Entscheidungsstichwort (Thema)
Mangelnde Mitwirkung bei der Ermittlung der sog. Tilgungsquote im USt-Haftungsfall
Leitsatz (NV)
Hat der Haftungsschuldner den Berechnungsbogen zur Ermittlung der Haftungsquote nicht ausgefüllt und hat er die fortbestehende Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft noch dem Insolvenzgericht gegenüber betont, so kann der Schätzung auf 100 % nicht entgegengehalten werden, das FG habe spätere Angaben und beigebrachte Unterlagen nicht berücksichtigt.
Normenkette
AO 1977 §§ 34-35, 69, 90, 378; FGO § 115 Abs. 2 Nr. 2, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
FG Berlin (Urteil vom 04.11.2005; Aktenzeichen 9 K 9286/04) |
Tatbestand
I. Am 16. April 1999 wurde der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) durch Gesellschafterbeschluss zum Geschäftsführer der GmbH bestellt, deren alleiniger Gesellschafter er seit August 1997 war. Nachdem die GmbH für die Jahre 1996, 1997 und 1998 die Umsatzsteuerjahreserklärung nicht einreichte, setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) nach einer Umsatzsteuersonderprüfung im Wege der Schätzung am 19. August 1999 die Umsatzsteuer für das Jahr 1997 fest. Der dagegen gerichtete Einspruch wurde mangels Abgabe der Jahressteuererklärung zurückgewiesen.
Der Antrag des FA vom 28. November 2000 auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens über das Vermögen der GmbH wurde vom Amtsgericht mangels Masse zurückgewiesen und die GmbH in der Folge wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister gelöscht.
Wegen Umsatzsteuerschulden der GmbH betreffend den Veranlagungszeitraum 1997, fällig am 22. September 1999, nahm das FA den Kläger gemäß § 69 i.V.m. §§ 34, 35 der Abgabenordnung (AO 1977) in Haftung. Mittel zur Tilgung der Abgabenverbindlichkeiten seien im Haftungszeitraum (bis zum Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens) ausreichend vorhanden gewesen. Mangels Rücksendung des ihm im sog. Haftungsanhörungsverfahren zugesandten Fragebogens zur Ermittlung der Haftungssumme habe das FA wegen Verletzung der Mitwirkungspflicht nach § 90 AO 1977 die Tilgungsquote mit 100 % schätzen dürfen, zumal der Kläger noch im Januar 2001 gegenüber dem Insolvenzgericht angegeben habe, dass die GmbH nicht zahlungsunfähig sei und er die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft stets durch Abtretung von Steuererstattungsansprüchen habe gewährleisten wollen.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger u.a. geltend machte, die GmbH habe wegen einer Beschlagnahme ihrer Finanzbuchführung durch die Staatsanwaltschaft im Rahmen eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens zum 30. September 1998 keine zutreffende Umsatzsteuerjahreserklärung erstellen können, blieben erfolglos. Das Finanzgericht (FG) sah den Haftungsanspruch gemäß § 69 AO 1977 u.a. wegen der Nichtentrichtung des zum 22. September 1999 fälligen Nachzahlungsbetrags aufgrund des Schätzungsbescheides vom 19. August 1999 sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach als berechtigt an, insbesondere sei die Schätzung der Tilgungsquote mit 100 % vertretbar, da der Kläger trotz wiederholter Fristsetzungen der Aufforderung, Angaben zu den Verbindlichkeiten und dem Zahlungsverkehr der GmbH im Haftungszeitraum auf einem beigefügten Berechnungsbogen zu machen, nicht nachgekommen sei. Der Einwand, die Staatsanwaltschaft habe die Finanzbuchführung der GmbH beschlagnahmt, könne den Kläger von seinen Mitwirkungspflichten nicht entbinden, da er selbst eingeräumt habe, die Beschlagnahme sei bereits im März 1998 durchgeführt worden; die Unterlagen des Haftungszeitraums seien demnach von der Beschlagnahme nicht erfasst.
Der Kläger hält die Zulassung der Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative der Finanzgerichtsordnung (FGO) für geboten, da das Urteil des FG hinsichtlich der Ermittlung der Haftungsquote mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) nicht in Einklang stehe. Das FG ignoriere, dass es ihm infolge der Beschlagnahme wesentlicher Teile der Geschäftsunterlagen nicht möglich gewesen sei, Bilanzen zu erstellen. Die Mitwirkungs- und Auskunftspflicht beschränke sich nach der BFH-Rechtsprechung (Urteil vom 23. August 1994 VII R 134/92, BFH/NV 1995, 570) auf die Unterlagen, die dem Auskunftspflichtigen uneingeschränkt zur Verfügung stünden. Die im außergerichtlichen Rechtsbehelfsverfahren zur Ermittlung der Haftungsquote gemachten Angaben und beigebrachten Unterlagen ziehe das FG unter Hinweis auf die Vorstrafe des Klägers in Zweifel und weiche damit die vom BFH aufgestellten Grundsätze für den Erlass eines Haftungsbescheides nach § 69 AO 1977 auf und setze sich über die BFH-Rechtsprechung, nach der diese Grundsätze sogar bei einem Haftungsbescheid nach § 71 AO 1977 Anwendung fänden (BFH-Urteil vom 26. August 1992 VII R 50/91, BFHE 169, 13, BStBl II 1993, 8), hinweg. Durch die Neufassung des § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO sei dem BFH die Möglichkeit gegeben, Rechtsanwendungsfehler der FG zu korrigieren.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Ungeachtet der Mängel in der nach § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO erforderlichen Darlegung eines die Zulassung der Revision rechtfertigenden Rechtsanwendungsfehlers liegt ein solcher Fehler im Streitfall jedenfalls nicht vor.
Einwendungen gegen die materielle Rechtmäßigkeit der finanzgerichtlichen Entscheidung vermögen die Zulassung der Revision nach ständiger Rechtsprechung regelmäßig nicht zu rechtfertigen (BFH-Beschlüsse vom 14. Oktober 1992 III B 16/92, BFH/NV 1993, 546, und vom 19. September 1994 VIII B 110/93, BFH/NV 1995, 243). Zwar eröffnet § 115 Abs. 2 Nr. 2 2. Alternative FGO die Revision, wenn eine Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist. Das ist nach der Rechtsprechung des BFH u.a. der Fall, wenn das Urteil des FG an einem derart schwerwiegenden Fehler leidet, dass es willkürlich und unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt vertretbar erscheint (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 29. Oktober 2003 III B 15/03, BFH/NV 2004, 166; vom 28. Juni 2002 III B 28/02, BFH/NV 2002, 1474). Dafür bietet weder die Beschwerde Anhaltspunkte, noch sind solche sonst ersichtlich.
Bei seinem Einwand, eine mangelnde Mitwirkung bei der Bestimmung der Tilgungsquote und damit der Haftungssumme könne ihm nicht vorgeworfen werden, weil ihm seit dem 1. Januar 1996 wegen der Beschlagnahme wesentlicher Teile der Geschäftsunterlagen die Erstellung von Bilanzen nicht möglich gewesen sei, übersieht der Kläger, dass bereits das FG diesen Einwand --zutreffend-- entkräftet hat. Denn die Beschlagnahme der Staatsanwaltschaft wurde bereits im März 1998 durchgeführt und konnte daher nicht diejenigen Unterlagen aus der Finanzbuchführung betreffen, die für die Feststellung der Tilgungsquote im Haftungszeitraum, der nach Auffassung des FG am 30. September 1998, spätestens aber mit der Bestellung des Klägers zum Geschäftsführer am 16. April 1999 begonnen hat, relevant waren. Er übersieht weiter, dass sich das FG die Argumentation des FA in der Einspruchsentscheidung zu Eigen gemacht hat. Dort hatte das FA die Schätzung der Tilgungsquote mit 100 % zusätzlich darauf gestützt, dass der Kläger selbst noch im Januar 2001 gegenüber dem Insolvenzgericht die fortbestehende Zahlungsfähigkeit der GmbH betont habe. Es ist nicht vorgetragen und für den Senat auch sonst nicht ersichtlich, aus welchen Rechtsgründen diese Erwägungen zu beanstanden sein sollten. Insbesondere greift insoweit das Vorbringen des Klägers nicht, das FG habe Angaben und beigebrachte Unterlagen unter Hinweis auf die Vorstrafe des Klägers in Zweifel gezogen. Auf diese --unvollständigen-- Angaben und Unterlagen kam es nach Auffassung des FA und ihm folgend des FG mangels Mitwirkung bei der Erstellung des Berechnungsbogens zur Ermittlung der Tilgungsquote gar nicht an. Im Übrigen haben weder das FA noch das FG Unterlagen "unter Hinweis auf die Vorstrafe des Beschwerdeführers" in Zweifel gezogen. Die im strafgerichtlichen Urteil festgestellte illegale Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer und die Nichtanmeldungen und -abführungen der Lohnsteuern dienten vielmehr dem FA lediglich als Argument für das Vorliegen einer die Festsetzungsfrist um ein Jahr verlängernden leichtfertigen Steuerverkürzung i.S. von § 378 AO 1977 und dem FG lediglich als zusätzlicher Gesichtspunkt, die 100 %-ige Tilgungsquote zu rechtfertigen. Das ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
Fundstellen
Haufe-Index 1631657 |
BFH/NV 2007, 185 |