hat und das FA ihn deshalb beim Erlass des angefochtenen Bescheids noch nicht berücksichtigen konnte, und ferner darauf, dass das FG die vorgetragenen tatsächlichen Umstände wegen fehlenden Nachweises nicht überprüfen konnte. Die Klägerin hätte daher für jede dieser beiden Erwägungen in einer den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO entsprechenden Art und Weise einen Grund für die Zulassung der Revision darlegen müssen (BFH-Beschluss vom 22. Februar 2005 X B 97/04, BFH/NV 2005, 1085, und vom 29. Juni 2005 VI B 13/05, BFH/NV 2005, 1560, je m.w.N.). Daran fehlt es. Die Klägerin macht lediglich im Stil einer Revisionsbegründung geltend, das FG habe die vom BFH entwickelten Grundsätze zur Beachtung des Vertrauensschutzes und zu Treu und Glauben bei der Rückforderung nicht beachtet. Das genügt nicht den gesetzlichen Begründungsanforderungen.
3. Verfahrensmangel (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO)
Die Klägerin macht mit dem Vorbringen, sie hätte im Klageverfahren der S gegen das FA wegen Erstattung der Grunderwerbsteuer beigeladen werden müssen, keinen Verfahrensmangel des vorliegenden Verfahrens geltend. Die unterlassene Beiladung führte dazu, dass die Klägerin an das zwischen S und dem FA ergangene Urteil nicht gebunden ist (§ 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO). Sie konnte also im vorliegenden Verfahren geltend machen, der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss sei wirksam gewesen, ohne daran durch verfahrensrechtliche Gründe gehindert zu sein.
Fundstellen
Haufe-Index 1460430 |
BFH/NV 2006, 321 |