Leitsatz (amtlich)
Der BFH hält daran fest, daß er nach Aufhebung eines Beschlusses des FG im Beschwerdeverfahren die Sache an das FG zurückverweisen darf; das gilt grundsätzlich auch im Verfahren über die Aussetzung der Vollziehung.
Normenkette
FGO §§ 69, 132, 155; ZPO § 575
Tatbestand
Das Finanzgericht (FG) verwarf einen erneuten Antrag auf Aussetzung der Vollziehung eines Steuerbescheides mit der Begründung, die vorgetragenen Tatsachen seien keine "veränderten Umstände" im Sinne des Art. 3 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (VGFGEntlG).
Mit der vom FG zugelassenen Beschwerde bittet die Antragstellerin, den Beschluß des FG aufzuheben und dem Aussetzungsantrag stattzugeben. Nach ihrer Auffassung ist der Senat aus den vom FG Schleswig-Holstein im Beschluß vom 5. November 1979 III 250/79 (Entscheidungen der Finanzgerichte 1980 S. 87 - EFG 1980, 87 -) dargelegten Gründen gehindert, die Sache an das FG zurückzuverweisen.
Entscheidungsgründe
Der Senat hält es für angebracht, die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die Begründetheit des Antrages prüft. Die Befugnis zur Zurückverweisung der Sache ergibt sich aus §§ 132, 155 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 575 der Zivilprozeßordnung - ZPO - (vgl. die Beschlüsse des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5. Februar 1975 II B 29/74, BFHE 115, 12, BStBl II 1975, 465, und vom 30. März 1976 VII B 105/75, BFHE 119, 122, BStBl II 1976, 595).
Der Beschluß des FG Schleswig-Holstein in EFG 1980, 87, auf den sich die Antragstellerin für ihre Auffassung stützt, der BFH sei in einem Verfahren wegen Aussetzung der Vollziehung an einer Zurückverweisung der Sache an das FG gehindert, ist durch den BFH-Beschluß vom 26. März 1980 I B 11/80 (BFHE 130, 17, BStBl II 1980, 334) aufgehoben worden. Die in ihm zur Frage der Zurückverweisungsbefugnis dargelegten Argumente greifen nicht durch.
Die Frage, ob der BFH nach Aufhebung der FG-Entscheidung nunmehr selbst über die Begründetheit zu entscheiden hat, oder ob er zur Nachholung dieser Entscheidung durch das FG die Sache an dieses zurückverweisen darf, beurteilt sich nach den Vorschriften über das Beschwerdeverfahren. Dieses ist in der Finanzgerichtsordnung unvollständig geregelt, so daß hier ein besonderes Bedürfnis besteht, von der Vorschrift des § 155 FGO Gebrauch zu machen, wonach Lücken in den Verfahrensbestimmungen der Finanzgerichtsordnung durch sinngemäße Anwendung der Zivilprozeßordnung zu schließen sind (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 132 Rdnr. 1; Tipke-Kruse, Abgabenordnung/Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., § 132 Abs. 1 FGO). Als sinngemäß anwendbare Vorschrift der Zivilprozeßordnung kommt hier § 575 in Betracht. Für den vorliegenden Fall, daß das Beschwerdegericht die Beschwerde für begründet hält, gestattet sie die Zurückverweisung der Sache an das untere Gericht (Baumbach/Lauterbach, Zivilprozeßordnung, 38. Aufl., § 575 Anm. 1). Das entspricht der für das Revisionsverfahren in der Finanzgerichtsordnung selbst enthaltenen Regelung des § 126 Abs. 3 Nr. 2, wonach bei einer begründeten Revision der BFH das angefochtene Urteil aufheben und die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverweisen kann. Diese Zurückverweisungsbefugnis ist Ausfluß eines tragenden Grundprinzips des Instanzenzuges, nämlich der Aufteilung der Rechtsprechungsfunktionen unter den Gerichten. Als Revisions- und Beschwerdegericht hat der BFH in erster Linie die Aufgabe, die Entscheidungen der FG zu überprüfen, wohingegen die FG dem Rechtsuchenden den ersten Zugang zum Richter zu bieten haben. Sie können diese Aufgabe in der Regel auch schneller und effektiver erfüllen, weil sie den Beteiligten örtlich näher sind. Deshalb ist es gerade dann, wenn - wie im vorliegenden Fall - der Antrag eines Rechtsuchenden vom FG als unzulässig abgelehnt worden ist und diese Entscheidung sich im Beschwerdeverfahren vor dem BFH als rechtsirrig herausgestellt, besonders angezeigt, die Sache an das FG zurückzuverweisen, damit dieses die von ihm aufgrund seines Rechtsirrtums unterlassene Nachprüfung der Begründetheit des Antrags nachholt. Der Rechtsuchende mag in manchen Fällen ein Interesse an einer sofortigen Sachentscheidung des BFH haben. Indessen ist demgegenüber zu bedenken, daß die erste Sachentscheidung Fragen aufwerfen kann, für deren rechtliche Klärung eine erstinstanzliche Entscheidung durch das FG wesentlich ist. Denn der Instanzenzug dient auch der Befruchtung der Rechtsprechung des BFH durch die der FG.
Alles dies gilt grundsätzlich auch für Beschwerdeverfahren in Aussetzungssachen, wenn auch wegen der in solchem Fall in der Regel vorliegenden Eilbedürftigkeit der BFH von der Möglichkeit einer Zurückverweisung zurückhaltend Gebrauch machen wird.
Fundstellen
Haufe-Index 73321 |
BStBl II 1980, 657 |
BFHE 1981, 12 |