Entscheidungsstichwort (Thema)
Anbringen der Klage beim Finanzgericht
Leitsatz (NV)
Ein an das FG adressierter, in einem Fensterkuvert verschlossener Schriftsatz (Klageschrift bzw. PKH-Antrag), der in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen wird, ist nicht beim FG ,,angebracht", wenn das FA den Briefumschlag ungeöffnet an das FG weiterleitet.
Normenkette
FGO § 47 Abs. 2 S. 1, § 142 Abs. 1; ZPO § 114
Tatbestand
Die Einspruchsentscheidung des Antragsgegners und Beschwerdegegners (Finanzamt - FA -), gegen die die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin) Klage erheben will, wurde ihren Prozeßbevollmächtigten gegen Empfangsbekenntnis am 24. August 1991 zugestellt. Der von den Prozeßbevollmächtigten gefertigte und als ,,Prozeßkostenhilfegesuch und Klageentwurf" bezeichnete Schriftsatz der Antragstellerin vom 24. September 1991 ging am 29. September 1991 beim Finanzgericht (FG) ein. Der Schriftsatz befand sich in einem verschlossenen und nicht frankierten Fensterkuvert und war an das FG adressiert. Die Antragstellerin trägt vor, der Umschlag mit diesem Schriftsatz sei am 24. September 1991 von Rechtsanwalt S persönlich in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen worden. Damit sei das Gesuch um Prozeßkostenhilfe (PKH) nebst Klageentwurf i.S. von § 47 Abs. 2 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) innerhalb der Klagefrist beim FA angebracht worden.
Das FG lehnte den Antrag auf Gewährung von PKH für das Klageverfahren ab. Es führte aus, weder die Klage noch der Antrag auf PKH seien innerhalb der Klagefrist erhoben worden. Die Klage bzw. das PKH-Gesuch seien nicht i.S. von § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA, in dessen Briefkasten nach der Behauptung der Antragstellerin der Schriftsatz vom 24. September 1991 eingeworfen sein solle, angebracht worden. Maßgeblich sei deshalb der verspätete Eingang des Schriftsatzes beim FG, so daß die Klage unzulässig sei und auch eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Klagefrist nicht in Betracht komme. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH), der der Senat folge, sei eine Klage dann i.S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO ,,angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelange, daß diese davon Kenntnis nehmen könne (Urteil vom 8. April 1987 X R 67/81, BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575). Dies sei nur dann der Fall, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag erkennbar für das FA bestimmt sei, denn durch die Verwendung der Präposition ,,bei" im Gesetzestext erhalte der Begriff ,,anbringen" neben seinem räumlichen Moment eine zusätzliche, auf den Empfänger hin ausgerichtete finale Bedeutung, die nicht mit einem bloßen Abgeben oder Einwerfen umschrieben werden könne. Ein Schreiben werde nur dann beim Empfänger angebracht, wenn darauf abgezielt werde, daß dieser Kenntnis vom Inhalt erhalte (BFH-Urteil vom 24. Februar 1989 III R 77/85, BFH/NV 1989, 649). Hieran fehle es im Streitfall. Denn das FA, in dessen Briefkasten nach dem Vortrag der Antragstellerin das PKH-Gesuch nebst Klageentwurf eingeworfen worden sein solle, sei nicht als Empfänger angesprochen. Das FA habe auch tatsächlich keine Kenntnis vom Inhalt des Briefumschlages genommen.
Mit der Beschwerde hält die Antragstellerin ihren PKH-Antrag für das Klageverfahren aufrecht. Sie macht geltend, sie habe auf der Basis der üblichen Handhabung des Posteingangs durch das FA darauf vertrauen dürfen, daß beim Einwurf ihres PKH-Gesuchs nebst Klageentwurf in den Briefkasten des FA auf dem Schriftstück der Eingangsstempel des FA angebracht werde, auch wenn dieses an das FG adressiert sei. Die der internen Verwaltungspraxis des FA nicht entsprechende Behandlung des Schreibens vom 24. September 1991 - Weiterleitung an das FG ohne Eingangsstempel - dürfe ihr nicht zum Nachteil gereichen.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Das FG hat der Antragstellerin zu Recht die Bewilligung von PKH für die von ihr beabsichtigte Klage versagt. Die beabsichtigte Rechtsverfolung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg (§ 142 Abs. 1 FGO i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung - ZPO -), weil die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig ist. Es kann dahinstehen, ob der Schriftsatz vom 24. September 1991 bereits eine wirksame Klage enthält oder ob eine solche mit dem ,,Klageentwurf" lediglich angekündigt worden ist. Da der Schriftsatz erst am 29. September 1991 und damit nach Ablauf der Klagefrist von einem Monat nach Bekanntgabe der Einspruchsentscheidung (§ 47 Abs. 1 Satz 1 FGO; hier: Fristablauf am 24. September 1991) beim FG eingegangen ist (§ 64 Abs. 1 Satz 1 FGO), wäre die Klage verspätet erhoben. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand für eine von der Antragstellerin als mittellose Beteiligte lediglich angekündigte Klage kommt nicht in Betracht, da auch der mit Schriftsatz vom 24. September 1991 gestellte Antrag auf PKH für das Klageverfahren nicht innerhalb der Klagefrist beim FG eingereicht worden ist (vgl. BFH-Beschluß vom 3. April 1987 VI B 150/85, BFHE 149, 409, BStBl II 1987, 573). Wie das FG zutreffend ausgeführt hat, sind eine Klage sowie das PKH-Gesuch auch nicht innerhalb der Rechtsmittelfrist i.S. von § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA angebracht worden.
Nach § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO gilt die Frist für die Erhebung einer Klage dann als gewahrt, wenn diese bei der Behörde, die die angefochtene Entscheidung erlassen hat, innerhalb der Frist angebracht oder zur Niederschrift gegeben wird. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist eine Klage dann i.S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO ,,angebracht", wenn sie derart in den Verfügungsbereich der Behörde gelangt, daß diese davon Kenntnis nehmen kann (BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575 m.w.N.). Dies ist nur dann der Fall, wenn der die Klageschrift enthaltende Briefumschlag erkennbar für das FA bestimmt ist. Die Klage ist jedoch nicht schon dann beim FA angebracht, wenn die Klageschrift lediglich in den räumlichen Machtbereich des FA gelangt ist, dieses aber weder unmittelbar noch mittelbar als Empfänger angesprochen wurde (BFH in BFH/NV 1989, 649, 650). Eine Ausnahme soll nur dann gelten, wenn das FA, möglicherweise unter Nichtbeachtung bestehender Verwaltungsanweisungen, den Brief öffnet und tatsächlich von der Klage Kenntnis nimmt (BFH-Urteil vom 26. August 1977 VI R 98/75, BFHE 123, 122, BStBl II 1977, 841). Der Senat hält an dieser Rechtsprechung fest. Wegen der dagegen teilweise in der Literatur erhobenen Einwendungen verweist er auf die Ausführungen des III.Senats des BFH im Urteil in BFH/NV 1989, 649 (vgl. auch Urteil des I.Senats vom 5. Februar 1992 I R 67/91, BFHE 167, 9, BStBl II 1992, 561).
Unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung sind die Klage (Entwurf) und der PKH-Antrag der Antragstellerin nicht beim FA angebracht worden. In dem an das FG adressierten Schriftsatz vom 24. September 1991 war das FA nicht als Empfänger angesprochen, und nach den Feststellungen des FG hat dieses auch keine tatsächliche Kenntnis von dem Inhalt des verschlossenen Briefumschlags genommen. Die Behauptung, daß der in einem Fensterkuvert verschlossene Schriftsatz in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen worden ist, deutet angesichts seiner Adressierung an das FG - entgegen der Auffassung der Antragstellerin - nicht darauf hin, daß er zur Kenntnisnahme durch das FA bestimmt war (vgl. BFH in BFH/NV 1989, 649, 650). Denn der Einwurf in den Briefkasten des FA reicht nach der Rechtsprechung des BFH nicht aus, um dieses ausreichend als Adressaten des Schriftstücks zu kennzeichnen (BFHE 167, 9, BStBl II 1992, 561).
Selbst wenn der Fensterumschlag vom FA - wie es nach dessen Vorbringen seiner Verwaltungspraxis entspräche - mit einem Dienststempel versehen, aber ungeöffnet an das FG weitergeleitet worden wäre, wäre der Schriftsatz, wie sich aus dem Urteil in BFHE 149, 415, BStBl II 1987, 575 ergibt, nicht i.S. des § 47 Abs. 2 Satz 1 FGO beim FA angebracht. Die Antragstellerin beruft sich demnach ohne Erfolg darauf, daß das FA im Streitfall von seiner sonst üblichen Verwaltungspraxis abgewichen sei. Auch wenn sie bzw. ihre Prozeßbevollmächtigten darauf hätten vertrauen dürfen, daß der dem FA zugegangene Briefumschlag von diesem mit dem Eingangsstempel versehen würde, folgt daraus nicht die Klageerhebung bzw. die Einreichung des PKH-Gesuchs innerhalb der Klagefrist. Es kommt somit nicht darauf an, ob die Handhabung des für das FG bestimmten Posteingangs durch das FA im Streitfall den üblichen Gepflogenheiten im Bezirk der zuständigen Oberfinanzdirektion (OFD) oder den Sachverhaltsgestaltungen entspricht, die den bisherigen Entscheidungen des BFH zugrunde lagen. Es bedarf deshalb keiner tatsächlichen Feststellungen darüber, ob der Schriftsatz der Antragstellerin vom 24. September 1991 - was vom FA bestritten wird - tatsächlich an diesem Tage in den Hausbriefkasten des FA eingeworfen worden ist.
Wie oben ausgeführt, war nach der Rechtsprechung des BFH der Einwurf des in einem Fensterkuvert verschlossenen Schriftsatzes mit dem Klageentwurf und dem PKH-Gesuch in den Hausbriefkasten des FA am letzten Tag der Frist nicht geeignet, die Klagefrist zu wahren. Die Prozeßbevollmächtigten der Antragstellerin als Rechtsanwälte hätten sich mit dieser Rechtsprechung vertraut machen müssen. Sie konnten nicht davon ausgehen, daß das FA den an das FG adressierten verschlossenen Umschlag öffnen und dessen Inhalt innerhalb der Rechtsmittelfrist zur Kenntnis nehmen würde (vgl. BFH in BFH/NV 1989, 649, 651). Sie haben deshalb die auch für die Einreichung des PKH-Antrags geltende Klagefrist schuldhaft versäumt, so daß der Antragstellerin nicht unter Gewährung von PKH und Beiordnung von Bevollmächtigten Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 FGO) zum Zwecke der ordnungsmäßigen Klageerhebung eingeräumt werden kann. Dieses Verschulden der Prozeßbevollmächtigten ist der Antragstellerin zuzurechnen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO). Die Bewilligung von PKH für das Klageverfahren ist deshalb vom FG zu Recht abgelehnt worden.
Fundstellen
Haufe-Index 418772 |
BFH/NV 1993, 607 |