Entscheidungsstichwort (Thema)
Antrag auf PKH für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens
Leitsatz (NV)
Wird PKH für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens beantragt und wird ‐ wie hier ‐ nicht zugleich innerhalb der Rechtsmittelfrist durch eine vor dem BFH postulationsfähige Person oder Gesellschaft (vgl. § 62a FGO n.F.) Revision oder Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt, kann die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn damit zu rechnen ist, dass dem Antragsteller wegen unverschuldeter Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der Antragsteller innerhalb der Rechtsmittelfrist alle erforderlichen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung über seinen Antrag schafft. Insbesondere muss er innerhalb der Rechtsmittelfrist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel ‐ in zumindest laienhafter Weise ‐ darstellen.
Normenkette
FGO § 142; ZPO §§ 114, 117
Tatbestand
I. Die Antragstellerin erhob am 16. Mai 1997 vor dem Finanzgericht (FG) Klage wegen Erlass von Säumniszuschlägen. Mit Schreiben vom 29. Oktober 2001 an den Bevollmächtigten der Antragstellerin, ihren Ehemann, nahm das FG zur Sach- und Rechtslage ausführlich Stellung. In der mündlichen Verhandlung vor dem FG vom 22. November 2001 wurde die Sach- und Rechtslage nach Darstellung des FG im Tatbestand des angefochtenen Urteils "nochmals eingehend erörtert". Anschließend nahm die Antragstellerin, vertreten durch ihren Ehemann, ihre Klage zurück. Das FG stellte daraufhin das Verfahren durch in derselben mündlichen Verhandlung verkündeten Beschluss gemäß § 72 Abs. 2 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ein.
In der Sitzungsniederschrift vom 22. November 2001 sind diese Vorgänge wie folgt protokolliert worden:
"Nach Erörterung und auf Vorschlag des Gerichts erklärt der Prozessbevollmächtigte: Diese Klage nehme ich zurück.
Vorgespielt und genehmigt.
Beschlossen und verkündet:
Das Verfahren wird nach § 72 Abs. 2 Satz 2 FGO eingestellt."
Nachdem die Antragstellerin mit Schreiben vom 7. März 2002 die "Wiederaufnahme des Verfahrens" beantragt hatte, teilte ihr das FG mit Schreiben vom 11. März 2002 mit, dass das Verfahren durch Klagerücknahme beendet worden sei und eine Wiederaufnahme nicht in Betracht komme. Daraufhin widerrief die Antragstellerin ihre Klagerücknahme mit Schreiben vom 25. März 2002.
In der nachfolgenden erneuten mündlichen Verhandlung vom 25. April 2002 erklärte der Bevollmächtigte (Ehemann) der Antragstellerin, er sei im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22. November 2001 u.a. aufgrund unrichtiger Darstellungen von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen, so dass die von ihm erklärte Klagerücknahme nicht wirksam geworden sei.
Er beantragte, den Beklagten und Beschwerdegegner (Finanzamt ―FA―) zu verpflichten, dem Erlassantrag vom 20. Dezember 1996 stattzugeben.
Das FA beantragte, die Klage abzuweisen.
Die Vertreterin des FA erklärte in der mündlichen Verhandlung vom 25. April 2002, das FA habe nach der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2001 die Einspruchsentscheidung in der Erlasssache aufgehoben. Derzeit werde versucht, in Zusammenarbeit mit dem Bevollmächtigten der Antragstellerin über die Erlasssache neu zu befinden.
Mit Urteil vom 25. April 2002 hat das FG festgestellt, dass das Klageverfahren durch Klagerücknahme am 22. November 2001 beendet worden sei. Zur Begründung hat das FG im Wesentlichen ausgeführt:
Die Klagerücknahme der Antragstellerin sei wirksam. Eine während des Rechtsstreits erklärte Klagerücknahme könne als Prozesshandlung nicht nach bürgerlich-rechtlichen Regeln wegen Irrtums angefochten werden und sei grundsätzlich unwiderruflich.
Soweit der Bevollmächtigte der Antragstellerin vortrage, er habe die Klage auf Vorschlag des Gerichts aufgrund einer vom Gericht veranlassten unzutreffenden Annahme über die Höhe des Streitwerts zurückgenommen, bestünden hierfür objektiv keine Anhaltspunkte. Der Inhalt der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2001 sei zwar nicht im Einzelnen dokumentiert worden. Der Bevollmächtigte der Antragstellerin sei jedoch aufgrund der vor der mündlichen Verhandlung erteilten Hinweise ausführlich über die vom FG zugrunde gelegte Sach- und Rechtslage informiert gewesen. Diese sei auch Gegenstand der Erörterung in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2001 gewesen, die letztlich zu der Klagerücknahme geführt habe. Ob daneben über die Höhe des Streitwerts gesprochen worden sei, könne nicht mehr festgestellt werden. Sie sei objektiv für die Klagerücknahme jedenfalls nicht ursächlich gewesen. Soweit für den Bevollmächtigten der Antragstellerin die Höhe des Streitwerts Motiv für die Klagerücknahme gewesen sein sollte, habe er dies nicht dokumentiert, so dass dem FG ein solches Motiv auch nicht erkennbar gewesen sei. Im Übrigen bilde das Motiv für eine Klagerücknahme keinen Einwand gegen deren Wirksamkeit. Etwas anderes gelte nur für die Fälle einer Täuschung, Irreführung oder rechtswidrigen Drohung. Dafür lägen jedoch keine Anhaltspunkte vor.
Danach seien keine Umstände erkennbar, die den Bevollmächtigten der Antragstellerin aufgrund unzutreffender Angaben zur Klagerücknahme veranlasst haben könnten. Insbesondere sei auch kein Druck auf den Bevollmächtigten zur Klagerücknahme ausgeübt worden.
Die Antragstellerin habe überdies keinen Wiederaufnahmegrund i.S. der §§ 579 und 580 der Zivilprozessordnung (ZPO) schlüssig dargelegt, so dass die von ihr abgegebene Prozesserklärung auch unter diesen Voraussetzungen nicht widerrufen oder geändert werden könne.
Gegen das FG-Urteil hat die Antragstellerin, vertreten durch ihren (nicht i.S. von § 62a FGO i.d.F. des Zweiten Gesetzes zur Änderung der Finanzgerichtsordnung und anderer Gesetze ―2.FGOÄndG― vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1757; im Folgenden: FGO n.F., postulationsfähigen) Ehemann, Nichtzulassungsbeschwerde erhoben und gleichzeitig Prozesskostenhilfe (PKH) beantragt.
Zur Begründung ihres PKH-Begehrens macht sie im Wesentlichen geltend:
"In der mündlichen Verhandlung vom 22.11.01 hat eine Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht stattgefunden.
Seitens des … Vorsitzenden Richters ist sinngemäß lediglich erklärt worden, es handele sich um einen kleinen Betrag, er empfehle deshalb Rücknahme der Klage.
…
Außerdem berücksichtigt das … Urteil nicht die unter 'Tatbestand' ausgewiesene Behauptung des Beklagten …:
'Der Beklagte erklärt, er habe nach der Sitzung vom 22.11.01 den Einspruchsbescheid in der Erlasssache aufgehoben. Derzeit werde versucht, in Zusammenarbeit mit dem Prozessbevollmächtigten über die Erlasssache neu zu befinden'.
Demzufolge hätte der Rechtsstreit in der Sitzung vom 25.4.02 (in der) Hauptsache für erledigt (erklärt) werden können/ müssen.
Hiervon unberührt bleibt, dass die zitierten Behauptungen des Beklagten vorsätzlich falsch sind."
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Gewährung von PKH wird abgelehnt, weil die von der Antragstellerin beabsichtigte Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.
1. Nach § 142 FGO i.V.m. § 114 ZPO erhält eine Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Für den beim Bundesfinanzhof (BFH) als Prozessgericht zu stellenden Antrag auf PKH besteht kein Vertretungszwang (vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 23. Januar 1991 II S 17/90, BFH/NV 1991, 338; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 142 Rz. 20, m.w.N.).
Wird PKH für die Durchführung eines Rechtsmittelverfahrens beantragt und wird ―wie hier― nicht zugleich innerhalb der Rechtsmittelfrist durch eine vor dem BFH postulationsfähige Person oder Gesellschaft (vgl. § 62a FGO n.F.) Revision oder Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision eingelegt, kann die beabsichtigte Rechtsverfolgung nur dann Aussicht auf Erfolg haben, wenn damit zu rechnen ist, dass dem Antragsteller wegen unverschuldeter Versäumung der Rechtsmittelfrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Das ist nur dann der Fall, wenn der Antragsteller innerhalb der Rechtsmittelfrist alle erforderlichen Voraussetzungen für eine positive Entscheidung über seinen Antrag schafft. Insbesondere muss er innerhalb der Rechtsmittelfrist das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel ―in zumindest laienhafter Weise― darstellen (vgl. § 142 FGO i.V.m. § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO; ständige Rechtsprechung: vgl. z.B. BFH-Beschluss vom 8. Februar 2001 III S 15/00, BFH/NV 2001, 1270, m.w.N.; Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Rz. 12, m.w.N.).
Daran fehlt es im Streitfall. Die Ausführungen der Antragstellerin lassen nicht im Ansatz erkennen, inwieweit in einem künftigen Revisionsverfahren Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO n.F.) geklärt werden könnten oder eine Entscheidung des BFH in einem künftigen Revisionsverfahren "zur Fortbildung des Rechts" oder "zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung" erforderlich wäre (vgl. § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO n.F.).
Ebenso wenig kann den Darlegungen der Antragstellerin entnommen werden, dass das FG einen Verfahrensfehler begangen habe, auf dem das angefochtene Urteil beruhen könne. Soweit sie ohne jede Konkretisierung behauptet, in der mündlichen Verhandlung vom 22. November 2001 habe "eine Erörterung der Sach- und Rechtslage nicht stattgefunden", widerspricht dies nicht nur der Darstellung des FG im Tatbestand des angefochtenen Urteils, wonach die Sach- und Rechtslage im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 22. November 2001 "nochmals eingehend erörtert" worden sei, sondern auch der von der Antragstellerin insoweit nicht beanstandeten Sitzungsniederschrift vom selben Tag, in welcher vom FG ausdrücklich festgehalten wurde, dass die Klage "nach Erörterung …" zurückgenommen worden sei. Ferner liefert der Vortrag der Antragstellerin auch keine hinlänglichen (substantiierten) Anhaltspunkte dafür, dass ihr Bevollmächtigter vom FG und/oder FA durch Irreführung, Drohung oder unzulässigen Druck zur Klagerücknahme bewegt worden sei. Gegen ein solches Verhalten des Gerichts spricht im Übrigen schon der Umstand, dass das FA im Anschluss an die mündliche Verhandlung vom 22. November 2001 den angefochtenen Einspruchsbescheid aufhob und dadurch den Weg zu einer erneuten Bescheidung des Erlassantrags eröffnete.
2. Eine Kostenentscheidung war nicht zu treffen. Gerichtsgebühren entstehen nicht (§ 142 FGO, § 118 Abs. 1 Sätze 4 und 5 ZPO; Gräber/Ruban, a.a.O., § 142 Rz. 34, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 867188 |
BFH/NV 2003, 73 |