Entscheidungsstichwort (Thema)
Anforderungen an eine zum Vorsteuerabzug berechtigende Rechnung
Leitsatz (NV)
1. Der Abzug der in einer Rechnung gesondert ausgewiesenen Umsatzsteuer als Vorsteuer ist nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz des leistenden Unternehmers tatsächlich bestanden hat.
2. Die Angabe einer Anschrift, an der keinerlei geschäftliche Aktivitäten stattfinden, reicht hierfür nicht aus.
Normenkette
FGO § 142 Abs. 1; ZPO § 114; UStG §§ 14-15; EWGRL 388/77 Art. 22 Abs. 3
Tatbestand
I. Streitig im Hauptsacheverfahren V R 19/07 ist der Vorsteuerabzug der Klägerin, Revisionsklägerin und Antragstellerin (Klägerin) aus Rechnungen der A-GmbH im Streitjahr 2000.
Die Klägerin war als Einzelunternehmerin tätig. Unternehmensgegenstand war der An- und Verkauf von Fernsehern, CD-Spielern und ähnlichen Waren. Ab April 2000 handelte sie daneben im großen Umfang mit Mobiltelefonen. Hierdurch steigerte sich der Umsatz der Klägerin von 900 000 DM im April 2000 auf 8,3 Mio. DM im Juli 2000. Da die Klägerin in der Regel an Abnehmer in der Europäischen Gemeinschaft ohne Umsatzsteuerausweis lieferte, ergaben sich hohe Vorsteuerüberhänge.
Die Klägerin hat im Streitjahr 2000 Mobiltelefone in großer Stückzahl (Rechnungsbeträge zwischen 300 000 DM und 3 Mio. DM) von der A-GmbH erworben. Die A-GmbH wurde als B Textilhandel GmbH im Jahr 1999 gegründet und im Oktober 1999 unter Änderung des Geschäftszwecks von Textilhandel auf Handel mit Elektrogeräten umbenannt. Geschäftsführer der A-GmbH war C mit Wohnsitz in Italien. Faktisch führte aber D die Geschäfte; C war nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) nur ein "Strohmann".
D ist mit Urteil des Landgerichts … wegen Umsatzsteuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und vier Monaten verurteilt worden.
Die Rechnungen der A-GmbH, aus denen der Vorsteuerabzug streitig ist, weisen als Sitz des leistenden Unternehmens die …Straße in … (Deutschland; im Folgenden Rechnungsadresse) aus. An dieser Adresse betrieb das Unternehmen X ein Büroserviceunternehmen. Es stellte Dritten keine Büroräume zur Verfügung. Der Schriftverkehr wurde an das weitere Büroservice-Unternehmen Y in Italien und dort an Z weitergeleitet. Y war ein Büroserviceunternehmen von D. Nach ihren eigenen Angaben hatte die Klägerin keinen Kontakt zu C, sondern lediglich zu Z, die sie nur als "E" kannte, sowie zu einem "F".
Die von der A-GmbH bezogene Ware befand sich in Speditionslagern der G-GmbH mit Sitz in Deutschland sowie der Spedition H in den Niederlanden. Die Klägerin zahlte die Ware anfangs per Blitzüberweisung auf ein Konto der A-GmbH bei einer Bank in Deutschland und danach auf ein Konto bei der J-AG in der Schweiz.
Die Klägerin legte einen Handelsregisterauszug der A-GmbH sowie Kopien des Ausweises und der Kreditkarte von C vor; ferner hat die Klägerin die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der A-GmbH durch ein niederländisches Unternehmen bestätigen lassen.
Die Klägerin veräußerte die Mobiltelefone überwiegend an das Unternehmen J in England, teilweise auch an andere Unternehmen. Diesen Lieferungen lagen Nettoeingangsrechnungen der A-GmbH zugrunde, für die Lieferungen an J in Höhe von … DM sowie für die Lieferungen an andere Unternehmen in Höhe von … DM. Inhaber der J war der Geschäftsführer der A-GmbH C. Die Klägerin war bei Aufnahme der Geschäftsbeziehung der Auffassung, Inhaber der J sei SC. Die Warenbewegung erfolgte direkt aus den Warenlagern der Speditionen. C war ausweislich der Lieferscheine der Klägerin auch Fahrer bei der G-GmbH.
In ihren Umsatzsteuervoranmeldungen für die Monate April bis August 2000 machte die Klägerin den Vorsteuerabzug aus Rechnungen der A-GmbH in Höhe von … DM geltend. Die Anmeldungen der Monate April bis Juni 2000 führten zu einer Festsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung.
Im Anschluss an eine steuerliche Außenprüfung versagte der Beklagte, Revisionsbeklagte und Antragsgegner (das Finanzamt --FA--) den Vorsteuerabzug mit für den Zeitraum von April bis Juni 2000 geänderten sowie für Juli und August 2000 erstmaligen Bescheiden.
Das FG wies die Klage mit dem in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2007, 627 veröffentlichten Urteil ab. Im Klageverfahren erließ das FA den Umsatzsteuerbescheid 2000 vom 14. November 2003, durch den die streitigen Vorsteuerbeträge ebenfalls nicht berücksichtigt worden sind.
Entscheidungsgründe
II. Der Antrag auf Prozesskostenhilfe (PKH) hat keinen Erfolg.
Gemäß § 142 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 114 der Zivilprozessordnung (ZPO) setzt die Gewährung von PKH an einen Beteiligten, der nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann u.a. voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Hinreichende Erfolgsaussicht ist gegeben, wenn der Rechtsstandpunkt des Antragstellers aufgrund seiner Sachdarstellung und der vorhandenen Unterlagen zumindest vertretbar ist und bei summarischer Prüfung für den Eintritt des angestrebten Erfolgs eine gewisse Wahrscheinlichkeit besteht (Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- 30. Juli 2004 XI S 20/03 (PKH), BFH/NV 2005, 216; vom 17. Juli 1998 VIII B 114/97, BFH/NV 1999, 68).
Hieran fehlt es, weil die Voraussetzungen für den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 14 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG 1999) hinsichtlich der aus den streitigen Rechnungen der A-GmbH geltend gemachten Vorsteuerbeträge bei summarischer Prüfung nicht vorlagen. Nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Satz 1 UStG 1999 kann der Unternehmer die in Rechnungen i.S. des § 14 UStG 1999 gesondert ausgewiesene Steuer für Lieferungen und sonstige Leistungen, die von anderen Unternehmern für sein Unternehmen ausgeführt worden sind, als Vorsteuerbeträge abziehen.
1. Die streitigen Rechnungen der A-GmbH erfüllen nicht die an eine Rechnung i.S. des § 15 Abs. 1 UStG 1999 gestellten Anforderungen.
a) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist der Abzug der in einer Rechnung ausgewiesenen Umsatzsteuer nur möglich, wenn der in der Rechnung angegebene Sitz einer GmbH bei Ausführung der Leistung und bei Rechnungstellung tatsächlich bestanden hat (BFH-Urteile vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3., m.w.N.; vom 27. Juni 1996 V R 51/93, BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620, unter II.1.; BFH-Beschluss vom 31. Januar 2002 V B 108/01, BFHE 198, 208, BStBl II 2004, 622).
b) Das Erfordernis, dass für den Vorsteuerabzug die Rechnung die vollständige Anschrift des leistenden Unternehmers enthalten muss, entspricht den gemeinschaftsrechtlichen Anforderungen, wie die Regelungen in Art. 22 Abs. 3 Buchst. b 5. Spiegelstrich der Sechsten Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern 77/388/EWG in der Fassung der Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungstellung (sog. Rechnungsrichtlinie) und Art. 226 Nr. 5 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem bestätigen. Danach müssen die Rechnungen "für Mehrwertsteuerzwecke" --d.h., für die Berechtigung zum Vorsteuerabzug-- den vollständigen Namen und die vollständige Adresse des Steuerpflichtigen und seines Kunden enthalten.
c) Nach der revisionsrechtlich nicht zu beanstandenden Würdigung des FG (vgl. BFH-Beschluss vom 4. Februar 2003 V B 81/02, BFH/NV 2003, 670), gegen deren Zustandekommen die Klägerin keine Verfahrensrügen innerhalb der Revisionsbegründungsfrist erhoben hat, bestand der in der Rechnung angegebene Sitz der A-GmbH aber nicht. Die Angabe einer Anschrift, an der keinerlei geschäftliche Aktivitäten (z.B. Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktion, Behördenkontakt und Zahlungsverkehr) stattfinden, reicht hierfür nicht aus (vgl. BFH-Urteile in BFHE 181, 197, BStBl II 1996, 620; vom 19. April 2007 V R 48/04, BFHE 217, 194, BFH/NV 2007, 2035, unter II.C.1.a; in BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695, unter II.3.c). Das FG hat den Sachverhalt dahin gehend gewürdigt, dass die A-GmbH im maßgeblichen Zeitpunkt der Ausführung der Leistung und Rechnungstellung an dem in den Rechnungen angegebenen Sitz keinerlei Geschäftsleitungs- und Arbeitgeberfunktion ausgeübt hat. Das FG hat festgestellt, dass das Büroserviceunternehmen X ausschließlich dazu eingeschaltet gewesen ist, den gesamten für die A-GmbH eingehenden Schriftverkehr an ein weiteres Büroserviceunternehmen weiterzuleiten. Dies habe dem Zweck gedient, den tatsächlich Handelnden, D, und den tatsächlichen Sitz seines Unternehmens in Italien zu verschleiern. Die Bearbeitung von Geschäftsunterlagen sei an der Rechnungsadresse gar nicht möglich gewesen, weil das Unternehmen X Dritten keine Büroräume zur Verfügung gestellt habe. Geschäftsunterlagen seien daher dort zu keiner Zeit aufbewahrt worden. Hieraus ergebe sich auch, dass die A-GmbH an der Rechnungsadresse keine Arbeitgeberfunktionen habe ausüben können. Der einzige Arbeitnehmer dieses Unternehmens, C, sei nur zum Schein eingesetzt gewesen, um den faktischen Geschäftsführer D zu verschleiern. Die Geschäfte seien aus Italien und nicht von Deutschland aus abgewickelt worden. Dem stehe nicht entgegen, dass die A-GmbH einen Steuerberater beauftragt habe, zeitweise ein Konto bei einer Bank in Deutschland genutzt und für die Monate April bis August 2000 Umsatzsteuervoranmeldungen beim zuständigen Finanzamt eingereicht habe. Denn daran sei nicht erkennbar, dass diese Kontakte von der Rechnungsadresse gepflegt worden seien. Diese Würdigung des FG ist möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und bindet den Senat daher (§ 118 Abs. 2 FGO).
2. Der Vorsteuerabzug der Klägerin aus den Rechnungen der A-GmbH scheitert darüber hinaus daran, dass die Klägerin hätte erkennen müssen, dass sie mit ihren Erwerben von der A-GmbH in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen gewesen ist.
a) Selbst wenn ein Umsatz den objektiven Kriterien einer Lieferung genügt, ist der Vorsteuerabzug zu versagen, wenn aufgrund objektiver Umstände feststeht, dass der Steuerpflichtige wusste oder wissen konnte bzw. hätte wissen müssen, dass er sich mit seinem Erwerb an einem Umsatz beteiligte, der in eine Mehrwertsteuerhinterziehung einbezogen war (BFH-Urteil in BFHE 217, 194, BFH/NV 2007, 2035, unter II.C.2.; Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften --EuGH-- vom 12. Januar 2006 Rs. C-354/03, C-355/03, C-484/03, Optigen u.a., Slg. 2006, I-483, BFH/NV Beilage 2006, 144 Rdnrn. 52 und 55; vom 6. Juli 2006 Rs. C-439/04, C-440/04, Kittel und Recolta, Slg. 2006, I-6161, BFH/NV Beilage 2006, 454 Rdnrn. 60 und 61).
b) Nach Auffassung des FG hätten sich der Klägerin erhebliche Zweifel an der Seriosität der Geschäftsbeziehung aufdrängen müssen, weil sie nach ihrem eigenen Bekunden gewusst hat, dass der Geschäftsführer der A-GmbH und der Inhaber der J denselben Nachnamen trugen. Es sei nämlich mehr als ungewöhnlich, dass sich auf Seiten des deutschen Lieferanten und des englischen Abnehmers Verantwortliche präsentierten, die denselben italienischen Nachnamen hätten.
Dies gelte umso mehr, als die Geschäftskontakte zu beiden Unternehmen in zeitlicher Nähe neu geknüpft worden seien und für die Lieferung und Abnahme der Mobiltelefone des Herstellers "…" nach eigenen Angaben der Klägerin in der Regel nur diese beiden Unternehmen in Betracht gekommen seien.
Eine verständige Kauffrau hätte sich nicht damit begnügt, eine Kopie des Ausweises von C sowie seiner Scheckkarte zu den Akten zu nehmen und die Umsatzsteuer-Identifikationsnummer der A-GmbH überprüfen zu lassen. Die Klägerin hätte die Rechnungsanschrift der A-GmbH in Augenschein nehmen können, wodurch ihr bekannt geworden wäre, dass es sich um einen Scheinsitz handle. Auch ein persönlicher Kontakt zu C und dem Inhaber der J hätte der Klägerin die Erkenntnis gebracht, dass es sich um dieselben Personen handelte.
Ferner habe die Klägerin durch die Geschäftsbeziehungen zu den beiden Unternehmen ihren Umsatz im Zeitraum April 2000 bis Juli 2000 von 900 000 DM auf 8,3 Mio. DM gesteigert; dies entspreche fast einer Erhöhung um das 10-fache. Bei einer derart hohen Umsatzsteigerung und dem Umstand, dass die Klägerin in der Regel umsatzsteuerfrei ins Ausland geliefert habe, ihrerseits aber hohe Vorsteuerbeträge geltend gemacht habe, dränge sich einem verständigen Kaufmann der Verdacht eines Umsatzsteuerbetruges auf. Schließlich hätte --so das FG-- auch eine Überprüfung des Handelsregisters zu Zweifeln Anlass gegeben. Denn die A-GmbH sei erst kurz vor Aufnahme der Geschäftsbeziehungen umbenannt und der Geschäftszweck von Textilhandel auf den Handel mit Elektroartikeln umgestellt worden.
Schließlich liege eine vollendete Steuerhinterziehung (§ 370 Abs. 1 der Abgabenordnung) vor, weil die Umsatzsteuer-Voranmeldungen der A-GmbH verspätet abgegeben worden seien und dadurch Umsatzsteuer verkürzt worden sei.
Diese Würdigung des FG ist aufgrund des festgestellten und nicht durch zulässige und begründete Verfahrensrügen angegriffenen Sachverhalts möglich, verstößt nicht gegen Denkgesetze und Erfahrungssätze und bindet den Senat daher (§ 118 Abs. 2 FGO).
3. Die Rechnung des D vom 11. April 2002 berechtigt die Klägerin schon deshalb nicht zum Vorsteuerabzug im Streitjahr 2000, weil der Vorsteuerabzug erst im Jahr der Rechnungsausstellung in Betracht komme (vgl. BFH-Urteil vom 1. Juli 2004 V R 33/01, BFHE 206, 463, BStBl II 2004, 861, unter II.2.).
4. Die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung von PKH ergeht gerichtsgebührenfrei.
Fundstellen