Leitsatz (amtlich)
Ist in der Hauptsache streitig, ob eine umanfechtbar festgesetzte Steuer wegen unbilliger Härte zu erlassen ist, und wird beantragt, durch einstweilige Anordnung dem Finanzamt zu untersagen, die Steuer einzuziehen, sind grundsätzlich Anspruch und Anordnungsgrund in dem Gesuch glaubhaft zu machen. "Anspruch" in diesem Sinne ist der zur Hauptsache verfochtene Anspruch auf Steuererlaß; Anordnungsgrund sind die wesentlichen Nachteile oder die anderen Gründe, welche die einstweilige Anordnung nötig erscheinen lassen.
Normenkette
FGO § 114 Abs. 1, 3; ZPO § 920 Abs. 2, § 921 Abs. 2; AO § 131
Tatbestand
Die Vorgänge ergeben sich aus dem Beschluß des BFH II B 28/70 vom 24. September 1970 (BFH 100, 83, BStBl II 1970, 813). Der Beschwerdeführer hat nach diesem Beschluß beantragt, durch einstweilige Anordnung die Vollziehung des Steuerbescheids auszusetzen. Das FG hat dieses Gesuch abgelehnt.
Entscheidungsgründe
Ausden Gründen:
Die Beschwerde des Antragstellers ist unbegründet.
1. Der Beschwerdeführer verkennt die prozessuale Rechtslage.
a) Sein Antrag, die Einziehung des Steuerrestbetrages von 135 000 DM "auszusetzen", entspricht im wesentlichen dem, den er zuvor unter Bezugnahme auf § 69 FGO gestellt hatte. Um eine Aussetzung der Vollziehung des unanfechtbar gewordenen Erbschaftsteuerbescheides kann es aber in diesem Verfahren nicht mehr gehen, denn "aussetzen" kann das Gericht nur die Vollziehung (Wirksamkeit) eines Verwaltungsaktes, der bei ihm als solcher angefochten ist (§ 69 Abs. 3 Satz 1 FGO - sei es auch vermittels eines Wiederaufnahmeverfahrens -, §§ 134, 150 Satz 3 FGO) - oder künftig noch angefochten werden kann (§ 69 Abs. 3 Satz 2 FGO) -. Für das Verfahren über einen Billigkeitserlaß gemäß § 131 AO dagegen ist der ergangene und unanfechtbar gewordene Verwaltungsakt (hier der Steuerbescheid) als solcher hinzunehmen; seine Vollziehung kann nicht ausgesetzt werden. Angefochten ist hier vielmehr nur der Verwaltungsakt, der diesen Billigkeitserlaß ablehnte. Dessen Wirksamkeit auszusetzen, wäre zwecklos. Denn dadurch würde nur die ablehnende Entscheidung, nicht aber die Vollziehung aus dem Steuerbescheid gehemmt. Deshalb ist in einem solchen Falle ein Antrag aus § 69 FGO unzureichend. Darauf war der Beschwerdeführer in dem Beschluß II B 28/70 vom 24. September 1970 (a. a. O.) hingewiesen worden; es war ihm aber nicht - wie er dem FG gegenüber behauptet hat - "empfohlen" worden, einen Antrag gemäß § 114 FGO zu stellen.
b) Der Antrag des Klägers war - unbeschadet der weitergehenden Befugnis, welche § 114 Abs. 3 FGO, § 938 Abs. 1 ZPO dem Gericht gewähren - innerhalb des Antragsbegehrens umzudeuten (§ 96 Abs. 1 Satz 2 FGO). Sein Begehren in der Hauptsache zielt auf eine Leistung, nämlich einen Erlaß aus Billigkeitsgründen. Da der Beschwerdeführer weder den Bestand noch die formale Vollziehbarkeit des endgültigen Steuerbescheides vom 22. November 1963 angreifen kann, muß sein Antrag dahin verstanden werden, daß er verlangt, dem FA zu untersagen, die - im Zeitpunkt der ursprünglichen Antragstellung - noch rückständige Steuerforderung von 135 000 DM einzuziehen.
Daraus folgt, daß die von dem Beschwerdeführer erstrebte einstweilige Anordnung nur in den Grenzen ergehen kann, in denen nach Maßgabe des § 131 AO ein Billigkeitserlaß möglich ist. Das Verfahren des § 114 FGO ist nur insofern freier, als anstelle des Nachweises die Glaubhaftmachung tritt, und als der Inhalt der einstweiligen Anordnung gemäß § 114 Abs. 3 FGO, § 938 Abs. 1 ZPO dem freien Ermessen des Gerichts anheimgegeben ist.
c) Demgegenüber beruft sich der Beschwerdeführer auf den Beschluß des BFH I B 47/69 vom 20. November 1969 (BFH 97, 285, BStBl II 1970, 83), wonach für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung gemäß § 114 FGO in Verbindung mit § 940 ZPO nur Voraussetzung sei, daß ein schlüssig vorgetragener Rechtsanspruch des Antragstellers durch eine möglicherweise bevorstehende Maßnahme des Antragsgegners gefährdet erscheine, dagegen nicht zu prüfen sei, ob der vom Antragsteller behauptete Rechtsanspruch tatsächlich bestehe. Dabei übersieht der Beschwerdeführer, daß in dem dort entschiedenen Falle ein Abwehranspruch verfolgt wurde: Der Beschwerdeführer besorgte einen Eingriff in seine Rechte dadurch, daß das FA einer dritten Person Einsicht in seine Steuerakten gewähre. Dieser Eingriff wäre irreparabel gewesen; der erfolgte Einblick in die Steuerakten hätte nicht rückgängig gemacht werden können. Es mag daher zweifelhaft sein, ob der vom I. Senat entschiedene Fall ein solcher des mit § 940 ZPO weitgehend übereinstimmenden § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO war und nicht vielmehr ein solcher des § 114 Abs. 1 Satz 1 FGO verglichen mit § 935 ZPO. Jedenfalls kann das, was der I. Senat bezüglich einer eine Abwehrklage begleitenden einstweiligen Anordnung ausgesprochen hat, nicht unbesehen auf die anders gelagerten Verhältnisse einer einstweiligen Anordnung übertragen werden, welche Nebenverfahren zu einer Verpflichtungsklage ist.
2. Der vorliegende Antrag liegt im Bereiche des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Nach dieser - zumindest äußerlich - mit § 940 ZPO im wesentlichen übereinstimmenden Vorschrift sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen, nötig erscheint. Die weiteren Voraussetzungen für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung sind in der FGO - ebenso wie in der ZPO (§ 936) - durch Bezugnahme auf die Vorschriften der ZPO über das Arrestverfahren umschrieben (§ 114 Abs. 3 FGO).
Demnach obliegt es dem Antragsteller, den Anspruch und den Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung glaubhaft zu machen (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO; vgl. § 294 ZPO). "Anspruch" im Sinne dieser Vorschrift ist der Anspruch aus dem Rechtsverhältnis, das der Antragsteller zur Hauptsache verficht oder verfechten will. Entgegen seiner Ansicht ist also der Beschwerdeführer grundsätzlich nicht davon entbunden, auch die Berechtigung des erhobenen Anspruchs glaubhaft zu machen.
Dabei ist noch zu beachten, daß der Klage des Beschwerdeführers zur Hauptsache, soweit sie Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1, § 44 FGO) ist, schon dann stattgegeben werden muß, wenn der Entscheidung der OFD ein Ermessensfehler anhaftet (§ 102 FGO), sofern man nicht alle Voraussetzungen des § 131 AO als unbestimmte Rechtsbegriffe ansieht, daß dagegen die erhobene Klage als Verpflichtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) nur Erfolg haben kann, wenn und soweit die Finanzverwaltung zu dem begehrten Steuererlaß außerhalb jeden Ermessens verpflichtet ist. Das gilt allerdings nicht gleichermaßen für einstweilige Anordnungen, da andernfalls der durch Art. 19 Abs. 4 GG ebenfalls gewährleistete vorläufige Rechtsschutz im Bereiche gewährenden Ermessens ausgeschlossen wäre.
Gemäß § 114 Abs. 3 FGO, § 921 Abs. 2 Satz 1 ZPO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung auch dann erlassen, wenn der Anspruch oder der besondere Grund für den Erlaß der einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht ist, sofern wegen der dem Gegner drohenden Nachteile Sicherheit geleistet wird. Diese Vorschrift trägt aber nur dem Erfordernis Rechnung, in Fällen besonderer Eilbedürftigkeit oder eines besonders gelagerten Schadens eine einstweilige Anordnung alsbald erlassen zu können, auch wenn der Antragsteller nicht sofort in der Lage ist, die erforderlichen Tatsachen glaubhaft zu machen. Sie ist aber nicht dazu bestimmt, dem Antragsteller Vortrag und Glaubhaftmachung auch in anderen Fällen zu ersparen oder gar eine einstweilige Anordnung zu ermöglichen, selbst wenn nach dem erkennbaren Sachverhalt entweder der erforderliche Anspruch oder der besondere Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht gegeben wäre.
3. Bei dieser Rechtslage muß dahingestellt bleiben, ob die Entscheidung der OFD fehlerfrei ist und ob, falls dies zu verneinen wäre, dem Beschwerdeführer ein Anspruch auf Steuererlaß in dem begehrten oder in geringerem Umfang zustünde. Denn jedenfalls ist der besondere, in § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO beschriebene Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung nicht glaubhaft gemacht. Der Beschwerdeführer begnügt sich insoweit mit der Darlegung, die Hauptsacheentscheidung enthielte, falls er in der Hauptsache ganz oder teilweise durchdringen sollte, die Feststellung der Unbilligkeit, und unbilligen Akten seien nach der Rechtsordnung wesentliche Nachteile immanent. Das ist jedenfalls nicht der Standpunkt des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO. Er gilt für diesen so wenig, wie für § 940 ZPO der Satz gilt, daß etwa eine unerlaubte Handlung stets eine einstweilige Verfügung rechtfertige, weil die Unerlaubtheit der Handlung ohne alsbaldigen Ersatz des dadurch entstandenen Schadens einen wesentlichen Nachteil darstelle. Vielmehr ist der wesentliche Nachteil als Tatbestandsmerkmal des § 114 Abs. 1 Satz 2 FGO ein zusätzlicher; andernfalls fielen Anspruch und besonderer Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung (Arrest) zusammen. Wo das Gesetz eine solche Koinzidenz gewollt hat, ist dies - wie in § 25 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb - ausdrücklich ausgesprochen.
Der Beschwerdeführer beruft sich noch darauf, er habe nach sechsjähriger Prüfung seines Antrags durch die Finanzverwaltung darauf vertrauen dürfen, daß ihm die Steuer erlassen werde. Die langjährige Prüfung zeigt jedoch allenfalls, daß sich die Finanzverwaltung nicht darüber schlüssig werden konnte, wie sie entscheiden sollte. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, welchen Nachteil er etwa dadurch erlitten habe, daß er sich einen Erlaß erhoffte. Das Verhalten der Bundesfinanzverwaltung dagegen, auf das der Beschwerdeführer im ersten Rechtszug wesentlich abgestellt hatte, ist für eine Beurteilung der Erlaßfrage unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben unerheblich: die Erbschaftsteuer wird von Landesfinanzbehörden verwaltet; ihre Erträge fließen in den Landeshaushalt.
Damit verbleibt als ein dem Arrestgrund vergleichbarer Grund für den Erlaß einer einstweiligen Anordnung allenfalls noch die Erwägung, daß die Zahlung der restlichen Steuer von dem Beschwerdeführer bedeutende finanzielle Dispositionen im außerbetrieblichen Bereich erfordere. Das mag angesichts der Höhe der restlichen Steuerforderung auch ohne näheren Beleg glaubhaft erscheinen. Daraus allein folgt aber nicht, daß die einstweilige Anordnung "nötig" erscheint, um "wesentliche Nachteile" vom Beschwerdeführer abzuwenden, oder daß sie aus anderen Gründen nötig ist (§ 114 Abs. 1 Satz 2 FGO). Denn dieser Nachteil muß wiederum ein solcher sein, der über den allgemeinen Nachteil einer Steuerzahlung hinausreicht. Der Beschwerdeführer hat nicht dargelegt, ob und inwieweit ein solcher gegeben ist, nachdem ihm die Finanzverwaltung Ratenzahlungen zugebilligt hat, obschon - wie der Beschwerdeführer richtig bemerkt - die Bewilligung der Ratenzahlungen im übrigen nicht zu seinen Lasten wirken darf.
4. Es kann noch erwogen werden, ob zufolge § 114 Abs. 3 FGO, § 921 Abs. 2 Satz 1 ZPO von einer hinreichenden Darlegung und Glaubhaftmachung des Grundes für eine einstweilige Anordnung (Arrestgrundes) gegen Sicherheitsleistung dann abgesehen werden darf, wenn dieser Anordnungsgrund wenigstens in gewissem Maße wahrscheinlich erscheint, dagegen die Voraussetzungen des zu sichernden Anspruches mit besonders hoher Wahrscheinlichkeit gegeben sind. So hat umgekehrt der BFH-Beschluß I B 47/69 vom 20. November 1969 (BFH 97, 285, BStBl II 1970, 83) auf eine nähere Untersuchung des geltend gemachten Anspruchs im Hinblick darauf verzichtet, daß jedenfalls die Verwirklichung eines etwaigen Anspruchs bei Nichterlaß der Anordnung vereitelt würde (§ 114 Abs. 1 Satz 1 FGO). Indessen lassen auch insoweit die Ausführungen des Beschwerdeführers vieles offen. Insbesondere ist nicht klar, welche Gründe den Beschwerdeführer veranlaßt haben, die seiner Behauptung nach unrichtige Steuerfestsetzung hinzunehmen. Das Verfahren gemäß § 131 AO ist jedenfalls - und insoweit ist dem angefochtenen Beschluß vorbehaltlos beizutreten - nicht dazu bestimmt, die Richtigkeit der Steuerfestsetzung nachzuprüfen (BFH-Urteil II 135/64 vom 3. März 1970, BFH 99, 8, BStBl II 1970, 503), mag auch im Einzelfall die Einziehung einer offensichtlich unrichtig festgesetzten Steuer eine unbillige Härte darstellen und aus diesem Grunde zum Erlaß führen müssen. Ob solche Umstände vorliegen, hängt aber weitgehend davon ab, aus welchen Gründen der Beschwerdeführer den Bescheid unanfechtbar werden ließ. Dazu kommt, daß der Beschwerdeführer nur wenig gegen die Auffassung der OFD vorgetragen hat, es lasse sich heute nicht mehr hinreichend feststellen, ob und ggf. inwieweit der Bescheid falsch gewesen sei.
5. Unabhängig von der Unanfechtbarkeit des Steuerbescheides bleibt die Frage, ob die Einziehung der vollen Steuern nicht etwa deshalb unbillig wäre, weil sich erst nachträglich Besatzungsschäden herausgestellt haben, welche im Zeitpunkt des Steuerbescheides und der laufenden Einspruchsfrist noch nicht zu erkennen waren. Diese hat aber der Beschwerdeführer nicht im einzelnen belegt. Es ist in diesem Verfahren nicht Aufgabe des Gerichts, die Tatsachen, welche der Kläger etwa vorzutragen hätte, aus den Akten zusammenzutragen (§ 114 Abs. 3 FGO, § 920 Abs. 2 ZPO).
Die beantragte einstweilige Anordnung kann daher auch nicht zu einem geringeren Betrage und gegen Sicherheitsleistung erteilt werden (§ 114 Abs. 3 FGO, § 921 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Die Beschwerde war demnach mit der Kostenfolge des § 135 Abs. 2 FGO als unbegründet zurückzuweisen.
Fundstellen
Haufe-Index 69239 |
BStBl II 1971, 633 |
BFHE 1971, 238 |