Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorschriftsmäßige Besetzung des Gerichts trotz Ablehnungsmöglichkeit wegen Besorgnis der Befangenheit
Leitsatz (NV)
Die bloße Möglichkeit einer erfolgreichen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit führt noch zu keiner unvorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts.
Normenkette
FGO § 51 Abs. 1, § 119 Nr. 1; ZPO § 41
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ―ein eingetragener Verein― verfolgte nach seiner im Jahr 1997 (Streitjahr) geltenden Satzung u.a. den Zweck, die Interessen der aus ihrer Heimat vertriebenen deutschen Bevölkerung Ostdeutschlands und der als Minderheit vertriebenen deutschen Bevölkerung aus anderen Ländern zu wahren. Nach § 3 Abs. 11 Satz 2 der Satzung erstrebte er auf friedlichem Wege die Wiederherstellung der deutschen Verwaltung in den Ostgebieten des deutschen Reiches in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen. Der Kläger ist der Auffassung, er sei im Streitjahr wegen Verfolgung gemeinnütziger Zwecke (Förderung der Völkerverständigung, des Heimatgedankens und der Fürsorge für Vertriebene) von der Körperschaftsteuer befreit. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) ist anderer Ansicht. Er versagte dem Kläger den begehrten Steuerfreistellungsbescheid und veranlagte ihn für das Streitjahr zur Körperschaftsteuer (Steuerfestsetzung: 0,00 DM).
Einspruch und Klage waren erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Auffassung, der Kläger diene weder nach seiner Satzung noch nach seiner tatsächlichen Geschäftsführung gemeinnützigen Zwecken, da er aggressiv Extrempositionen vertrete und damit die Völkerverständigung und die Fürsorge für die Vertriebenen behindere statt sie zu fördern. Die Revision ließ das FG nicht zu.
Mit Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vom 9. Juni 2002 hat der Kläger Revision und hilfsweise Beschwerde wegen der Nichtzulassung der Revision eingelegt. Zur Begründung der Beschwerde hat der Prozessbevollmächtigte in Schriftsätzen vom 3. und 11. Juli 2002 sinngemäß im Wesentlichen vorgetragen:
Die Revision sei wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache, zur Rechtsfortbildung und wegen Verfahrensmängeln (Verletzung rechtlichen Gehörs, Entzug des gesetzlichen Richters und irrationaler, rechts- und sachfremder Erwägungen des FG) zuzulassen.
Der Vorsitzende des FG-Senats habe in der mündlichen Verhandlung vor dem FG die Vertreter des Klägers gefragt, ob sie an Verfolgungswahn litten. Damit habe er die Würde der Klägervertreter verletzt und gegen das Gebot eines fairen Verfahrens verstoßen. Die Vertreibung der deutschen Bevölkerung aus ihrer angestammten Heimat sei ein noch fortwirkendes Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Wer sich gegen die Folgen dieser Unmenschlichkeit mit zulässigen Mitteln wehre, dürfe nicht verdächtigt werden, er leide an Verfolgungswahn. Das FG-Urteil lasse eine politische Einseitigkeit erkennen und benachteilige die vertriebenen Deutschen. Die Steuerfreistellung werde dem Kläger aus rein politischen Gründen versagt. Nach seiner Satzung verfolge er keine Ziele, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen. Das Gegenteil sei der Fall. Auf Grund der Erfahrungen der Vergangenheit sei es eine demokratische Pflicht, sich gegen Unrecht zu wehren.
Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung. Es sei klarzustellen, dass einem Verein die Gemeinnützigkeit nicht deshalb abgesprochen werden dürfe, weil er bei der satzungsmäßigen Verfolgung seiner gemeinnützigen Ziele völkerrechtskonforme Auffassungen vertrete. Es sei Unrecht und verstoße gegen anerkannte Regeln des Völkerrechts und des Grundgesetzes, während oder nach Kriegshandlungen Zivilpersonen zu enteignen und zu vertreiben. Auf dieses Unrecht hinzuweisen sei ein Gebot der Völkerverständigung. Dies habe das FG verkannt. Wenn der Kläger Ausdrücke wie "Raub, Lüge, Raubrittertum, Verrat, Völkermord, ethnische Säuberungen und Austreibungsverbrechen" verwende, um Unrecht anzuprangern, so seien dies Wertungen, die auf erweislich wahren Tatsachen beruhten, vom verfassungsrechtlich garantierten Recht auf freie Meinungsäußerung geschützt würden und entgegen der Auffassung des FG keine Beleidigungen darstellten.
Der Kläger beantragt, die Revision gegen das FG-Urteil zuzulassen.
Das FA beantragt, die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde war als unzulässig zu verwerfen.
1. Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) müssen in der Begründung einer Nichtzulassungsbeschwerde die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO dargelegt werden. Fehlt es ―wie in den Beschwerdebegründungen des Klägers― an dieser Darlegung, ist das Rechtsmittel unzulässig.
a) Die Beschwerdebegründungen vom 3. und 11. Juli 2002 lassen erkennen, dass und warum der Kläger das FG-Urteil für falsch hält. Dies allein reicht zur Darlegung der Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 FGO jedoch nicht aus. Dass der Kläger das von ihm angegriffene Urteil für falsch und eine Revision des Urteils für geboten hält, lässt noch nicht den Schluss zu, die Voraussetzungen des § 115 Abs. 2 Nr. 1 und 2 FGO seien erfüllt.
b) Zu der vom Kläger als klärungsbedürftig bezeichneten Rechtsfrage, ob einem Verein die Gemeinnützigkeit abgesprochen werden darf, weil er bei der satzungsmäßigen Verfolgung seiner gemeinnützigen Ziele völkerrechtskonforme Auffassungen vertritt, fehlt jegliche Darlegung, warum diese Frage durch den Bundesfinanzhof (BFH) geklärt werden muss. Es ist offenkundig, dass einem Verein, der nach seiner Satzung und seiner tatsächlichen Geschäftsführung der Förderung der Völkerverständigung dient, die Steuerbefreiung gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes nicht mit der Begründung versagt werden darf, er vertrete bei der Verfolgung seiner satzungsmäßigen Zwecke Rechtsauffassungen, die dem Völkerrecht entsprechen. Eine andere Frage ist es, ob der Kläger ―wie er behauptet und was das FG verneint hat― im Streitjahr tatsächlich nur völkerrechtskonforme Rechtsansichten vertrat. Diese Frage ist eine Tat- und keine Rechtsfrage. Ihre Klärung ist dem FG als Tatsacheninstanz vorbehalten. Eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache lässt sich aus ihr nicht herleiten.
c) Mit der Behauptung, an dem angegriffenen Urteil hätten Richter mitgewirkt, die der Kläger wegen Besorgnis der Befangenheit hätte ablehnen können, wird noch kein zur Zulassung der Revision führender Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO geltend gemacht. Solange von einer Ablehnungsmöglichkeit kein Gebrauch gemacht worden ist, scheidet ein Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 2 2. Alternative FGO aus. Die bloße Ablehnungsmöglichkeit führt noch zu keiner unvorschriftsmäßigen Besetzung des Gerichts und damit einem Verfahrensmangel i.S. des § 119 Nr. 1 FGO. Ein nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständiger Richter muss seine Aufgabe als gesetzlicher Richter wahrnehmen, es sei denn, er ist durch Krankheit, Urlaub oder einen anderen, dienstlichen Grund verhindert oder kraft Gesetzes, auf Grund einer Selbstablehnung oder infolge eines Ablehnungsgesuchs von der weiteren Ausübung des Richteramts in der betreffenden Sache ausgeschlossen. Daher führt die bloße Möglichkeit einer erfolgreichen Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit (§ 51 Abs. 1 FGO i.V.m. § 41 bis 49 der Zivilprozessordnung) noch zu keiner unvorschriftsmäßigen Besetzung des erkennenden Gerichts.
d) Hinsichtlich der vom Kläger behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs fehlt jegliche Darlegung, welchen Vortrag des Klägers das FG nicht zur Kenntnis genommen habe oder dass es dem Kläger vom FG verwehrt worden sei, entscheidungserhebliche Tatsachen oder Rechtsausführungen vorzutragen.
2. Ob der Kläger die Beschwerde unter einer Bedingung eingelegt hat und das Rechtsmittel auch deshalb unzulässig ist, kann ―da nicht entscheidungserheblich― ungeklärt bleiben.
Fundstellen
Haufe-Index 886063 |
BFH/NV 2003, 335 |