Entscheidungsstichwort (Thema)
Selbständigkeit des Unternehmers; Beiladung; Ablehnung Befangenheitsgesuch; Rügeverzicht; Feststellungslast
Leitsatz (NV)
1. Die Unternehmereigenschaft des Leistenden ist im Rechtsstreit des den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmers eigenständig zu prüfen.
2. Der Leistungsempfänger kann, muss aber nicht im Rechtsstreit des leistenden Unternehmers über die Steuerbarkeit und Steuerpflicht der Leistung beigeladen werden.
3. Die Frage der Selbständigkeit nach § 2 UStG ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beantworten, wobei die für und die gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die unterschiedlich gewichtet werden können, nach den Verhältnissen des jeweiligen Einzelfalles gegeneinander abzuwägen sind.
4. Die Ablehnung eines Befangenheitsgesuchs begründet nur dann einen Verfahrensfehler, wenn sie greifbar gesetzwidrig und willkürlich ist.
5. Unterlässt es der durch einen Steuerberater vertretene Kläger in der mündlichen Verhandlung, einen Sachaufklärungsmangel i.S.v. § 76 Abs. 1 FGO zu rügen, führt dies zu einem Rügeverzicht.
6. Die Regeln über die Verteilung der Feststellungslast gehören dem materiellen Recht an.
Normenkette
UStG §§ 15, 2; FGO §§ 60, 115 Abs. 2 Nr. 3, § 76 Abs. 1
Verfahrensgang
FG Rheinland-Pfalz (Urteil vom 28.06.2007; Aktenzeichen 6 K 2770/04) |
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Eine Zulassung der Revision kommt weder aufgrund grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--) noch zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO) in Betracht.
a) Die vom Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) behauptete Divergenz zum Beschluss des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 1. Februar 2001 V B 199/00 (BFHE 194, 23, BStBl II 2001, 418) liegt nicht vor. Der BFH hat in diesem Beschluss entschieden, dass der Leistungsempfänger zum Rechtsstreit des leistenden Unternehmers, in dem es um die Steuerbarkeit und Steuerpflicht dieser Leistungen geht, beigeladen werden kann. Insoweit handelt es sich um eine Beiladung gemäß § 60 Abs. 1 FGO, nicht um eine notwendige Beiladung nach § 60 Abs. 3 FGO. Aus der bloßen Möglichkeit einer Beiladung nach § 60 Abs. 1 FGO ergibt sich aber nicht, dass über die Unternehmereigenschaft des Leistenden nur im Besteuerungsverfahren des Leistenden zu entscheiden ist. Vielmehr ist die Unternehmereigenschaft des Leistenden im Rechtsstreit des den Vorsteuerabzug begehrenden Unternehmers eigenständig zu prüfen.
b) Die vom Kläger als klärungsbedürftig angesehenen Rechtsfragen zur Abgrenzung zwischen Arbeitnehmern und selbständigen Unternehmern nach § 2 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) sind bereits durch die Rechtsprechung beantwortet, so dass ihnen keine grundsätzliche Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) zukommt. Durch die Rechtsprechung ist bereits geklärt, dass die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbständig oder nichtselbständig ausübt, anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Kriterien nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beantworten ist (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 10. März 2005 V R 29/03, BFHE 209, 162, BStBl II 2005, 730; vom 2. Dezember 1998 X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl II 1999, 534, m.w.N., und Beschlüsse vom 9. Januar 2004 V B 140/03, BFH/NV 2004, 543; vom 28. Februar 2002 V B 31/01, BFH/NV 2002, 957). Dies bedeutet u.a., dass die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Merkmale, die im Einzelfall unterschiedlich gewichtet werden können, gegeneinander abzuwägen sind (vgl. ausführlich z.B. BFH-Beschluss vom 17. Oktober 2003 V B 80/03, BFH/NV 2004, 379, und BFH-Urteil vom 29. Juni 2000 V R 28/99, BFHE 191, 468, BStBl II 2000, 597). Entgegen der Auffassung des Klägers sind die danach im Einzelnen zu beachtenden Kriterien weder zwingend gleich noch zwingend unterschiedlich zu behandeln. Es ist vielmehr Sache des Finanzgerichts (FG), die für und gegen die Selbständigkeit sprechenden Umstände im jeweiligen Einzelfall gegeneinander abzuwägen. Hält das FG bei der ihm obliegenden Würdigung "das Schulden der Arbeitskraft anstatt eines Arbeitserfolgs" nicht für "das mit Abstand wichtigste Kriterium", liegt daher entgegen der Auffassung des Klägers kein erheblicher Fehler vor, der eine Revisionszulassung nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO erfordert.
Auch der vom Kläger geltend gemachte Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO ist nicht gegeben. Der Zulassungsgrund der Sicherung der Rechtsprechungseinheit umfasst die vom Kläger behauptete Divergenz des Urteils des FG zu der Rechtsprechung des BFH. Eine Divergenz liegt vor, wenn das FG seiner Entscheidung einen Rechtssatz zugrunde gelegt hat, der mit den tragenden Rechtsausführungen einer BFH-Entscheidung nicht übereinstimmt (BFH-Beschluss vom 28. Januar 2002 VII B 41/01, BFH/NV 2002, 932). Wird mit der Beschwerde geltend gemacht, das FG sei von der Rechtsprechung des BFH abgewichen, erfordert die ausreichende Bezeichnung der Divergenz außer der Angabe von Entscheidungen des BFH die Gegenüberstellung abstrakter tragender Rechtssätze aus diesen Entscheidungen und dem angefochtenen FG-Urteil in einer Weise, dass die Abweichung erkennbar wird (z.B. BFH-Beschlüsse vom 5. September 2001 VIII B 18/01, BFH/NV 2002, 205; vom 28. Dezember 2001 VII B 109/01, BFH/NV 2002, 663, und vom 5. November 2007 XI B 42/07, BFH/NV 2008, 190).
Der Kläger leitet die Divergenz aus den BFH-Urteilen vom 20. Januar 1972 IV R 1/69 (BFHE 104, 169, BStBl II 1972, 214) und vom 20. Februar 1979 VIII R 52/77 (BFHE 127, 201, BStBl II 1979, 414) ab, aus denen sich ergebe, dass bei einer Betätigung auf eigene Rechnung und Gefahr das "Kriterium des Unternehmerrisikos … erfüllt" sei. Demgegenüber habe das FG entschieden, dass es "zur Annahme einer selbständigen Tätigkeit nicht ausreicht", wenn neben dem Risiko, nur im Erfolgsfall Provisionen zu beziehen, auch die Gefahr besteht, diese bei Stornierung des Auftrags zurückzahlen zu müssen. Hieraus ergibt sich kein Erfordernis, die Revision zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zuzulassen. Denn der vom Kläger aus den von ihm bezeichneten BFH-Entscheidungen abgeleitete Rechtssatz betrifft die Frage des Mitunternehmerrisikos und damit einen Umstand, der bei der Beurteilung der Selbständigkeit im Rahmen einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen ist. Demgegenüber bezieht sich der Rechtssatz aus der Entscheidung des FG auf das Ergebnis der bei der Beurteilung der Selbständigkeit vorzunehmenden Gesamtwürdigung. Im Kern wendet sich der Kläger somit gegen die nach seiner Auffassung fehlerhafte Sachverhaltswürdigung und tatrichterliche Überzeugungsbildung des FG und damit gegen einen aus seiner Sicht bestehenden materiell-rechtlichen Mangel der Vorentscheidung. Materiell-rechtliche Rügen erfüllen aber keinen der Tatbestände des § 115 Abs. 2 FGO (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Beschlüsse vom 4. Juli 2002 IX B 169/01, BFH/NV 2002, 1476; vom 28. August 2003 VII B 71/03, BFH/NV 2004, 493; vom 28. November 2007 XI B 174/06, nicht veröffentlicht --n.v.--).
Schließlich ist die Revision nach dem vom Kläger zitierten Beschluss des BFH vom 10. Oktober 2002 I B 147/01 (BFH/NV 2003, 197) auch gegen solche Entscheidungen der FG zuzulassen, die nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) als willkürlich zu bezeichnen wären. Davon kann ausnahmsweise ausgegangen werden, wenn der angefochtene Richterspruch jeder Rechtsgrundlage entbehrt und sich daher der Schluss aufdrängt, dass er auf sachfremden Erwägungen beruht. Hiervon kann im Hinblick auf die umfangreiche Gesamtwürdigung des FG keine Rede sein.
2. Auch die vom Kläger geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO) liegen nicht vor.
a) Eine Zulassung der Revision nach § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO kommt wegen der Ablehnung des Befangenheitsgesuchs gegen den Berichterstatter des FG nicht in Betracht. Soweit nach der Rechtsprechung die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs als Verletzung des Verfahrensgrundrechts auf den gesetzlichen Richter nach Art. 101 Abs. 1 Satz 2 des Grundgesetzes (GG) und damit als Verfahrensmangel nach § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 119 Nr. 1 FGO geltend gemacht werden kann, setzt dies voraus, dass sich dem Beschwerdevorbringen entnehmen lässt, dass der Beschluss über die Zurückweisung des Ablehnungsgesuchs nicht nur fehlerhaft, sondern greifbar gesetzwidrig und damit willkürlich ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 13. Januar 2003 III B 51/02, BFH/NV 2003, 640; vom 28. Mai 2003 III B 87/02, BFH/NV 2003, 1218; vom 25. Juli 2005 VII B 2/05, BFH/NV 2005, 2035; vom 28. Juli 2005 II B 81/04, BFH/NV 2005, 2221; vom 16. Januar 2006 VIII B 35/05, BFH/NV 2006, 957; vom 6. April 2006 XI B 63/05, BFH/NV 2006, 1329; vom 25. September 2006 V B 215/05, BFH/NV 2007, 249; vom 10. Januar 2007 X B 78/06, n.v.; vom 14. März 2007 VIII B 103/06, BFH/NV 2007, 1330; vom 29. August 2007 IX B 246/06, n.v.). Aus welchen Gründen der Ablehnungsentscheidung des FG vom 27. Juni 2007 derart schwerwiegende Mängel anhaften würden, dass sie greifbar gesetzwidrig und willkürlich wäre, ergibt sich aus den Ausführungen des Klägers indessen nicht. Dem Beschwerdevorbringen lässt sich nicht einmal die bloße (einfache) Fehlerhaftigkeit der Entscheidung schlüssig entnehmen. Das FG hat die Ablehnung des Befangenheitsgesuchs in dem Beschluss vom 27. Juni 2007 umfangreich begründet und insbesondere darauf gestützt, dass die Aufforderung zur Vorlage der Rechnungen sachgerecht war. Denn der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) habe die Ordnungsmäßigkeit der Rechnungen stets bestritten, wie sich aus den Schriftsätzen des FA vom 14. Juni 2005 und 20. Februar 2006 ergebe. Dem Senat sei nicht bekannt gewesen, dass Rechnungen gefälscht worden seien. Der Vortrag des Klägers, die Befangenheit des Berichterstatters ergebe sich daraus, dass die Prüfung der Rechnungen durch die Steuerfahndung zu keinen Beanstandungen geführt habe, ist bereits im Hinblick auf den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht geeignet, den Vorwurf der Befangenheit zu begründen.
b) Soweit der durch einen Steuerberater in der mündlichen Verhandlung vertretene Kläger einen Sachaufklärungsmangel und damit einen Verstoß gegen § 76 Abs. 1 FGO geltend macht, hat er es ausweislich des Sitzungsprotokolls unterlassen, diesen vermeintlichen Verstoß des FG in der mündlichen Verhandlung vom 28. Juni 2007 zu rügen; er kann sich deshalb mit der Nichtzulassungsbeschwerde hierauf nicht mehr berufen (ständige Rechtsprechung des BFH, vgl. z.B. Beschlüsse vom 17. März 2005 X B 46/04, BFH/NV 2005, 1132; vom 7. April 2005 IX B 194/03, BFH/NV 2005, 1354; vom 29. Juni 2005 VI B 120/04, BFH/NV 2005, 1848; vom 28. August 2006 V B 60/05, BFH/NV 2006, 2311).
c) Mit seiner Rüge, das FG habe die Regeln über die Verteilung der Feststellungslast fehlerhaft gehandhabt, macht der Kläger eine unrichtige Rechtsanwendung im Einzelfall geltend. Damit kann die Zulassung der Revision aber nicht erreicht werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFH/NV 2002, 1476; vom 8. März 2005 IX B 183/04, BFH/NV 2005, 1243). Denn die Anwendung dieser --an die Normen des materiellen Rechts anknüpfenden-- Regeln ist revisionsrechtlich dem materiellen Recht zuzuordnen und daher der Prüfung des BFH im Rahmen einer Nichtzulassungsbeschwerde grundsätzlich entzogen (z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. Februar 2005 IX B 169/03, BFH/NV 2005, 1057; vom 20. Juli 2007 XI B 32/06, n.v.).
Soweit der Kläger eine Divergenz zu dem Urteil des Sächsischen FG vom 14. Juli 2004 7 K 2385/01 geltend macht, liegt eine solche schon nach seinem eigenen Vorbringen nicht vor. Denn danach ist dieses Urteil zu § 14 Abs. 3 UStG 1999 ergangen. Bei dieser Vorschrift besteht aber eine andere Interessenlage als beim Vorsteuerabzug, so dass auch die Regeln der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zu einem anderen Ergebnis führen können. Im Steuerprozess liegt nach ständiger Rechtsprechung die Feststellungslast für die steuerbegründenden Tatsachen beim Steuergläubiger, für die steuerbefreienden oder -mindernden Tatsachen beim Steuerschuldner (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 21. März 2002 III R 42/00, BFHE 198, 526, BStBl II 2002, 417, unter II.2.b). Davon ist im Streitfall auch das FG ausgegangen.
Fundstellen