Entscheidungsstichwort (Thema)
Richterablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Der Umstand, daß ein Richter eine vom Kläger zur Begründung seines Klagevorbringens erwähnte Entscheidung in der mündlichen Verhandlung nicht aufgegriffen und erörtert hat, kann grundsätzlich den Vorwurf der Parteilichkeit nicht begründen.
Normenkette
FGO § 51; ZPO § 42 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Beschwerdeführer) hat gegen den Einkommensteuerbescheid 1980 vom 15. März 1983 nach erfolglosem Einspruchsverfahren (Einspruchsentscheidung vom 11. Dezember 1984) Klage zum Finanzgericht (FG) erhoben.
Mit Schriftsatz vom 7. Juli 1985 lehnte der Beschwerdeführer den Vorsitzenden Richter X wegen Besorgnis der Befangenheit ab und trug dazu vor:
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2. Bereits im Verfahren betreffend Einkommensteuer 1976 habe sich der Vorsitzende Richter X von subjektiven Antrieben leiten lassen und habe parteiisch befunden.
a) Der Vorsitzende Richter X habe in der mündlichen Verhandlung zum Streitpunkt außergewöhnliche Belastung auf das Urteil des FG Hamburg vom 27. Januar 1983 V 162/81 (Entscheidungen der Finanzgerichte - EFG - 1983, 450) hingewiesen, obwohl er habe erkennen müssen, daß diesem Urteil ein völlig anderer Sachverhalt zugrunde gelegen habe. Auch habe er es verabsäumt darauf hinzuweisen, daß das Urteil noch nicht einmal rechtskräftig war. Er habe dem Beschwerdeführer keine ausreichende Gelegenheit zur Überprüfung und zur Aufdeckung des unterschiedlichen Sachverhalts gegeben.
b) In einem weiteren Streitpunkt (Anerkennung von Unfallversicherungsprämien als Werbungskosten) habe es der Vorsitzende Richter X in derselben mündlichen Verhandlung verabsäumt, auf das von ihm, dem Beschwerdeführer, schriftsätzlich zitierte Urteil des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 5. August 1965 IV 42/65 S (BFHE 83, 417, BStBl III 1965, 650) einzugehen. Dementsprechend sei dieses Urteil auch in den Gründen des FG-Urteils ignoriert worden.
c) In einem weiteren Streitpunkt (Anerkennung von Fahrtkosten des Beschwerdeführers zwischen Wohnung und Rathausbibliothek zwecks Einsichtnahme in steuerrechtliche Literatur zur Vorbereitung auf die Klageverfahren) habe der Vorsitzende Richter X seine Fürsorgepflicht verletzt, denn er habe ihn - den Beschwerdeführer - nicht auf einen möglichen Rechtsirrtum hingewiesen. Der Vorsitzende Richter hätte den Beschwerdeführer dahingehend belehren müssen, daß er den Abzug dieser Ausgaben nicht als Sonderausgaben, sondern als Werbungskosten hätte beantragen müssen. Der Vorsitzende Richter hätte bei objektiver und unparteiischer Einstellung gegenüber ihm - den Beschwerdeführer - dessen Irrtum erkennen und seinen Antrag zwecks Schadensabwendung korrigieren müssen.
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Das FG hat durch Beschluß vom 11. November 1985 den Befangenheitsantrag des Beschwerdeführers als unbegründet zurückgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde. Sie ist unbegründet.
Entscheidungsgründe
Das FG hat zutreffend verneint, daß die Voraussetzungen für die Ablehnung des Vorsitzenden Richters X wegen Besorgnis der Befangenheit vorliegen.
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2. Es ist nicht ersichtlich, daß sich der Vorsitzende Richter X im Verfahren wegen Einkommensteuer 1976 in einer Weise verhalten hat, die die Besorgnis seiner Befangenheit begründet.
a) Zu der Streitfrage, ob fremdfinanzierte Aufwendungen eine außergewöhnliche Belastung im Jahr der Aufwendung oder erst im Jahre der Tilgung der aufgenommenen Schulden darstellen, hat der Vorsitzende Richter X auf das Urteil des FG Hamburg in EFG 1983, 450 hingewiesen, welches einen von der Rechtsprechung des BFH abweichenden Standpunkt eingenommen hat. Die Parteilichkeit dieses Verhaltens wird vom Beschwerdeführer darin gesehen, daß auf ein Urteil mit einem anderen Sachverhalt hingewiesen worden sei, die fehlende Rechtskraft der Entscheidung nicht erwähnt worden sei und dem Beschwerdeführer keine ausreichende Möglichkeit zur Überprüfung dieses rechtlichen Gesichtspunktes gegeben worden sei.
Hinweise des Vorsitzenden im Rahmen der Prozeßförderungspflicht und der rechtlichen Erörterung der Streitsache (§ 76 Abs. 2, § 93 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -) können sich auch auf rechtliche Gesichtspunkte beziehen, die sich aus Gerichtsentscheidungen ergeben. Es entspricht gerichtlicher Gepflogenheit, den Beteiligten bei solchen für sie neuen rechtlichen Gesichtspunkten auf Antrag eine Einlassungsfrist einzuräumen. Diese Möglichkeit hätte auch dem Beschwerdeführer offengestanden. Jedoch hat er selbst nicht vorgetragen, daß er eine solche Bitte gegenüber dem Gericht geäußert und der Vorsitzende Richter X diese Bitte aus unsachlichen Gründen abgeschlagen hätte. Bei dieser Sachlage ist aber nicht erkennbar, daß das FG mit dem Beschwerdeführer in einer Weise verfahren ist, die bei ihm die Besorgnis der Befangenheit begründen könnte. Eine solche Besorgnis läßt sich insbesondere nicht auf die mit der Beschwerde vorgetragene Rechtsmeinung stützen, das Gericht dürfe nur auf rechtskräftige Entscheidungen hinweisen.
b) Daß der Vorsitzende Richter X eine vom Beschwerdeführer schriftsätzlich zur Begründung seines Klagevorbringens erwähnte Entscheidung (hier: Urteil in BFHE 83, 417, BStBl III 1965, 650) in der mündlichen Verhandlung nicht aufgegriffen und erneut erörtert hat, kann grundsätzlich nicht den Vorwurf der Parteilichkeit begründen. Die sich aus § 93 Abs. 1 FGO ergebende Pflicht zur Erörterung der Streitsache in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht verpflichtet jedenfalls nicht dazu, wegen zwischenzeitlicher Veränderungen in der rechtlichen Beurteilung (vgl. insbesondere BFH-Beschluß vom 19. Oktober 1970 GrS 2/70, BFHE 100, 309, BStBl II 1971, 17) überholte Entscheidungen zu erörtern und seine beabsichtigte Entscheidung bzw. die sie tragende Rechtsauffassung zur Erörterung zu stellen.
c) Ebenfalls wird der Vorwurf der Parteilichkeit des Vorsitzenden Richters X nicht dadurch belegt, daß er das als Antrag auf Anerkennung von Sonderausgaben gekennzeichnete Begehren auf steuerliche Abzugsfähigkeit der dem Beschwerdeführer entstandenen Fahrtkosten zwischen Wohnung und der Rathausbibliothek unkorrigiert gelassen hat. Maßgeblich ist allein, daß der Beschwerdeführer sein Begehren in tatsächlicher Hinsicht hinreichend vortragen konnte. Welche rechtliche Bewertung er diesem Vorbringen gab, war für den Erfolg seines Begehrens ohnehin ohne jegliche Bedeutung, denn das Gericht war von sich aus verpflichtet, das Vorbringen des Klägers unter jedem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt zu prüfen. Da der Beschwerdeführer dies verkannt hat, hat er aus dem Verhalten des Vorsitzenden Richters X falsche Schlüsse gezogen.
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Fundstellen
Haufe-Index 414698 |
BFH/NV 1988, 89 |