Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung
Leitsatz (NV)
1. Gründe für ein Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters, die eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde.
2. Gründe, die in der Person eines anderen als des Beteiligten Anlaß geben könnten, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, geben dem Beteiligten grundsätzlich kein Ablehnungsrecht. Eine Ausnahme gilt nur, wenn der Anlaß zu der Besorgnis gegeben ist, daß sich das gespannte Verhältnis zu dem Dritten auf die innere Einstellung des Richters zu einem Beteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens auswirken könnte.
Normenkette
FGO §§ 51, 57; ZPO § 42 Abs. 1-2
Tatbestand
In der Streitsache des Klägers, Antragstellers und Beschwerdeführers (Kläger) wegen . . . hatte der Vorsitzende des zur Entscheidung berufenen Senats des Finanzgerichts (FG) mit Verfügung vom 20. April 19. . mündliche Verhandlung und Beweisaufnahme auf Mittwoch, 18. Mai 19. ., anberaumt. Geladen waren der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, der Beklagte, Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -), sowie u. a. die geschiedene Ehefrau des Klägers, Frau R.
Die Ladung enthielt den Hinweis, daß beim Ausbleiben eines Beteiligten auch ohne ihn verhandelt und entschieden werden könne. Außerdem war in der für den Prozeßbevollmächtigten bestimmten Ladung vermerkt, daß das persönliche Erscheinen des Klägers ratsam sei, daß er aber nicht gesondert (persönlich) geladen worden sei. Mit Schreiben vom 21. April 19. . beantragte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers, den Termin vom 18. Mai 19. . aufzuheben, damit der Bundesfinanzhof (BFH) zunächst über eine Beschwerde gegen die Versagung von Prozeßkostenhilfe entscheiden könne. Mit Schreiben vom 26. April 19. . stützte der Prozeßbevollmächtigte den Aufhebungsantrag zusätzlich darauf, daß der Kläger sich ab 13. Mai 19. . für mehr als eine Woche in stationärer Krankenhausbehandlung befinde. Am 29. April 19. . verfügte der Senatsvorsitzende, daß der Termin bestehen bleibe; die stationäre Behandlung des Klägers sei kein Vertagungsgrund, weil er nicht geladen sei; dies wurde den Beteiligten mitgeteilt.
Mit Schreiben vom 9. Mai 19. . teilte die Zeugin R. dem FG mit, daß sie zu dem angesetzten Termin nicht erscheinen könne, da sie ab dem heutigen Tag für einige Wochen ins Krankenhaus müsse; sie bat, dies als Entschuldigung für ihr Nichterscheinen anzusehen. Als Antwort teilte der als Berichterstatter in der Streitsache eingesetzte Richter am FG F. der Zeugin mit Schreiben vom 10. Mai 19. . mit, daß sie in dem Schreiben vom 9. Mai 19. . keinerlei Nachweis angetreten habe, daß sie wirklich verhindert sei, und forderte sie unter Hinweis auf die mögliche Auferlegung von Ordnungsgeld und Kosten auf, zum Termin zu erscheinen.
Am 16. Mai 19. . fertigte der Berichterstatter folgenden Vermerk an: ,,Anruf einer Frau, die sich als ,Tochter von Frau R.` vorstellte.
Sie behauptete, ihre Mutter sei im Krankenhaus und könne am Mittwoch nicht erscheinen. Auch der Vater sei im Krankenhaus. Ich habe abstrakt den Inhalt meines Schreibens an die Zeugin R. vom 10. 5. 19. . wiedergegeben und betont, daß der Nachweis der Verhinderung erbracht werden müsse. Dies wollte die Anruferin telefonisch ihrer Mutter ausrichten. Ich habe es abgelehnt, mit ,dem behandelnden Arzt` zu telefonieren."
In der mündlichen Verhandlung am 18. Mai 19. . lehnte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers den Berichterstatter wegen Besorgnis der Befangenheit mit folgender - schriftlicher - Begründung ab: ,,In einem Telefonat des Richters mit der Tochter des Klägers, die die Zeugin wegen Krankenhausaufenthalts für heute entschuldigen wollte, äußerte dieser ihr gegenüber sinngemäß: Das sei die Unwahrheit, es werde Prozeßverhinderung betrieben. Darin kommt eine Voreingenommenheit des Richters gegen den Kläger zum Ausdruck. Glaubhaftmachung: Dienstliche Äußerung des Herrn F. Diese ist mir vor Beratung über das Gesuch schriftlich vorzulegen, was hiermit beantragt wird." Die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters, die dieser am 18. Mai 19. . erstellte, hat folgenden Wortlaut:
,,1. Ich verweise zunächst auf meinen Aktenvermerk vom 16. 5. 19. ..
2. Die Behauptung im Ablehnungsgesuch, ich hätte sinngemäß geäußert: ,Das sei die Unwahrheit` trifft nicht zu. Das Wort ,Unwahrheit` ist weder wörtlich noch sinngemäß gefallen. Ich habe sinngemäß gesagt, daß der Nachweis der Verhinderung der Zeugin R., der beim Telefongespräch vom 16. 5. 19. . noch nicht vorlag, durch eine Bescheinigung des Krankenhauses erbracht werden müsse. Dann sei auszuschließen, daß das Schreiben der Zeugin R. vom 9. 5. 19. ., dem ein solcher Nachweis nicht beigefügt gewesen sei, nicht der Prozeßverschleppung diene.
3. Ich fühle mich nicht befangen."
Durch Beschluß vom 18. Mai 19. ., an dem der abgelehnte Richter nicht mitgewirkt hat, lehnte das FG den Befangenheitsantrag des Klägers als unbegründet ab. Es liege kein Grund vor, der geeignet sei, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit des Richters zu rechtfertigen. Der Kläger habe nicht glaubhaft gemacht, daß der abgelehnte Richter sinngemäß geäußert habe, seine Tochter sage die Unwahrheit, es werde Prozeßbehinderung betrieben. Die dienstliche Äußerung des abgelehnten Richters, auf die sich der Kläger zur Glaubhaftmachung bezieht, bestätige seine, des Klägers, Behauptung nicht.
Der hiergegen erhobenen Beschwerde hat der Kläger eine von der Tochter des Klägers gefertigte handschriftliche ,,Wiedergabe des Telefonates mit dem Berichterstatter" vom 10. Juni 19. . beigefügt, deren Richtigkeit die Tochter an Eides Statt versichert. Danach habe ihr der abgelehnte Richter gesagt, er könne die Entschuldigung der Zeugin R., sie sei im Krankenhaus, nicht annehmen, weil die Zeugin dafür keinen Beweis habe; er würde ihre Behauptung nicht glauben, jeder könne so etwas schreiben. Der Tonfall des Berichterstatters sei sehr aggressiv und abfällig gewesen. Wörtlich heißt es dann: ,,Ich bat ihn (den abgelehnten Richter) im Interesse aller um eine Prozeßvertagung, da auch mein Vater zur gleichen Zeit im Krankenhaus lag. Daraufhin antwortete er mir, der Prozeß würde nicht mehr vertagt, weil man sowieso schon immer versuchen würde, den Prozeß hinauszuzögern, und sprach von mutwilliger Prozeßverzögerung. Er warf mir auch vor, daß er mir nicht glauben würde, daß auch mein Vater im Krankenhaus wäre. (Auch diese Antwort war in einem äußerst abfälligen Tonfall gehalten.) Ich erwiderte ihm mehrmals, daß ich die Wahrheit sage, aber er bezichtigte mich wiederum der Lüge."
Weiter stützt der Kläger das Ablehnungsgesuch darauf, daß der Berichterstatter das Telefongespräch mit der Tochter des Klägers nicht zutreffend wiedergegeben habe.
In der weiteren dienstlichen Äußerung weist der abgelehnte Richter insbesondere die Vorwürfe zurück, er habe die Tochter des Klägers der Unwahrheit oder Lüge bezichtigt; sein Tonfall anläßlich des Telefongesprächs am 16. Mai 19. . sei weder aggressiv noch abfällig gewesen. Im übrigen wird auf die dienstliche Äußerung vom 27. Juni 19. . verwiesen.
Mit Schriftsatz vom 10. September 19. . hat der Kläger eine von seiner Tochter geschriebene ,,Richtigstellung der dienstlichen Äußerung des Berichterstatters" vorgelegt, deren Richtigkeit von der Tochter wiederum an Eides Statt versichert worden ist; auch hierauf wird verwiesen.
Der Kläger beantragt sinngemäß unter Aufhebung des Beschlusses des FG vom 18. Mai 19. . den Richter am FG F. wegen Besorgnis der Befangenheit von der Ausübung des Richteramts in der Streitsache des Klägers wegen . . . auszuschließen.
Das FA beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet.
Eine Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit findet statt, wenn ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit eines Richters zu rechtfertigen (§ 51 der Finanzgerichtsordnung - FGO - i. V. m. § 42 Abs. 1 und 2 der Zivilprozeßordnung - ZPO -). Gründe für ein derartiges Mißtrauen sind gegeben, wenn ein Beteiligter von seinem Standpunkt aus bei vernünftiger, objektiver Betrachtung davon ausgehen kann, daß der Richter nicht unvoreingenommen entscheiden werde (BFH-Beschluß vom 4. Juli 1985 V B 3/85, BFHE 144, 144, BStBl II 1985, 555 m. w. N.).
Gründe dieser Art liegen im Streitfall nicht vor; dabei unterstellt der Senat, ohne von der Möglichkeit eigener Beweiserhebung Gebrauch zu machen, daß die auf die Angaben seiner Tochter gestützten Behauptungen des Klägers über den Inhalt der Äußerungen des abgelehnten Richters zutreffen.
a) Das Ablehnungsgesuch kann nicht mit Erfolg auf die vom Kläger behaupteten Äußerungen des Richters in bezug auf die Zeugin R. gestützt werden. Hieraus ergibt sich nicht, daß der Richter gegenüber dem Kläger befangen sei. Gründe, die in der Person eines anderen als des Beteiligten (Partei i. S. des § 42 Abs. 3 ZPO, vgl. § 57 FGO) Anlaß geben könnten, an der Unvoreingenommenheit des Richters zu zweifeln, geben dem Beteiligten kein Ablehnungsrecht. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn der Anlaß zu der Besorgnis gegeben ist, daß sich das gespannte Verhältnis zu den Dritten auf die innere Einstellung des Richters zu einem Beteiligten oder zum Gegenstand des Verfahrens auswirken könnte (vgl. BFH-Beschluß vom 21. September 1977 I B 32/77, BFHE 123, 305, BStBl II 1978, 12). Für eine derartige Annahme ist im Streitfall kein Anhaltspunkt gegeben, zumal zwischen dem Kläger und der Zeugin R., wie sich aus der vom Kläger eingelegten Revision ergibt, widersprechende Interessen am Ausgang des Verfahrens bestehen.
b) Ebensowenig begründen die vom Kläger behaupteten Äußerungen des abgelehnten Richters in bezug auf die Person der Tochter des Klägers die Besorgnis der Befangenheit gegenüber dem Kläger. Auch wenn man unterstellt, der abgelehnte Richter habe die Tochter des Klägers wegen ihrer Behauptung über die Verhinderung des Klägers, an der mündlichen Verhandlung vor dem FG teilzunehmen, der Lüge bezichtigt, ergibt sich hieraus nicht, daß der Richter bei seiner Entscheidung über die Klage des Klägers von unsachlichen Gesichtspunkten ausgehen würde. Daß sich aus der behaupteten Äußerung ergäbe, der abgelehnte Richter betrachte den Kläger selbst als Lügner, hat der Kläger selbst nicht vorgetragen.
c) Dem vom Kläger behaupteten Inhalt des Telefongespräches seiner Tochter mit dem abgelehnten Richter lassen sich auch keine Äußerungen entnehmen, die eine abwertende Einstellung zum Kläger ergäben oder aus anderen Gründen eine unsachliche Beurteilung der Streitsache durch den abgelehnten Richter befürchten ließen. Insbesondere stellt die angebliche Äußerung des abgelehnten Richters, es werde ,,sowieso schon immer versucht . . . den Prozeß hinauszuzögern", er habe von ,,mutwilliger Prozeßverzögerung" gesprochen, keine auf Voreingenommenheit gegenüber dem Kläger deutende Äußerung dar, die Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit rechtfertigen würde. Weder hieraus noch aus sonstigen von der Tochter des Klägers behaupteten Äußerungen ist zu entnehmen, daß der abgelehnte Richter die Prozeßführung des Klägers aus unsachlichen Gründen beschränken werde. Insbesondere ergibt sich aus dem Vortrag des Klägers nicht, daß der abgelehnte Richter die - dem Vorsitzenden des Senats obliegende (vgl. § 227 Abs. 2 ZPO) - Entscheidung über einen begründeten Antrag auf Terminsverlegung in unsachlicher Weise beeinflussen werde, zumal bereits der Vorsitzende des Senats den Antrag des Klägers vom 26. April 19. ., den Termin zur mündlichen Verhandlung wegen der stationären Behandlung des Klägers aufzuheben, mit Verfügung vom 29. April 19. . abgelehnt und am 13. Mai 19. . den Prozeßbevollmächtigten des Klägers telefonisch davon unterrichtet hatte, daß der Termin nicht aufgehoben werde. Hierauf hat auch der abgelehnte Richter in seiner dienstlichen Äußerung vom 27. Juni 19. . hingewiesen. Im übrigen bestand für den abgelehnten Richter keine Veranlassung, in einem Telefongespräch mit einer ihm unbekannten Person die dem Kläger und dem Prozeßbevollmächtigten bereits bekanntgegebene Haltung des Gerichtes näher zu begründen oder gar dem telefonischen ,,Antrag" einer nicht bevollmächtigten Person (vgl. § 62 Abs. 3 Satz 1 FGO) zu entsprechen.
d) Auch soweit das Ablehnungsgesuch darauf gestützt wird, daß der abgelehnte Richter das Telefongespräch mit der Tochter des Klägers in seiner dienstlichen Äußerung unrichtig wiedergegeben habe, hat es keinen Erfolg. Hierzu beruft sich der Kläger im Schriftsatz vom 9. September 19. . auf Seite 2, 2. Absatz, der dienstlichen Äußerung, die wie folgt lautet: ,,Außerdem ist richtig, daß ich sehr verwundert war, als mir (die Tochter des Klägers) eröffnete, auch der Vater (der Kläger) müsse ins Krankenhaus. Denn hiervon hatte ich bis zum 16. 5. 19. . überhaupt noch keine Kenntnis." Dazu sei anzumerken, so führt der Kläger aus, daß dem Gericht bereits mit Brief vom 26. April 19. . mitgeteilt worden sei, daß der Antrag, den Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, auch darauf gestützt werde, daß der Kläger sich ab 13. Mai 19. . für mehr als eine Woche in ärztlicher Behandlung befinde. Die Aufnahmemitteilung des Krankenhauses sei in Kopie beigefügt gewesen. Das Gericht werde sich jetzt mit der Frage zu befassen haben, ob dieser Brief in die Akten gelangt ist. Dabei müsse er durch die Hände des Berichterstatters gegangen sein.
Aus diesen Ausführungen des Klägers ergibt sich weder, daß der abgelehnte Richter das Telefongespräch mit der Tochter des Klägers unrichtig wiedergegeben habe, noch ist sonst ein Ablehnungsgrund substantiiert dargelegt; bloße Andeutungen einer möglichen Unkorrektheit genügen hierfür nicht.
Fundstellen