Entscheidungsstichwort (Thema)
Billigkeitsentscheidungen der Verwaltung in sog. Weiterleitungsfällen beim Kindergeld
Leitsatz (NV)
Es ist grundsätzlich nicht ermessensfehlerhaft, wenn die Verwaltung in sog. Weiterleitungsfällen den Verzicht auf die Rückforderung des zu Unrecht gewährten Kindergeldes davon abhängig macht, daß der vorrangig Berechtigte bestätigt, das Kindergeld erhalten zu haben und er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt.
Normenkette
EStG §§ 64, 68 Abs. 1 S. 1, § 70 Abs. 2; FGO § 102; AO 1977 §§ 5, 163, 227
Tatbestand
Der verheiratete Kläger, Antragsteller und Beschwerdeführer (Antragsteller) bezog Kindergeld für seine Tochter. Nachdem der Beklagte, das Arbeitsamt -Familienkasse-, davon Kenntnis erhalten hatte, daß der Antragsteller seit März 1997 von seiner Ehefrau getrennt lebt und sich die Tochter in deren Haushalt aufhält, erließ die Familienkasse am 6. Mai 1998 nach § 70 Abs. 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) einen Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid, mit dem sie die Festsetzung des Kindergeldes für die Monate April bis einschließlich Juli 1997 aufhob und das gezahlte Kindergeld in Höhe von 880 DM zurückforderte.
Nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhob der Antragsteller hiergegen Klage, die er im wesentlichen damit begründete, er habe während des streitbefangenen Zeitraums erhebliche Zahlungen an seine Ehefrau geleistet, wobei er allerdings den monatlichen Betrag von 220 DM nicht ausdrücklich als "Kindergeld" bezeichnet habe.
Mit Gerichtsbescheid vom 14. September 1998, gegen den mündliche Verhandlung beantragt wurde, hat das Finanzgericht (FG) die Klage abgewiesen. Zur Begründung führte es an, die Tochter sei im Haushalt der Ehefrau aufgenommen worden; deshalb sei diese vorrangig kindergeldberechtigt. - Es stelle auch keinen Ermessensfehler dar, daß die Familienkasse zugunsten des Antragstellers aus Billigkeitsgründen nicht auf die Rückforderung des Kindergeldes verzichtet habe. Der Antragsteller habe keine Erklärung seiner Ehefrau vorgelegt, wonach diese das Kindergeld im Wege der Weiterleitung erhalten habe.
Mit der Klage hat der Antragsteller beim FG ferner den Antrag gestellt, ihm für das Klageverfahren Prozeßkostenhilfe (PKH) zu gewähren. Das FG hat den Antrag mit dem angefochtenen Beschluß mangels Erfolgsaussichten abgelehnt und zur Begründung auf den erwähnten Gerichtsbescheid Bezug genommen.
Der Antragsteller beantragt sinngemäß, ihm unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses PKH zu gewähren.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist unbegründet. Das FG hat den PKH-Antrag zu Recht abgelehnt.
1. Nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozeßführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, auf Antrag PKH zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Im Streitfall bietet die Rechtsverfolgung des Antragstellers bei der gebotenen summarischen Prüfung keine hinreichenden Erfolgsaussichten.
2. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid der Familienkasse vom 6. Mai 1998 ist rechtmäßig.
Wie der erkennende Senat in seinem Beschluß vom 18. Dezember 1998 VI B 215/98 (BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231) ausgeführt hat, ist die Festsetzung des Kindergeldes vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse an aufzuheben, wenn sich --wie im Streitfall-- durch einen Haushaltswechsel des Kindes die Verhältnisse, die für die Zahlung des Kindergeldes erheblich sind, ändern (vgl. auch Senatsbeschluß vom 10. November 1998 VI B 125/98, BFHE 187, 477, BStBl II 1999, 137). Ist das Kindergeld im Rahmen der Unterhaltsregelung verrechnet, so kann bei Änderung der Verhältnisse der Ausgleich nur über das zivilrechtliche Unterhaltsrecht erfolgen. Zur weiteren Begründung nimmt der Senat Bezug auf den Beschluß in BFHE 187, 559, BStBl II 1999, 231.
Der Senat hat in dem vorbezeichneten Beschluß im übrigen dahingestellt sein lassen, ob bei der Aufhebung oder Änderung der Festsetzung des Kindergeldes nach § 70 Abs. 2 EStG unter bestimmten Voraussetzungen Vertrauensschutz gewährt werden könne. Jedenfalls besteht dann kein Anspruch auf Vertrauensschutz, wenn der ursprünglich Kindergeldberechtigte den Haushaltswechsel des Kindes nicht unverzüglich der Familienkasse anzeigt, wie es § 68 Abs. 1 Satz 1 EStG vorschreibt. Dieser Anzeigepflicht ist der Antragsteller nur verspätet und damit nicht hinreichend nachgekommen.
3. Im übrigen läßt die --mit dem Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid verbundene-- Entscheidung der Familienkasse über eine Billigkeitsmaßnahme keine Rechtsfehler erkennen.
Die Familienkasse hat es abgelehnt, auf die Rückforderung des Kindergeldes zu verzichten. Sie stützt sich hierbei auf die Dienstanweisung (DA) des Bundesamts für Finanzen (BfF) zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs (DA-FamEStG) zu § 64 EStG. Nach DA 64.4 Abs. 3 ff. DA-FamEStG kann der Rückforderungsanspruch gegenüber dem nachrangig Berechtigten und der Kindergeldanspruch des vorrangig Berechtigten als erloschen behandelt werden, wenn letzterer bescheinigt, das Kindergeld durch Weiterleitung erhalten zu haben und er seinen Anspruch auf Auszahlung von Kindergeld insoweit als erfüllt anerkennt (vgl. Verfügung des BfF vom 30. Juni 1997, BStBl I 1997, 654; ergänzende Dienstanweisung zu 64.4 DA-FamEStG im Schreiben des BfF vom 25. August 1997, BStBl I 1997, 797; Neufassung der DA-FamEStG vom 9. April 1998, BStBl I 1998, 386, 441 ff.; vgl. auch Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f. zur Bestätigung des vorrangig Berechtigten - neuer Anhang 14 zu DA 64.4 Abs. 4 DA-FamEStG).
Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß eine Billigkeitsentscheidung der Verwaltung nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle unterliegt (§ 102 FGO). Die ablehnende Entscheidung der Familienkasse kann grundsätzlich nur auf Ermessensfehler überprüft werden (zur Überprüfung von Ermessensentscheidungen nach §§ 163, 227 der Abgabenordnung --AO 1977--: vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs vom 7. Oktober 1993 V R 67/91, BFH/NV 1994, 669; Beschluß vom 6. Juni 1991 V R 102/86, BFH/NV 1992, 787; Brandt in Beermann, Finanzgerichtsordnung, § 102 Rz. 54).
Die von der Familienkasse getroffene Billigkeitsentscheidung ist nicht zu beanstanden (vgl. auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 1. Juli 1998 II 672/97 Ki, Entscheidungen der Finanzgerichte 1998, 1525). Insbesondere ist es nicht sachwidrig, die Gewährung einer Billigkeitsmaßnahme von einer Erklärung des vorrangig kindergeldberechtigten Elternteils nach Maßgabe der oben angeführten Verfügungen des BfF (zuletzt: Schreiben des BfF vom 25. August 1998, BStBl I 1998, 1126 f.) abhängig zu machen. Ohne eine derartige Erklärung würde sich die Familienkasse dem Risiko einer doppelten Inanspruchnahme aussetzen.
Die Klage erscheint demnach --soweit sie sich auch gegen die Billigkeitsentscheidung der Familienkasse richtet-- ohne Aussicht auf Erfolg. Der Antragsteller hat eine Bescheinigung seiner Ehefrau nicht beigebracht, in der die von der Verwaltung für notwendig erachteten Angaben zur Weiterleitung des Kindergeldes und in bezug auf den eigenen Kindergeldanspruch der Ehefrau bestätigt werden.
Fundstellen
Haufe-Index 302771 |
BFH/NV 1999, 1592 |
EStB 1999, 190 |