Entscheidungsstichwort (Thema)
Rechtliches Gehör
Leitsatz (NV)
1. Das FG verletzt den Anspruch auf Gewährung von rechtlichem Gehör, wenn es sein Urteil auf einen nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, mit dem auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verfahrensverlauf nicht zu rechnen brauchte.
2. Der Anspruch auf rechtliches Gehör wegen Nichtgewährung von Akteneinsicht ist nur dann verletzt, wenn dem Beteiligten die Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde.
3. Ein Rechtsanspruch auf Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung besteht dann, wenn das Absehen von der Wiedereröffnung mit einer Verletzung wesentlicher Prozessgrundsätze, insbesondere des Untersuchungsgrundsatzes verbunden wäre.
Normenkette
AO 1977 § 378 Abs. 1; EStG § 15 Abs. 1; GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 78 Abs. 1, § 93 Abs. 3 S. 2, § 155; ZPO § 139 Abs. 2
Verfahrensgang
FG Düsseldorf (Urteil vom 09.09.2004; Aktenzeichen 15 K 2963/02 E) |
Gründe
Die Beschwerde ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung der Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) genügt nicht den Anforderungen des § 116 Abs. 3 Satz 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) an die Darlegung eines Zulassungsgrunds i.S. von § 115 Abs. 2 FGO.
1. Die Klägerin hat nicht in ausreichender Weise dargetan, dass die Revision gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO zuzulassen ist, weil die Fortbildung des Rechts eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) erfordern würde. Wird dieser Zulassungsgrund geltend gemacht, ist ausführlich darzustellen, aus welchen Gründen eine entscheidungserhebliche Streitfrage im allgemeinen Interesse der Klärung bedarf. Hierbei ist insbesondere darauf einzugehen, aus welchen Gründen die aufgeworfene Rechtsfrage zweifelhaft und strittig ist. Hat der BFH über die Rechtsfrage bereits entschieden, dann muss begründet werden, welche neuen und gewichtigen, vom BFH noch nicht geprüften Gegenargumente vorgebracht worden sind (Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 116 Rz. 38, i.V.m. Rz. 31 ff.).
a) Die Klägerin hat lediglich vorgetragen, es sei im Interesse der Fortbildung zu klären, ob einem Steuerpflichtigen im Rahmen eines Grundstückshandels der Ertrag aus dem An- und Verkauf von Grundstücken auch dann gemäß § 15 Abs. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zuzurechnen ist, wenn diese Geschäfte zwar in seinem Namen, aber --ohne dass dies nach außen offen gelegt wird-- auf Rechnung eines Dritten getätigt werden (sog. Strohmanngeschäft).
Dieser Vortrag genügt nicht den Anforderungen des § 115 Abs. 2 Nr. 2, 1. Alternative FGO, denn die Klägerin zeigt nicht auf, weshalb diese Frage im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig ist. Aus Gründen der Klarstellung weist der Senat darauf hin, dass Einkünfte aus Gewerbebetrieb gemäß § 15 EStG im Falle eines Strohmanngeschäfts demjenigen zuzurechnen sind, der den Tatbestand der Einkunftserzielung tatsächlich verwirklicht (Schmidt/Weber-Grellet, Einkommensteuergesetz, 24. Aufl., § 15 Rz. 138, m.w.N.). Danach wird derjenige, der im eigenen Namen, aber für Rechnung eines anderen ein Einzelunternehmen führt, sofern das Treuhandverhältnis den Geschäftspartnern gegenüber nicht offen gelegt wird, regelmäßig allein schon wegen seiner unbeschränkten Haftung zum Unternehmer (BFH-Urteil vom 4. November 2004 III R 21/02, BFHE 207, 321, BStBl II 2005, 168).
b) Auch der weitere Vortrag, es sei klärungsbedürftig, ob eine Steuerpflichtige dann i.S. von § 378 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) leichtfertig handle, wenn sie die von ihrem sachkundigen Ehemann vorbereitete gemeinsame Steuererklärung ungeprüft unterschreibe, genügt den Darlegungsanforderungen nicht. Die Klägerin setzt sich insbesondere nicht damit auseinander, dass nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung Leichtfertigkeit dann vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger grob fahrlässig handelt, wobei es allerdings im Gegensatz zum bürgerlichen Recht auf die persönlichen Fähigkeiten ankommt (BFH-Beschluss vom 25. Juni 1997 VIII B 35/96, BFH/NV 1998, 8). Von den in diesem Beschluss dargelegten Grundsätzen ist auch das Finanzgericht (FG) ausgegangen. Nicht entscheidend ist, ob das FG das Verhalten der Klägerin unter Berücksichtigung aller im Streitfall gegebenen Umstände zutreffend gewürdigt hat, denn die Rechtssache muss, soll die Beschwerde Erfolg haben, über den konkreten Einzelfall hinaus bedeutsam sein.
c) Sollte der Hinweis der Klägerin auf das BFH-Urteil vom 16. April 2002 IX R 40/00 (BFHE 198, 66, BStBl II 2002, 501) in dem Sinne zu verstehen sein, das angefochtene Urteil weiche von dieser Entscheidung i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative FGO ab, genügt auch dieser Vortrag nicht den Darlegungsanforderungen. Die Beschwerdebegründung berücksichtigt insbesondere nicht, dass eine Divergenz nur dann vorliegt, wenn das FG bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage eine andere Rechtsauffassung vertritt als der BFH. Hieran fehlt es im Streitfall schon deshalb, weil das FG davon ausgegangen ist, dass die Klägerin unrichtige Angaben über ihre eigenen Einkünfte gemacht hat. Demgegenüber betraf das angesprochene BFH-Urteil die Frage, ob ein Ehegatte Mittäter oder Teilnehmer einer Steuerhinterziehung ist, wenn er die gemeinsame Steuererklärung lediglich unterschreibt, in welcher der andere Ehegatte unrichtige oder unvollständige Angaben über eigene Einkünfte macht.
d) Sofern die Klägerin eine Abweichung der angefochtenen Vorentscheidung von dem Beschluss des Bayerischen Obersten Landesgerichts vom 11. Mai 1993 3 ObOWi 16/93 (Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht --wistra-- 1993, 236) geltend machen will, fehlt es für eine schlüssige Divergenzrüge bereits an der gebotenen Herausarbeitung und Gegenüberstellung abstrakter und tragender Rechtssätze aus dem angefochtenen Urteil sowie aus der zitierten Divergenzentscheidung (zu diesem Erfordernis vgl. z.B. Gräber/Ruban, a.a.O., § 116 Rz. 42, m.w.N.).
2. Die Klägerin hat auch nicht schlüssig einen Verfahrensmangel i.S. von § 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO dargelegt.
a) Ein Verstoß gegen das Gebot der Gewährung von rechtlichem Gehör kommt gemäß § 155 FGO i.V.m. § 139 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) in Betracht, wenn das FG einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit der auch ein kundiger Beteiligter nach dem bisherigen Verlauf nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss vom 19. Juli 1996 VIII B 37/95, BFH/NV 1997, 124).
Die schlüssige Darlegung eines solchen Verfahrensmangels setzt daher Darlegungen dazu voraus, dass der Gesichtspunkt, auf den das FG sein Urteil gestützt hat, im bisherigen Verlauf des außergerichtlichen und des gerichtlichen Verfahrens überhaupt nicht angesprochen worden ist.
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerdebegründung nicht. Die Klägerin trägt lediglich vor, erst aus den Urteilsgründen sei für sie ersichtlich gewesen, dass es nach Auffassung des FG für die Frage, in welcher Höhe ein Gewinn aus einem gewerblichen Grundstückshandel angefallen ist, nicht auf eine am 7. Mai 1999 getroffene tatsächliche Verständigung ankommt, welche die Klägerin für unwirksam hält. Die Klägerin äußert sich jedoch nicht dazu, ob dieser Gesichtspunkt zu einem früheren Zeitpunkt angesprochen worden ist. Ausweislich der Niederschrift über den Erörterungstermin vom 17. Juni 2004 hat der Berichterstatter die Beteiligten darauf hingewiesen, dass er (zwar) die getroffene tatsächliche Verständigung nicht ohne weiteres für unwirksam halte. Entscheidend sei jedoch, dass die Klägerin gegen die Gewinnermittlung keine substantiierten Einwendungen erhoben habe, die das Gericht zu einer eigenen Überprüfung veranlassen könnten und müssten. Angesichts dieses Hinweises mussten die Beteiligten daher damit rechnen, dass es auf die Wirksamkeit der tatsächlichen Verständigung nach Auffassung des FG nicht ankommt.
b) Die Klägerin hat auch nicht schlüssig die Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen Nichtgewährung von Akteneinsicht (§ 78 Abs. 1 FGO) gerügt. Hierfür genügt der bloße Vortrag nicht, das FG habe auf den Antrag auf Akteneinsicht nicht reagiert. Ein Verstoß gegen § 78 Abs. 1 FGO liegt nur vor, wenn der Klägerin die Akteneinsicht ausdrücklich verwehrt wurde. § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO geht nämlich davon aus, dass die Beteiligten jederzeit bei der Geschäftsstelle des Gerichts in die Gerichtsakten und in die dem Gericht vorgelegten Akten einsehen können (BFH-Beschluss vom 6. Mai 1998 II B 109/97, BFH/NV 1998, 1498).
c) Die Klägerin hat auch nicht schlüssig gerügt, dass das FG es zu Unrecht abgelehnt hat, die geschlossene mündliche Verhandlung wieder zu eröffnen. Gemäß § 93 Abs. 3 Satz 2 FGO kann das Gericht die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beschließen. Eine solche Entscheidung steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. In bestimmten Fällen besteht jedoch ein Rechtsanspruch auf Wiedereröffnung (Gräber/Koch, a.a.O., § 93 Rz. 10, m.w.N.).
Die Klägerin hat in ihrer Beschwerdebegründung keinen Sachverhalt dargelegt, bei dessen Vorliegen die Wiedereröffnung geboten war. Ein solcher Sachverhalt kann dann gegeben sein, wenn das Absehen von der Wiedereröffnung mit einer Verletzung wesentlicher Prozessgrundsätze, insbesondere des Untersuchungsgrundsatzes verbunden wäre.
Hiervon ist vorliegend nicht auszugehen. Die Klägerin hat mit Schriftsatz vom 17. September 2004 die Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung beantragt. Diesen Antrag hat sie darauf gestützt, der Vertreter des Beklagten und Beschwerdegegners (Finanzamt --FA--), habe in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, den Streitfall betreffende Akten seien innerhalb der Finanzverwaltung verloren gegangen. Dies verleihe ihrem Vorbringen, wonach die tatsächliche Verständigung unwirksam sei, zusätzliches Gewicht. Der Sachverhalt bedürfe deshalb weiterer Aufklärung. Aufgrund dieses Vorbringens war eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung nicht geboten. Auf die Wirksamkeit der tatsächlichen Verständigung kam es nach der Rechtsauffassung des FG nicht an. Dass der gewerbliche Grundstückshandel der Klägerin zuzurechnen war, hat das FG nicht aufgrund der tatsächlichen Verständigung, sondern deshalb angenommen, weil die Klägerin im Außenverhältnis aus den abgeschlossenen Grundstücksgeschäften berechtigt und verpflichtet worden ist. Auch soweit das FG den vom FA angesetzten Gewinn nicht beanstandet hat, hat es nicht auf den Gesichtspunkt der Bindung an die getroffene tatsächliche Verständigung abgestellt. Es hat lediglich die in geschätzter Höhe angesetzten Betriebsausgaben für zutreffend erachtet, zumal die Klägerin gegen diese Schätzung keine substantiierten Einwendungen erhoben hat.
Fundstellen
Haufe-Index 1396089 |
NWB direkt 2005, 4 |