Leitsatz (amtlich)
Dem Großen Senat des BFH wird gemäß § 11 Abs. 3 FGO folgende Rechtsfrage zur Entscheidung vorgelegt: Gilt der Vertretungszwang nach Art. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 BFH-EntlastG auch für die Beschwerde eines Zeugen, mit der dieser sich gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln nach § 82 FGO, § 380 Abs. 1 ZPO durch das Finanzgericht wendet?
Normenkette
BFH-EntlastG Art. 1 Nr. 1 Sätze 1-2; FGO §§ 57, 128 Abs. 1
Verfahrensgang
Tatbestand
In drei beim V. Senat anhängigen Verfahren wenden sich nicht durch einen Rechtsanwalt, Steuerberater oder Wirtschaftsprüfer vertretene Zeugen gegen die Verhängung der Ordnungsmittel nach § 380 Abs. 1 ZPO (Ordnungsgeld, hilfsweise Ordnungshaft und Auferlegung der Kosten) durch die Beschlüsse des Finanzgerichts vom 12. Januar 1982. Die Zeugen waren für diesen Tag zu einem Beweistermin vor dem Finanzgericht geladen und unentschuldigt nicht erschienen. Die Zeugen haben gegen die Beschlüsse des Finanzgerichts nicht den Antrag nach § 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO gestellt, sondern jeweils selbst schriftlich beim Finanzgericht Beschwerde mit dem Antrag eingelegt, das festgesetzte Ordnungsgeld aufzuheben. Zur Begründung haben die Zeugen vorgebracht, sie seien aufgrund einer Information des Prozeßbevollmächtigten des Klägers durch den Kläger darüber unterrichtet worden, daß der Beweisaufnahmetermin wegen Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten verlegt werde. Das Finanzgericht hat den Beschwerden nicht abgeholfen.
Entscheidungsgründe
Der V. Senat beabsichtigt, in eine sachliche Prüfung der Beschwerden einzutreten, sieht sich aber daran gehindert durch den (nicht veröffentlichten) Beschluß des II. Senats vom 5. März 1980 – II B 6/80 –, in dem die Beschwerde eines nicht vertretenen Zeugen im Hinblick auf Art. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 BFH-EntlastG als unzulässig verworfen worden ist. Auf Anfrage hat der II. Senat erklärt, er stimme der beabsichtigten Abweichung nicht zu.
Ebenso wie nach § 380 Abs. 3 ZPO kann der Zeuge im finanzgerichtlichen Verfahren gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln gemäß § 82 FGO, § 380 Abs. 1 ZPO wahlweise neben der nachträglichen Entschuldigung (§ 82 FGO, § 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO) gemäß § 128 Abs. 1 FGO als Betroffener (nicht als am Verfahren Beteiligter) Beschwerde einlegen. Die sonach statthaften Beschwerden sind nach Auffassung des V. Senats in zulässiger Weise eingelegt, weil ein Zeuge nicht Beteiligter i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG ist, sondern ein Dritter, so daß ungeachtet Art. 1 Nr. 1 Satz 2 BFH-EntlastG der Zeuge nicht dem Vertretungszwang nach Satz 1 a. a. O. unterliegt.
Der Beteiligtenbegriff i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG bestimmt sich bei rein formaler Betrachtung nach § 57 FGO. Dort sind Zeugen nicht genannt. Dies entspricht auch der prozessualen Stellung des Zeugen im Prozeß; denn er ist eine am Verfahren nicht selbst als Partei oder als gesetzlicher Vertreter einer Partei unmittelbar beteiligte Auskunftsperson zum Zwecke des Beweises. Hinsichtlich eines Zeugen enthalten die Vorschriften der Finanzgerichtsordnung über das Beschwerdeverfahren (§§ 128 ff.) keinen anderen Beteiligtenbegriff. In § 128 Abs. 1 FGO ist neben den Beteiligten von den „sonst von der Entscheidung Betroffenen”, also Dritten, die Rede, zu denen der Zeuge gehört.
Aus § 130 Abs. 2 FGO, wonach das Finanzgericht „die Beteiligten” von der Vorlage der Beschwerde in Kenntnis setzen soll, kann entgegen der Auffassung des II. Senats (die dieser in seiner Antwort auf die Anfrage des V. Senats wegen der beabsichtigten Abweichung geäußert hat) nicht gefolgert werden, daß dem Beschwerdeverfahren ein anderer Beteiligtenbegriff als nach § 57 FGO zugrunde liege. Vielmehr ist § 128 Abs. 1 FGO die maßgebliche Norm.
Als Beteiligte i. S. des Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG sind nach allgemeinen Grundsätzen und dem Sinn und Zweck des Entlastungsgesetzes nach Auffassung des V. Senats nur diejenigen anzusehen, die am Prozeßrechtsverhältnis in dem Sinne beteiligt sind, daß sie als Partei, Beigeladener oder Beigetretener aus eigener Entschließung auf das Verfahren selbst Einfluß nehmen, Anträge stellen und Rechtsmittel einlegen können. Demgegenüber ist der Zeuge als Dritter im Rahmen der Beweisaufnahme lediglich eine an sich außenstehende Auskunftsperson in einem zwischen anderen Subjekten anhängigen Verfahren. Den Zeugen treffen bestimmte Pflichten, bei deren Nichtbeachtung die Rechtsordnung Sanktionen vorsieht. Wie sich aus der Begründung zum BFH-EntlastG ergibt (BT-Drucksache 7/3654, S. 4) ergibt, sollte mit der Einführung des Vertretungszwangs die Überlastung des Bundesfinanzhofs insoweit ausgeräumt werden, als sie auch darauf zurückzuführen ist, daß die „Beteiligten” nach ihrer Vorbildung häufig nicht in der Lage sind, die Aussichten einer Revision, einer Beschwerde oder einer Klage selbst richtig einzuschätzen und das Verfahren vor dem Bundesfinanzhof selbst sachgerecht zu führen. Diese Gesichtspunkte treffen auf eine Zeugenbeschwerde gegen die Verhängung von Ordnungsmitteln nicht zu, da es sich dabei um seltene Ausnahmefälle handelt, die kein Entlastungserfordernis begründen. Außerdem geht es dabei regelmäßig nur um die Frage, ob der Zeuge unentschuldigt und schuldhaft ferngeblieben ist oder nicht bzw. um die Entscheidung, ob der Zeuge von der Möglichkeit nach § 82 FGO, § 381 Abs. 1 Satz 2 ZPO Gebrauch macht oder nicht. Hierzu bedarf es regelmäßig keiner sachkundigen Beratung oder verfahrensrechtlicher Erschwerungen (Hübschmann/Hepp/Spitaler, Kommentar zur AO/FGO, 8. Auflage, § 82 FGO Rdnr. 27 a. E.).
Die eigene Postulationsfähigkeit des Zeugen im Beschwerdeverfahren entspricht im übrigen auch der Zivilprozeßordnung, nach deren Modell (§ 78 ZPO) der Vertretungszwang des Art. 1 Nr. 1 Sätze 1 und 2 BFH-EntlastG gebildet worden ist. Hinsichtlich der Ordnungsmittel des § 380 ZPO können, „die Anzeigen und Gesuche des Zeugen … zum Protokoll der Geschäftsstelle … angebracht werden” (§ 381 Abs. 2 ZPO), unterliegen also nicht dem Anwaltszwang (§ 78 Abs. 2 ZPO). Im Zwischenstreit über die Rechtmäßigkeit der Zeugnisverweigerung (§ 387 Abs. 1 ZPO) ist der Zeuge „nicht verpflichtet, sich durch einen Anwalt vertreten zu lassen” (§ 387 Abs. 2 ZPO), obwohl in diesem Verfahren mit Wirkung für und gegen den Zeugen ein – nicht der Berufung, sondern der sofortigen Beschwerde unterliegendes – Zwischenurteil ergeht (§ 387 Abs. 3 ZPO). §§ 381 und 387 ZPO sind durch § 82 FGO in Bezug genommen. Für die Beschwerde folgt in der Zivilprozeßordnung der fehlende Vertretungszwang aus § 569 Abs. 2 Satz 2, § 78 Abs. 2 ZPO. Es ist nicht ersichtlich, daß abweichend von der Zivilprozeßordnung mit Art. 1 Nr. 1 BFH-EntlastG mit der Einführung des Vertretungszwanges hinsichtlich der Beschwerde des am Finanzgerichts-Verfahren sonst nicht beteiligten Zeugen für den Bundesfinanzhof eine strengere Regelung geschaffen werden sollte als für die Zivilgerichte, vor denen sonst Vertretungszwang besteht.
Schließlich muß auch bedacht werden, daß die Rechtslage bezüglich der Erstattungspflicht der außergerichtlichen Auslagen eines Zeugen, der eine erfolgreiche Beschwerde mit einem Vertreter durchgeführt hat, ungeklärt ist (vgl. OLG Hamm, Beschluß vom 15. November 1979 – 2 W 13/78 – MDR 1980, S. 322 m. w. N. über die kontroversen Meinungen). Die Bejahung eines Vertretungszwanges erschiene bedenklich, wenn nicht hinreichend klar ist, wer für die Kosten dieser Vertretung im Erfolgsfalle aufzukommen hat.
Fundstellen
Haufe-Index 557447 |
BStBl II 1982, 732 |
BFHE 1983, 356 |