Entscheidungsstichwort (Thema)
Bezugnahme auf Schriftsätze in anderen Verfahren; Zustellung eines Gerichtsbescheides an Kläger neben Prozeßbevollmächtigtem; kurze mündliche Verhandlung
Leitsatz (NV)
1. Die Bezugnahme auf Schriftsätze in anderen Verfahren stellt nur dann eine ordnungsgemäße Revisionsrüge dar, wenn es sich in beiden Verfahren um die gleiche Rechtsfrage und dieselben Prozeßbeteiligten handelt.
2. Wird ein Gerichtsbescheid außer an den Prozeßbevollmächtigten zusätzlich an die Kläger selbst zugestellt, so liegt darin keine Einschränkung der Vertretung der Kläger durch den Prozeßbevollmächtigten.
3. Die Kürze einer mündlichen Verhandlung ist allein noch kein Maßstab dafür, daß das Verfahren einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gleichkommt.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 1 Nrn. 3-4, § 119 Nrn. 4-5, § 120 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 2
Tatbestand
Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) machten mit dem Einspruch gegen den Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr (1989) u. a. geltend, daß der Grundfreibetrag aus verfassungsrechtlichen Gründen zu niedrig sei. Außerdem rügten sie die nicht ordnungsgemäße Bekanntgabe des Bescheids in einer Ausfertigung an ihren Prozeßbevollmächtigten, obwohl sie sich nicht damit einverstanden erklärt hätten, daß der Bescheid mit Wirkung für und gegen den anderen bekanntgegeben werde. Sie baten um eine klagefähige Entscheidung. Eine Einspruchsentscheidung ist bisher nicht ergangen.
Nach Ablauf von mehr als sechs Monaten nach ihrer Bitte um eine klagefähige Entscheidung erhoben die Kläger Untätigkeitsklage mit dem Ziel, den Einkommensteuerbescheid wegen Bekanntgabemängeln aufzuheben oder zumindest einen Grundfreibetrag in Höhe von 20 000 DM zu berücksichtigen.
Das Finanzgericht (FG) erließ einen Gerichtsbescheid, worin die Klage unter Bezugnahme auf die Entscheidung des erkennenden Senats vom 8. Mai 1992 III B 138/92 (BFHE 167, 303, BStBl II 1992, 673) als rechtsmißbräuchlich und daher unzulässig angesehen wurde. Diesen Gerichtsbescheid stellte das FG sowohl dem Prozeßbevollmächtigten der Kläger als auch den Klägern selbst zu.
Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger beantragte gegen den Gerichtsbescheid mündliche Verhandlung. In der daraufhin durch geführten mündlichen Verhandlung waren die Kläger durch den Prozeßbevollmächtigten vertreten. Im Verlauf der mündlichen Verhandlung trug der Vorsitzende Richter des FG (zugleich Berichterstatter) zunächst den wesentlichen Inhalt der Akten vor. Der Prozeßbevollmächtigte erklärte dann, daß er beabsichtige, den bisher angekündigten Klageantrag gegen den Antrag auf Berücksichtigung von außergewöhnlichen Belastungen in Höhe von 1100 DM auszutauschen.
Der Vorsitzende Richter des FG setzte dem Prozeßbevollmächtigten sodann eine Frist von zwei Minuten für die Erklärung zu der Frage, ob und ggf. auf welche nicht in einer Checkliste aufgeführten Ablehnungsgründe ein etwaiges Ablehnungsvorbringen gestützt werden solle. Die Checkliste war dem Prozeßbevollmächtigten in einer der mündlichen Verhandlung zum Streitfall an demselben Tag vorausgegangenen mündlichen Verhandlung übergeben worden, in der ein anderer Steuerpflichtiger in einem gleichgelagerten Fall ebenfalls durch den Prozeßbevollmächtigten der Kläger vertreten worden war. Die Checkliste enthielt eine Zusammenstellung von Ablehnungsgründen, die von dem Prozeßbevollmächtigten in einer Reihe von Parallelfällen anderer Steuerpflichtiger in vorausgegangenen Terminen geltend gemacht und vom FG jeweils als rechtsmißbräuchlich oder jedenfalls als unbeachtlich angesehen worden waren. Der Prozeßbevollmächtigte gab innerhalb der gesetzten Frist keine Erklärung zu der ihm gestellten Frage ab.
Das Protokoll der mündlichen Verhandlung vermerkt dazu, daß der Prozeßbevollmächtigte statt dessen "wiederum nur Unterbrechungs- und Protokollierungsanträge und sonstige Prozeßanträge eingebracht" habe, "über die der Senat entweder von Amts wegen befindet oder die er bereits in früher verhandelten Parallelsachen als rechtsmißbräuchlich und deshalb unbeachtlich angesehen hat". Der Vorsitzende Richter des FG setzte daraufhin dem Prozeßbevollmächtigten eine Frist von nochmals zwei Minuten zur Stellung eines Sachantrags. Innerhalb dieser Frist stellte der Prozeßbevollmächtigte jedoch keinen Sachantrag, sondern beantragte die Ablehnung des Vorsitzenden. Eine Begründung behielt er sich für später vor. Der Vorsitzende Richter des FG schloß dann die mündliche Verhandlung.
Das FG wies die Klage als unzulässig ab. Es verwies dazu gemäß § 90 a Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) auf den vorher ergangenen Gerichtsbescheid. Ferner begründete das FG in dem Urteil, warum es das Verfahren entgegen dem Antrag des Prozeßbevollmächtigten der Kläger nicht ausgesetzt hat, und nahm zur Besetzung der Richterbank Stellung. Schließlich legte das FG noch dar, daß die Checkliste dem Prozeßbevollmächtigten überreicht worden sei, um mißbräuchlichen Ablehnungsgesuchen zu begegnen. Da der Prozeßbevollmächtigte nach der ihm zugestellten Ladung zur mündlichen Verhandlung noch fast sieben Wochen Zeit gehabt habe, Ablehnungsvorbringen aus bis zur mündlichen Verhandlung aufgesparten Befangenheitsgründen vorzubereiten, sei die Erklärungsfrist zu dieser Liste ausreichend gewesen. Die Erklärungsfrist habe zudem in der mündlichen Verhandlung, die der mündlichen Verhandlung zum Streitfall am selben Tag vorausgegangen sei und einen Parallelfall eines vom Prozeßbevollmächtigten der Kläger vertretenen anderen Steuerpflichtigen betroffen habe, noch zehn Minuten betragen.
Das FG ließ die Revision nicht zu. Hiergegen erhoben die Kläger Nichtzulassungsbeschwerde, die der Senat mit Beschluß vom heutigen Tage als unbegründet zurückgewiesen hat.
Neben der Nichtzulassungsbeschwerde legten die Kläger die vorliegende Revision ein. Die Revision stützt sich auf § 116 Abs. 1 Nr. 3 FGO, wonach es einer Zulassung der Revision nicht bedarf, wenn ein Beteiligter im Verfahren nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten war.
Die Kläger machen geltend, der Begriff "nicht vertreten" werde von der Rechtsprechung sehr weit ausgelegt. Ein derartiger Mangel sei daher auch anzunehmen, wenn der von ihnen -- den Klägern -- gewählte Bevollmächtigte aus dem Verfahren gedrängt worden sei oder gedrängt werden sollte. Dieses Ziel habe das FG verfolgt. Dies zeige sich in dem Vorgehen des FG in einer Vielzahl anderer Fälle, in denen der Prozeßbevollmächtigte Steuerpflichtige vor dem FG vertreten habe. Hierzu werde auf einen der Revisionsschrift beigefügten Schriftsatz an das FG in Verfahren anderer Steuerpflichtiger verwiesen. Dieser Schriftsatz werde zum Gegenstand des Revisionsverfahrens gemacht.
Im Streitfall ergebe sich die Absicht der Herausdrängung des Prozeßbevollmächtigten aus dem Verfahren zudem aus der Zustellung des dem angegriffenen Urteil vorausgegangenen Gerichtsbescheides unmittelbar auch an sie -- die Kläger --. Dadurch hätten sie in Angst und Schrecken versetzt werden sollen. Zudem seien sie damit gelockt worden, daß der Bevollmächtigte die Verfahrenskosten zu tragen habe, wenn sie ihn von der Vollmacht entbinden und selbst einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen würden.
Schließlich habe auch die Art und Weise, wie der Prozeßbevollmächtigte in der mündlichen Verhandlung behandelt worden sei, bewirkt, daß sie nicht mehr den Vorschriften des Gesetzes gemäß vertreten gewesen seien. Da der Prozeßbevollmächtigte die ihm gesetzten Fristen für Befangenheits- und Sachanträge von jeweils zwei Minuten nicht eingehalten habe, sei die Verhandlung abrupt abgebrochen worden. Befangenheitsanträge seien nicht zur Kenntnis genommen worden. Es habe dazu auch keine Stellungnahme der wegen Befangenheit abgelehnten Richter gegeben, sondern die Anträge seien immer als rechtsmißbräuchlich angesehen worden. Aufgrund des Verhaltens des FG habe kein Sachantrag gestellt werden können.
Die Kläger beantragen durch ihren Prozeßbevollmächtigten, das Urteil des FG aufzuheben und das Verfahren an einen anderen Senat des FG zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt) beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist unzulässig. Die Kläger haben keinen Grund schlüssig dargelegt, der die Durchführung des Revisionsverfahrens ohne Zulassung rechtfertigen könnte. Insbesondere haben die Kläger nicht schlüssig geltend gemacht, daß sie in dem Klageverfahren gemäß § 116 Abs. 1 Nr. 3 i. V. m. § 119 Nr. 4 FGO nicht nach Vorschrift des Gesetzes vertreten gewesen seien.
1. Die Bezugnahme auf den Schriftsatz an das FG in Parallelverfahren anderer Steuerpflichtiger vermag eine ordnungsgemäße Revisionsrüge nicht zu begründen. Die Revisionsbegründung muß nämlich aus sich selbst heraus erkennen lassen, daß der Revisionskläger sich mit der angegriffenen Entscheidung auseinandersetzt. Die Bezugnahme auf Schriftsätze in anderen Verfahren wird daher von der Rechtsprechung nur ausnahmsweise dann als zulässig angesehen, wenn es sich in beiden Verfahren um die gleiche Rechtsfrage und dieselben Prozeßbeteiligten handelt (vgl. Beschluß des Bundesfinanzhofs -- BFH -- vom 30. Juni 1987 VIII R 104/83, BFH/NV 1988, 306; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 3. Aufl., § 120 Rdnr. 33 m. w. N.). Bei der Bezugnahme im Streitfall geht es nicht um dieselben Prozeßbeteiligten. Es kann nicht Sache des Revisionsgerichts sein, sich aus dem Schriftsatz in Verfahren anderer Beteiligter die Gründe herauszusuchen, die den Streitfall betreffen.
2. Der in der Revisionsschrift selbst erhobene Vorwurf, das FG habe den dem Urteil vorausgegangenen Gerichtsbescheid rechtswidrig auch ihnen -- den Klägern -- unmittelbar zugestellt, ist ungeeignet, im Streitfall die Rüge mangelnder Vertretung im Klageverfahren darzulegen. Die Zustellung des Gerichtsbescheides an die Kläger ist nur neben der Zustellung an den Prozeßbevollmächtigten erfolgt. Es ist deshalb nicht ersichtlich, inwiefern die Vertretung der Kläger durch den Prozeßbevollmächtigten aufgrund der doppelten Zustellung des Gerichtsbescheids überhaupt nur eingeschränkt worden sein könnte.
Durch die Zustellung des Gerichtsbescheids an die Kläger ist nur eine Unterrichtung der Kläger bewirkt worden, die der Prozeßbevollmächtigte aufgrund der sich nach §§ 675, 666 des Bürgerlichen Gesetzbuches aus dem Mandatsvertrag ergebenden Pflichten ohnehin vorzunehmen hatte (vgl. Beschluß des erkennenden Senats vom 22. Januar 1993 III B 82/92, BFH/NV 1994, 714). Aus der Zustellung des Gerichtsbescheids durch das Gericht unmittelbar an die Kläger mag sich zwar ein Mißtrauen des FG ergeben, daß der Prozeßbevollmächtigte seinen Pflichten aus dem Mandatsvertrag nicht nachkomme. Dadurch werden die Kläger in ihren Rechten auf eine ihre Interessen wahrende Vertretung vor Gericht aber nicht eingeschränkt, sondern eher gestärkt.
Im übrigen hat der X. Senat des BFH in einem im wesentlichen gleichgelagerten Fall, in dem der dortige Kläger ebenfalls durch den Prozeßbevollmächtigten des Streitfalles vertreten war, entschieden, daß das FG berechtigte Zweifel daran gehabt haben könne, ob die ungewöhnliche Art der Prozeßführung durch den Prozeßbevollmächtigten (mißbräuchliche Untätigkeitsklage) durch die vorgelegte, lediglich allgemein gehaltene, die Vertretung vor Gericht nur beiläufig erwähnende, undatierte Blankovollmacht legitimiert gewesen sei (Beschluß vom 7. März 1995 X R 195/93, BFH/NV 1995, 713). Auch im Streitfall hat der Prozeßbevollmächtigte nur eine derartige Vollmacht für die von ihm erhobene Untätigkeitsklage vorgelegt. Nach der Rechtsprechung des X. Senats handelt das FG ermessensgerecht, wenn es die berechtigten Zweifel am Fortbestand des Mandats dadurch zu beseitigen sucht, daß es den Gerichtsbescheid auch den Klägern unmittelbar zustellen läßt, um ihnen auf diese Weise rechtliches Gehör zu gewähren. Dieser Rechtsprechung schließt sich der erkennende Senat an.
3. Auch die von den Klägern gerügte Art und Weise der Verhandlungsführung in der mündlichen Verhandlung kann nicht begründen, daß die Kläger nicht den Vorschriften des Gesetzes gemäß vertreten gewesen seien. Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß ein Mangel der Vertretung gegeben sein kann, wenn das FG rechtswidrig ohne mündliche Verhandlung entscheidet (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., § 119 Rdnr. 19 mit ausführlichen Rechtsprechungsnachweisen). Im Streitfall hat aber eine mündliche Verhandlung stattgefunden.
Die Kürze dieser mündlichen Verhandlung ist allein noch kein Maßstab dafür, daß das Verfahren des FG einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gleichkommt. Die erforderliche Länge einer mündlichen Verhandlung hängt immer von den Umständen des Einzelfalles ab. Dabei kann auch, ins besondere bei Massenverfahren, berücksichtigt werden, ob zu gleichgelagerten Rechtsfragen schon eine gefestigte Rechtsprechung vorliegt und daher eine Konzentration weiterer mündlicher Verhandlungen auf neue Gesichtspunkte oder neue tatsächliche Umstände gegenüber dieser Rechtsprechung zweckmäßig ist. Dies gilt jedenfalls dann, wenn in diesen Massenverfahren immer wieder derselbe Prozeßbevollmächtigte auftritt. So ist das FG im Streitfall verfahren.
Der Prozeßbevollmächtigte der Kläger trägt selbst nicht vor, daß er allgemein an dem Vortrag neuer Gesichtspunkte oder neuer tatsächlicher Umstände im Vergleich zu den zahlreichen vorher verhandelten Parallelfällen gehindert gewesen sei. Ebensowenig behauptet der Prozeßbevollmächtigte, daß er überhaupt keine Ausführungen zur Sache habe machen oder keine Anträge habe stellen können. Wenn er lediglich an der Stellung einzelner bestimmter Anträge oder an einem einzelnen bestimmten Sachvortrag gehindert gewesen sein sollte, ist dies keine Frage der Entscheidung ohne mündliche Verhandlung, sondern eine Frage der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör. Bei einer solchen Rüge handelt es sich zwar um einen absoluten Revisionsgrund nach § 119 Nr. 3 FGO. Sie rechtfertigt aber nicht eine zulassungsfreie Revision nach § 116 FGO, da sie in den in dieser Bestimmung genannten Gründen für eine zulassungsfreie Revision nicht genannt ist (vgl. Gräber/Ruban, a. a. O., § 116 Rdnr. 1). Diese Rüge war vom Senat daher im Nichtzulassungsbeschwerdeverfahren zu prüfen.
Fundstellen
Haufe-Index 421195 |
BFH/NV 1996, 557 |