Entscheidungsstichwort (Thema)
Verspätete Begründung einer Revision
Leitsatz (NV)
1. Der Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist kann wirksam nur vor Ablauf dieser Frist gestellt werden.
2. Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Revisionsbegründungsfrist infolge einer Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten des Revisionsklägers kommt nicht in Betracht, wenn es dem Prozeßbevollmächtigten trotz der Erkrankung möglich ist, eine umfangreiche Stellungnahme in einem Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften auszuarbeiten.
Normenkette
FGO §§ 56, 120 Abs. 1 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Senat hatte die Revision gegen das von dem Kläger und Revisionskläger (Kläger) angegriffene Urteil des Finanzgerichts (FG) durch den am 2. April 1996 zugestellten Beschluß zugelassen. Der Kläger legte am 12. April 1996 Revision ohne Begründung ein. Am 7. Juni 1996 ging bei dem Bundes finanzhof (BFH) ein Antrag auf Verlängerung der Frist für die Begründung der Revision ein. Die Geschäftsstelle des Senats wies auf den bereits eingetretenen Ablauf der Revisionsbegründungsfrist und auf die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 der Finanzgerichtsordnung -- FGO --) sowie auf den Beschluß des BFH vom 1. Dezember 1986 GrS 1/85 (BFHE 148, 414, BStBl II 1987, 264) hin.
Mit einem am 25. Juni 1996 bei dem BFH eingegangenen Schreiben beantragte der Prozeßbevollmächtigte des Klägers "für den am 7. 6. 1996 eingegangenen Fristverlängerungsantrag ... entsprechend § 56 Abs. 2 FGO ... Wiedereinsetzung in den vorigen Stand". Zur Begründung führt er u. a. aus, er, der Prozeßbevollmächtigte, sei vom 13. Februar 1996 bis 21. März 1996 stationär in einer urologischen Klinik gepflegt worden. Am 24. Mai 1996 sei er erneut wegen Nierenbeschwerden behandelt worden, habe eine Einweisung in eine urologische Klinik aber abgelehnt und habe sich schonen müssen. Während dieser Zeit habe er wegen weiterer Beschwerden (u. a. Lendenwirbelsäule, Hüftmuskulatur) ärztliche Hilfe in Anspruch genommen.
Am 9. Mai 1996 sei er vom Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH) in dem Verfahren ... aufgefordert worden, innerhalb von zwei Monaten Stellung zu nehmen. Nach mehrwöchiger Arbeit neben den gesundheitlichen Beschwerden habe er eine Erwiderung von 47 Seiten Umfang "vor einigen Tagen" fertiggestellt. Diese Begründung sei auch für die Revisionsbegründung im vorliegenden Rechtsstreit (V R 29/96) maßgebend. Er habe die Revisionsbegründung für die vorliegende Sache anschließend gefertigt. Dem bezeichneten Schriftsatz hat der Kläger die Revisionsbegründung beigefügt.
Er beantragt, das Revisionsverfahren bis zur Entscheidung des EuGH in dem Verfahren ... auszusetzen, die Vorentscheidung nach Maßgabe der Entscheidung des EuGH aufzuheben und die Sache an das FG zur erneuten Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt -- FA --) ist der Revision entgegengetreten.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist als unzulässig zu verwerfen (§ 124 Abs. 1 FGO). Sie ist verspätet begründet worden. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1, 2 FGO) kommt nicht in Betracht.
Die Revision ist rechtzeitig innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Beschlusses über die Zulassung der Revision am 2. April 1996 eingelegt (§ 120 Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 115 Abs. 5 FGO), aber nicht innerhalb der gesetzlich vorgeschriebenen Frist von einem weiteren Monat begründet worden (§ 120 Abs. 1 Satz 1 FGO). Die Revisionsbegründungsfrist begann am 2. Mai 1996 und lief am 3. Juni 1996 ab (§ 54 Abs. 1, 2 FGO i. V. m. § 222 Abs. 1, 2 der Zivilprozeßordnung und § 188 Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches).
Auf den nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist am 7. Juni 1996 eingegangenen Antrag auf Verlängerung der Revisionsbegründungsfrist ist diese nicht verlängert worden (vgl. dazu BFH-Beschluß vom 20. Oktober 1982 I R 61/82, BFHE 136, 575, BStBl II 1983, 134), weil dies nur auf einen vor Fristablauf gestellten Antrag hin möglich ist (§ 120 Abs. 1 Satz 2 FGO).
a) Wird die Begründung erst nach Ablauf der Revisionsbegründungsfrist abgegeben, ist die Revision als unzulässig (§ 124 FGO) und durch Beschluß zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 FGO). Die Fristversäumnis hat aber keine Wirkung, wenn dem Revisionsführer gemäß § 56 FGO Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, daß der Prozeßbeteiligte ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist verhindert war (§ 56 Abs. 1 FGO). Sie verlangt weiter, daß der Beteiligte innerhalb von zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses einen Wiedereinsetzungsantrag stellt, die Tatsachen zur Begründung des Antrags glaubhaft macht und daß er die versäumte Rechtshandlung nachholt (§ 56 Abs. 2 FGO).
b) Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung wegen Versäumung der Frist für die Einreichung der Revisionsbegründung sind nicht erfüllt, weil der Kläger nicht glaubhaft gemacht hat, daß er ohne Verschulden verhindert war, die gesetzliche Frist einzuhalten. Der Kläger muß sich ein Verschulden seines Prozeßbevollmächtigten zurechnen lassen (vgl. dazu Tipke/Kruse, Abgabenordnung-Finanzgerichtsordnung, 16. Aufl., § 56 FGO Tz. 4 f., m. w. N.). Dieser war zwar erkrankt, aber nach dem eigenen Vortrag dadurch nicht verhindert, die Revisionsbegründung rechtzeitig anzufertigen. Eine Erkrankung des Prozeßbevollmächtigten wird nur dann als schuldlose Verhinderung des Revisionsführers gewertet, wenn sie plötzlich und unvorhersehbar auftritt und so schwer ist, daß es für den Prozeßbevollmächtigten unzumutbar ist, die Frist einzuhalten oder rechtzeitig einen Vertreter zu bestellen (vgl. dazu BFH-Beschlüsse vom 11. Oktober 1995 VIII B 106/95, BFH/NV 1996, 332; vom 22. Juli 1991 III B 22/91, BFH/NV 1992, 257). Diese Voraussetzungen liegen nach dem eigenen Vorbringen des Klägers nicht vor: Sein Prozeßbevollmächtigter hat während des Laufs der Revisionsbegründungsfrist eine umfangreiche Stellungnahme für den EuGH angefertigt und daraus, wenn auch verspätet, die Revisionsbegründung abgeleitet. Da der Prozeßbevollmächtigte des Klägers dazu in der Lage war, hätte er bei anderer Organisation seiner Arbeit die Revisionsbegründung im vorliegenden Rechtsstreit rechtzeitig anfertigen können. Aus der lediglich zur Glaubhaftmachung vorgelegten Verordnung von Krankenhausbehandlung vom 24. Mai 1996 ergibt sich nicht, daß der Prozeßbevollmächtigte nicht in der Lage war, die Revisionbegründung rechtzeitig bis zum 3. Juni 1996 anzubringen.
Fundstellen