Entscheidungsstichwort (Thema)
Formelle Rechtskraft eines Gerichtsbescheids; Frist zur Änderung der Streitwertfestsetzung
Leitsatz (NV)
Ein Gerichtsbescheid des BFH erlangt formelle Rechtskraft erst in dem Zeitpunkt, in dem kein Beteiligter mehr einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann. In diesem Zeitpunkt beginnt die 6-Monats-Frist für die Änderung der Streitwertfestsetzung.
Normenkette
FGO § 90a; GKG § 25 Abs. 2
Tatbestand
Die Kläger und Antragsteller (Kläger) begehren gemäß § 25 Abs. 2 Satz 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) die Änderung des vom Finanzgericht (FG) festgesetzten Streitwertes.
Die Kläger waren Treugeber-Kommanditisten der Beigeladenen zu 2, einer Immobilienfonds-Gesellschaft. Ihre Klage richtete sich gegen einen geänderten Gewinnfeststellungsbescheid, mit dem eine frühere Feststellung negativer Einkünfte aus Gewerbebetrieb von 1 134 323,55 DM auf 0 DM reduziert worden war. Das FG wies die Klage ab und setzte den Streitwert im Urteil auf 283 580 DM (25 v.H. der streitigen Verluste) fest.
Der erkennende Senat gab der Revision der Kläger durch Gerichtsbescheid vom 19. August 1999 statt und hob den angefochtenen Änderungsbescheid als nichtig auf. Der Gerichtsbescheid wurde den Prozessbevollmächtigten der Kläger und dem Beklagten und Antragsgegner (Finanzamt ―FA―) jeweils laut Postzustellungsurkunde am 19. November 1999 zugestellt. Der Beigeladenen zu 1 wurde der Gerichtsbescheid durch Niederlegung vom 22. November 1999 zugestellt. Der Beigeladenen zu 2 konnte erst nach Bestellung eines Notliquidators vertreten durch diesen laut Postzustellungsurkunde am 21. Oktober 2000 zugestellt werden. Ein Antrag auf mündliche Verhandlung wurde nicht gestellt.
Die Kläger beantragten mit Schriftsatz vom 9. Dezember 1999 die (geänderte) Festsetzung des Streitwerts, sobald der Gerichtsbescheid Urteilskraft erlangt habe. Der Streitwert betrage 567 162 DM, nämlich 50 v.H. des streitbefangenen Verlustes (Hinweis auf Beschlüsse des Bundesfinanzhofs ―BFH― vom 13. März 1980 IV E 2/80, BFHE 130, 363, BStBl II 1980, 520; vom 2. Oktober 1980 IV R 235/75, BFHE 131, 288, BStBl II 1981, 38, und vom 9. März 1993 IX E 1/93, BFH/NV 1993, 681). Die Befugnis zur Änderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung ergebe sich aus § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG. Wegen der niedrigeren Streitwertfestsetzung durch das FG bestehe ein Rechtsschutzbedürfnis der Kläger.
Nach Erhalt der Mitteilung der Geschäftsstelle des erkennenden Senats von der Wirkung des Gerichtsbescheids als Urteil fragten die Kläger mit Schriftsatz vom 14. Dezember 2000 nach, ob mit einer Entscheidung über den Antrag auf Änderung der Streitwertfestsetzung gerechnet werden könne.
Die Kläger beantragen, den Streitwert unter Änderung der Festsetzung im Urteil des FG auf 567 162 DM festzusetzen.
Das FA beantragt, den Antrag abzulehnen.
Der Antrag sei unzulässig, denn er könne nach § 25 Abs. 2 Satz 3 GKG nur innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt habe, gestellt werden. Der Gerichtsbescheid sei am 19. November 1999 zugestellt und damit am 21. Dezember 1999 rechtskräftig geworden. Der Antrag sei danach nur bis zum 21. Juni 2000 zulässig gewesen. Auf die Mitteilung des BFH vom 23. November 2000 komme es nicht an.
Entscheidungsgründe
Der Streitwert wird antragsgemäß auf 567 162 DM festgesetzt.
1. Nach § 25 Abs. 2 Satz 2 GKG kann die Festsetzung des Streitwerts von dem Rechtsmittelgericht geändert werden, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache in der Rechtsmittelinstanz schwebt. Nach Satz 3 der Vorschrift ist die Änderung nur innerhalb von sechs Monaten zulässig, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat. Die Änderung kann von Amts wegen vorgenommen werden.
2. Die formalen Voraussetzungen für eine Änderung des vom FG festgesetzten Streitwertes sind erfüllt.
a) Das Klageverfahren war durch Einlegung der zugelassenen Revision in der Hauptsache an den BFH gelangt. Die Entscheidung in der Hauptsache hat am 21. November 2000 Rechtskraft erlangt. Formelle Rechtskraft erlangt ein Gerichtsbescheid des BFH erst in dem Zeitpunkt, in dem kein Beteiligter mehr einen Antrag auf mündliche Verhandlung stellen kann. Erst mit Ablauf aller Fristen zur Beantragung der mündlichen Verhandlung wirkt der Gerichtsbescheid als Urteil und ist damit für alle Beteiligten verbindlich. Diese Betrachtung liegt auch dem BFH-Beschluss vom 27. September 1996 I R 130/94 (BFH/NV 1997, 374) zu Grunde.
Von dem Eintritt der formellen Rechtskraft zu unterscheiden ist die Frage, wann ein einzelner Beteiligter selbst keinen Antrag auf mündliche Verhandlung mehr stellen kann. Dieser Zeitpunkt bestimmt sich allein nach der Zustellung an diesen Beteiligten. Trotzdem wird der Gerichtsbescheid ihm gegenüber nicht verbindlich, wenn noch ein anderer Beteiligter durch einen rechtzeitigen Antrag auf mündliche Verhandlung verhindert, dass der Gerichtsbescheid als Urteil wirkt.
b) Die formelle Rechtskraft des Gerichtsbescheids vom 19. August 1999 ist infolge der erst am 21. Oktober 2000 gelungenen Zustellung an die Beigeladene zu 2 mit Ablauf des 21. November 2000 eingetreten. Die 6-Monats-Frist des § 25 Abs. 2 Satz 3 GKG ist dementsprechend noch nicht abgelaufen.
3. Der Höhe nach ist dem Antrag auf geänderte Streitwertfestsetzung in vollem Umfang zu entsprechen. Zwar ist regelmäßig davon auszugehen, dass der Streitwert im Fall der Gewinnfeststellung 25 v.H. der streitigen Einkünfte beträgt. Davon sind jedoch nach der Rechtsprechung des BFH Ausnahmen zu machen, u.a. auch im Fall des Streits über Verluste einer sog. Abschreibungsgesellschaft. Bei einer Gesellschaft, die sich bei der Anwerbung ihrer Kommanditisten an einen Personenkreis mit hohem Einkommen gewandt hat und Verlustzuweisungen in Aussicht stellt, kann nach bisher ständiger Rechtsprechung angesichts der typischerweise hohen Steuerprogression der Gesellschafter der Streitwert ―jedenfalls für Streitjahre vor dem Jahr 2001― mit 50 v.H. der streitigen negativen Einkünfte bemessen werden (vgl. z.B. BFH-Beschlüsse in BFHE 130, 363, BStBl II 1980, 520, und vom 13. Dezember 1999 IX E 8/99, BFH/NV 2000, 848). Da die Beigeladene zu 2 ein geschlossener Immobilienfonds ist, kann davon ausgegangen werden, dass die Gesellschafter unter Hinweis auf Verlustzuweisungen geworben wurden.
Der Streitwert ist danach auf 50 v.H. der streitigen negativen Einkünfte (1 134 323,55 DM), also auf 567 162 DM zu bemessen.
Fundstellen
Haufe-Index 567576 |
BFH/NV 2001, 806 |
JurBüro 2001, 593 |