Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung bei unterbliebener Eintragung der Begründungsfrist in Fristenkontrollbuch
Leitsatz (NV)
1. Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass eine konkrete Einzelanweisung von seinem sonst zuverlässigen Personal auch befolgt wird, ist er ohne besonderen Anlass nicht zu auf die Einzelweisung bezogenen Überwachungsmaßnahmen verpflichtet.
2. Will der Prozessbevollmächtigte sich darauf beruhen, dass er ein trotz der Einzelweisung vorgekommenes Büroversehen nicht zu vertreten hat, so muss er neben dem Inhalt und den Umständen der Einzelweisung auch darlegen und glaubhaft machen, dass der konkret angewiesene Mitarbeiter bis dahin zuverlässig im Bereich der Fristenüberwachung gearbeitet hat. Dazu ist darzulegen, worauf die besondere Erfahrung des mit der Fristenüberwachung betrauten Mitarbeiters beruht und wie dieser angewiesen und überwacht worden ist.
Normenkette
FGO § 116 Abs. 3 S. 1, § 56 Abs. 1, § 155; ZPO § 85 Abs. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
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I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist Halter eines Wohnmobils, für welches mit Bescheid vom 30. März 2007 rückwirkend Kraftfahrzeugsteuer nach Maßgabe des Gewichts und der Schadstoffemission festgesetzt wurde. Einspruch und Klage gegen den Kraftfahrzeugsteuerbescheid hatten keinen Erfolg. Mit Schriftsatz vom 22. Juli 2009 legte der Kläger Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ein, ohne die Beschwerde zu begründen. Mit Schreiben des Vorsitzenden vom 7. September 2009 wurde er in Person seines Prozessbevollmächtigten darauf hingewiesen, dass die nach § 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgesehene Frist zur Begründung der Beschwerde am 22. August 2009 abgelaufen sei und die Möglichkeit bestehe, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu beantragen (§ 56 FGO).
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Mit Schriftsatz vom 11. September 2009 hat der Kläger Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Begründungsfrist beantragt. Seinen Wiedereinsetzungsantrag begründet er damit, dass sein Prozessbevollmächtigter ohne eigenes Verschulden an der Einhaltung der Begründungsfrist gehindert gewesen sei. Dem Prozessbevollmächtigten sei das angefochtene Urteil des Finanzgerichts (FG) am 22. Juni 2009 vorgelegt worden, wobei ihm aufgefallen sei, dass weder die Frist zur Einlegung noch diejenige zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde erfasst gewesen sei. Daraufhin habe er auf dem Anschreiben des FG zunächst den Vermerk "Frist 22/07/09, eintragen + Rücksprache" angebracht und dann seiner am 22. Juni 2009 für den Posteingang und die Fristenkontrolle zuständigen Mitarbeiterin A im Einzelnen erläutert, dass sowohl die Frist zur Einlegung als auch diejenige zur Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde einzutragen sei. Da A seit Februar 2007 als ausgebildete Rechtsanwaltsgehilfin in der Kanzlei beschäftigt gewesen sei und es bis dahin keinen Anlass für Beanstandungen gegeben habe, habe es keinen Grund gegeben, nach Hinweis, Gespräch und Belehrung an der Eintragung beider Fristen zu zweifeln. Dennoch habe A nur die Frist zur Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde eingetragen.
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Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) tritt dem Antrag des Klägers entgegen. Er ist der Ansicht, dass die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand im Streitfall nicht erfüllt sind.
Entscheidungsgründe
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II. Die Beschwerde ist unzulässig, da der Kläger sie nicht innerhalb der in § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO vorgesehenen Frist begründet hat.
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1. Die Vorentscheidung wurde am 22. Juni 2009 zugestellt; die Frist zur Begründung der Beschwerde endete danach am 22. August 2008. Innerhalb der Frist wurde die Beschwerde nicht begründet.
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2. Die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 56 Abs. 1 FGO) wegen Versäumung der Begründungsfrist kann dem Kläger nicht gewährt werden, da sein Vorbringen nicht geeignet ist, ein Verschulden des Prozessbevollmächtigten an der Fristversäumung, das sich der Kläger zurechnen lassen muss (§ 56 Abs. 1, § 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 der Zivilprozessordnung), auszuschließen. Aus der Begründung des Wiedereinsetzungsantrags und der vorgelegten eidesstattlichen Versicherung geht nicht hervor, dass in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten durch organisatorische Maßnahmen eine wirksame Posteingangs- und Fristenkontrolle generell sichergestellt war.
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a) Es ist in der Rechtsprechung zwar anerkannt, dass ein Rechtsanwalt das Versehen bzw. die Versäumnis einer zuverlässigen Kanzleiangestellten, die er durch eine konkrete Einzelanweisung etwa mit der Absendung eines fristwahrenden Schriftsatzes betraut, nicht als eigenes Verschulden zu vertreten hat, wenn diese über den drohenden Fristablauf und die Notwendigkeit der Fristwahrung unterrichtet worden ist. Da ein Rechtsanwalt grundsätzlich darauf vertrauen kann, dass eine konkrete Einzelanweisung von seinem sonst zuverlässigen Personal auch befolgt wird, ist er ohne besonderen Anlass nicht zu auf die Einzelweisung bezogenen Überwachungsmaßnahmen verpflichtet (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. Juli 1992 V R 62/91, BFH/NV 1993, 251; BFH-Urteil vom 26. Februar 2004 XI R 62/03, BFHE 205, 9, BStBl II 2004, 564). Will der Prozessbevollmächtigte sich in diesem Zusammenhang darauf berufen, dass er das trotz der Einzelweisung vorgekommene Büroversehen nicht zu vertreten hat, so muss er allerdings neben dem Inhalt und den Umständen der Einzelweisung auch darlegen und glaubhaft machen, dass der konkret angewiesene Mitarbeiter bis dahin zuverlässig im Bereich der Fristenüberwachung gearbeitet hat. Dazu ist darzulegen, worauf die besondere Erfahrung des mit der Fristenüberwachung betrauten Mitarbeiters beruht und wie dieser angewiesen und überwacht worden ist (vgl. BFH-Beschluss vom 11. Februar 2003 VII B 118/02, BFH/NV 2003, 801; Gräber/Stapperfend, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 56 Rz 37, m.w.N.). Bereits an einem solchen Vortrag fehlt es im Streitfall, weil der Kläger lediglich angegeben hat, A sei als ausgebildete Rechtsanwaltsfachangestellte seit Februar 2007, d.h. knapp ein halbes Jahr, in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten tätig. Ausführungen, welche die Art und den Umfang der Tätigkeit der A im Bereich der Fristenkontrolle schildern würden, fehlen hingegen; stattdessen führt der Kläger lediglich aus, es habe bezüglich A bislang keinen Anlass für Beanstandungen hinsichtlich der Bearbeitung des Posteingangs und der Eintragung von Fristen gegeben.
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b) Hinzu kommt, dass nach dem Vortrag des Klägers auch nicht auszuschließen ist, dass das vorgekommene Büroversehen auf einem generellen Organisationsfehler in der Kanzlei des Bevollmächtigten des Klägers beruht. Der Kläger hat insoweit ausgeführt, dass sein Bevollmächtigter am 22. Juli 2009 fristgerecht die hiesige Nichtzulassungsbeschwerde erhoben hat. Weiter hat er angegeben, die Beschwerde habe eine weitere Mitarbeiterin des Bevollmächtigten nach dessen Weisungen bearbeitet. Dabei habe der Bevollmächtigte keine weitere inhaltliche Prüfung vorgenommen, da die besagte Mitarbeiterin nicht zum ersten Mal ein entsprechendes Rechtsmittel gefertigt habe, da sie die Vorgehensweise aus der Einlegung und Begründung sämtlicher Rechtsmittel kenne. Ganz abgesehen davon, dass auch insoweit eine substantiierte Schilderung der besonderen Erfahrungen der besagten Mitarbeiterin fehlt, hat der Kläger nichts dazu ausgeführt, warum trotz der besonderen Erfahrungen der weiteren Mitarbeiterin dieser nach der fristgerechten Einlegung der Beschwerde nicht aufgefallen war, dass keine Begründungsfrist eingetragen worden war. Gerade wenn ein Mitarbeiter --wie der Kläger ausführt-- besondere Erfahrungen im Bereich der Einlegung und Begründung von Rechtsmitteln hat, so liegt eine entsprechende Fristen(nach)kontrolle besonders nahe und wäre es Aufgabe eines entsprechenden Mitarbeiters, die Fristeinhaltung zu überwachen.
Fundstellen
Haufe-Index 2276847 |
BFH/NV 2010, 457 |