Entscheidungsstichwort (Thema)
Wiedereinsetzung in den vorigen Stand: Darlegung des Wiedereinsetzungsgrundes bei Krankheit, Führung eines Fristenkontrollbuches
Leitsatz (NV)
- Legt ein Prozessbevollmächtigter dar, die Rechtsmittelfrist sei versäumt worden, weil der für die Bearbeitung zuständige Sachbearbeiter krank geworden sei, ist dieses Vorbringen unvollständig. Erforderlich sind zusätzlich konkrete Angaben darüber, wie die Fristenkontrolle im Büro im Einzelnen organisiert ist und dass die Überwachung der Frist durch organisatorische Maßnahmen unter normalen Umständen gewährleistet gewesen wäre.
- Zu den Anforderungen an die Führung eines Fristenkontrollbuchs.
Normenkette
FGO § 56 Abs. 2, § 116 Abs. 3, § 56 Abs. 1
Tatbestand
I. Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) ist ein Kreisverband eines anerkannten Verbandes der freien Wohlfahrtspflege in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins (X-Verband). Aufgrund einer Vereinbarung mit der Kassenärztlichen Vereinigung, der auch die Sicherstellung eines ärztlichen Notdienstes obliegt, erbringt er für diese bestimmte Leistungen zur Durchführung des ärztlichen Notdienstes der Stadt M. Die Entgelte für die Teilnahme am ärztlichen Notdienst behandelte der Kläger als steuerfrei i.S. des § 4 Nr. 18 des Umsatzsteuergesetzes (UStG). Dem folgte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt ―FA―) in den Umsatzsteuerbescheiden für 1989 bis 1992 vom 25. Oktober 1994 nicht.
Einspruch und Klage, mit denen der Kläger beantragte, für diese Umsätze die Steuerfreiheit nach § 4 Nr. 18 UStG, hilfsweise die Steuerermäßigung nach § 12 Abs. 2 Nr. 8 UStG beanspruchte, hatten keinen Erfolg. Das Urteil des Finanzgerichts (FG) wurde dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 30. Oktober 2001 zugestellt.
Hiergegen richtet sich die am 21. November 2001 beim Bundesfinanzhof (BFH) eingegangene Nichtzulassungsbeschwerde, in der der Kläger eine Begründung ankündigt. Mit dem auf den 4. Januar 2002 datierten Schriftsatz, der per Telefax am 3. Januar 2002 dem BFH übermittelt wurde, begründete der Kläger die Beschwerde und beantragte die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung und zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung. Nachdem die Geschäftsstelle des erkennenden Senats dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 10. Januar 2002 mitgeteilt hatte, dass die Begründungsfrist nach § 116 Abs. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO) am 31. Dezember 2001 abgelaufen und die am 3. Januar 2002 per Fax eingegangene Begründung verspätet sei, beantragte der Kläger die Wiedereinsetzung gemäß § 56 FGO. Zur Begründung trägt er vor, der für die Nichtzulassungsbeschwerde zuständige Mitarbeiter S sei aufgrund eines Ohnmachtsanfalls am 18. Dezember 2001 bis zum 21. Dezember 2001 arbeitsunfähig gewesen. Weil er davon ausgegangen sei, nach den Weihnachtstagen seine Arbeit wieder aufnehmen zu können, sei auf der Basis des Begründungsentwurfs zwischen ihm und dem Geschäftsführer der Steuerberatungs GmbH, Wirtschaftsprüfer und Steuerberater H, vereinbart worden, dass S den Begründungsschriftsatz unmittelbar fertig stellen und einem anwesenden zeichnungsberechtigten Geschäftsführer zum Postausgang vorlegen werde. S habe zwar am 27. Dezember 2001 seine Arbeit aufgenommen, habe aber wegen Schwindelgefühlen und Gleichgewichtsstörungen den Begründungsschriftsatz nicht fertig stellen und auch die Geschäftsleitung nicht benachrichtigen können. Wegen wiederholter Ohnmachtsanfälle sei S am 28. Dezember 2001 in die Notambulanz des Städtischen Krankenhauses eingewiesen worden. Dort sei ein Herzklappenfehler diagnostiziert worden, der noch im Januar 2002 eine Operation erfordere. "Am ersten Arbeitstag im Jahr 2002 (am 3. Januar 2002)" habe der Geschäftsführer H festgestellt, dass die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde nicht durch S fertig gestellt worden sei und deshalb die Nichtzulassungsbeschwerde umgehend bearbeitet und sofort per Fax an den BFH versandt.
Nachdem das FA Zweifel an der Fristenkontrolle des Prozessbevollmächtigten geäußert hatte, trug der Kläger mit Schriftsatz vom 11. März 2002 ergänzend vor, grundsätzlich sei zwar der 2. Januar 2002 der erste Arbeitstag, im speziellen Fall habe sich die örtliche Geschäftsleitung (Geschäftsführer Rechtsanwalt Dr. H und Wirtschaftsprüfer und Steuerberater H) am 2. Januar 2002 noch im Silvesterurlaub befunden. In der Büroorganisation seien entsprechende Vorkehrungen für die Fristenkontrolle getroffen; es werde ein Fristenkontrollbuch von zwei Angestellten geführt, die fehlerfrei arbeiteten und gut ausgebildet seien. Weil die Nichtzulassungsbeschwerde nicht sofort begründet worden sei, sei die zu berücksichtigende Frist zur Nachreichung der Begründung durch H errechnet und zur Eintragung in das Fristenkontrollbuch an die Mitarbeiterin, Frau K, weitergeleitet worden. Diese lege den Sachbearbeitern und dem Geschäftsführer regelmäßig sieben Tage vor Ablauf der Frist eine Erinnerung vor. Der Sachbearbeiter habe bis spätestens einen Tag vor Fristablauf den Rechtsbehelf einem zeichnungsberechtigten Geschäftsführer vorzulegen. Des Weiteren zeigten die mit der Fristenkontrolle betrauten Mitarbeiterinnen den letzten Tag des Fristablaufs der Geschäftsführung an. Zum Nachweis der Fristenkontrolle legte der Prozessbevollmächtigte zwei Seiten des sog. "Rechtsbehelfsbuchs" vor. Die beigelegten Kopien zeigen jeweils zwei linierte Doppelseiten, in denen chronologisch Eintragungen vorgenommen worden sind wie z.B. für Oktober und November 2001
11.10.2001
Steuernummer … Name "Einspruch gegen Bescheid über d.ges.u.einheitl.Festst. von Besteuerungsgrundlagen f.2000"
24.10.2001 St-Nr…..Name..Einspruch gegen
Erbschaftsteuerbescheid.
20.10.2001 "X-Verband … - Beschwerde
an den Bundesfinanzhof Begründungsfrist 31.12.2001."
21.11.2001 StNr….Name..Einspruch gegen ESt-
Schätzungsbescheid…"
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist unzulässig.
1. Die am 3. Januar 2002 beim BFH eingegangene Begründung war verspätet, denn die zweimonatige Frist für die Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde (§ 116 Abs. 3 FGO) war, da das Ende der Frist auf einen Sonntag fiel, am 31. Dezember 2001 abgelaufen (vgl. § 222 Abs. 2 der Zivilprozessordnung ―ZPO― i.V.m. § 54 Abs. 2 FGO).
2. Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht. Sie ist gemäß § 56 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 FGO demjenigen zu gewähren, der ohne Verschulden gehindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Der Antrag ist binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen und zu begründen. Hierbei muss sich der Rechtsuchende das Verschulden seines Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen (§ 155 FGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO).
a) Die Begründung des Wiedereinsetzungsantrags erfordert innerhalb der Zwei-Wochen-Frist eine substantiierte in sich schlüssige Darstellung aller entscheidungserheblichen Tatsachen (ständige Rechtsprechung, z.B. BFH-Beschlüsse vom 25. August 2000 X R 47/99, nicht veröffentlicht; vom 23. Juni 1999 IV B 150/98, BFH/NV 1999, 1614; Gräber, Finanzgerichtsordnung, 5. Aufl., § 56 Rz. 36 f.). Schon daran fehlt es hier. Die Ausführungen im Schriftsatz vom 17. Januar 2002 genügen diesen Anforderungen nicht, weil sie in einem entscheidenden Punkt lückenhaft sind. Als Hinderungsgrund benennt der Prozessbevollmächtigte die Ohnmachtsanfälle und Krankheitsausfälle des mit der Erstellung des Begründungsentwurfs befassten Mitarbeiters in der Zeit zwischen 18. und 21. Dezember 2001 und ab 27. bzw. 28. Dezember 2001. Gleichzeitig trägt er vor, zwischen diesem und dem zuständigen Geschäftsführer der Steuerberatungsgesellschaft, H, sei vereinbart worden, dass der Begründungsschriftsatz nach den Feiertagen fertig gestellt werden sollte und "einem anwesenden zeichnungsberechtigten Geschäftsführer zum Postausgang" vorgelegt werden sollte. Es ist aber nicht ersichtlich, auf welche Weise der Prozessbevollmächtigte seiner Obliegenheit nachgekommen ist, durch organisatorische Maßnahmen Vorsorge für eine rechtzeitige den prozessrechtlichen Anforderungen entsprechende Fertigung und Absendung der Beschwerdebegründung zu treffen. Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist ein Bevollmächtigter verpflichtet, seinen Bürobetrieb so zu organisieren, dass Fristversäumnisse ausgeschlossen sind. Dazu ist es grundsätzlich unerlässlich, dass ein Fristenkontrollbuch (Fristenkalender oder eine vergleichbare Einrichtung) geführt wird. Im Fristenkalender muss der Fristablauf für jede einzelne Sache vermerkt werden. Die Einhaltung der laufenden Fristen muss durch tägliche Einsichtnahme in den Fristenkalender gesichert werden (grundlegend BFH-Urteil vom 9. Mai 1961 I 237/60 S, BFHE 73, 491, BStBl III 1961, 445). Zu der hiernach geforderten Endkontrolle gehört u.a. die Anweisung, Fristen erst dann zu löschen, wenn das fristwahrende Schriftstück tatsächlich gefertigt und abgesandt ist oder zumindest "postfertig" (Postausgangsbereich) vorliegt (z.B. BFH-Urteil vom 7. Dezember 1988 X R 80/87, BFHE 155, 275, BStBl II 1989, 266, 268, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung von BFH und Bundesgerichtshof ―BGH―). Es fehlt jeder Vortrag, wie die Fristenkontrolle in dem Büro organisiert war. Der Prozessbevollmächtigte hätte sich nicht mit dem Hinweis begnügen dürfen, dass sein erster Arbeitstag nach Fristablauf der 3. Januar 2002 war.
b) Die Lücken in der Begründung des Wiedereinsetzungsbegehrens können durch den nach Ablauf der Frist des § 56 Abs. 2 Satz 2 FGO eingereichten Schriftsatz vom 11. März 2002 nicht mehr geschlossen werden; lediglich erkennbar unklare oder ergänzungsbedürftige Angaben, deren Aufklärung nach § 139 ZPO geboten ist, dürfen nach Fristablauf erläutert oder vervollständigt werden (z.B. BFH-Beschluss vom 28. Mai 1998 X B 87/97, BFH/NV 1998, 1506; BGH-Beschluss vom 7. Oktober 1997 XI ZB 23/97, Neue Juristische Woche - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 1998, 278, jeweils m.w.N.). Bei dem Vorbringen des Klägers im Schriftsatz vom 11. März 2002 handelt es sich jedoch nicht lediglich um die Ergänzung und Erläuterung des ursprünglich geltend gemachten Wiedereinsetzungsgrundes. Der Kläger versucht stattdessen, einen neuen Vortrag über büroorganisatorische Maßnahmen, vor allem zur Führung eines Fristenkontrollbuchs seines Prozessbevollmächtigten nachzuschieben, nachdem das FA in der Beschwerdeerwiderung darauf hingewiesen hat, dass insoweit Ausführungen fehlen. Im Übrigen lassen auch die Darlegungen zur Fristenkontrolle und der Auszug aus dem "Rechtsbehelfsbuch" nicht den Schluss zu, dass unter normalen Verhältnissen eine Fristenkontrolle gewährleistet gewesen wäre, denn es ist nicht erkennbar und auch nicht vorgetragen, wie es um die Kontrolle des Fristablaufs bestellt ist. Nach den vorgelegten Unterlagen hätte täglich im "Rechtsbehelfsbuch" zurückgeblättert werden müssen, um einen ―wie hier― durch nichts hervorgehobenen Vermerk über das Ende einer Frist zu finden.
Fundstellen