Leitsatz (amtlich)
Eine einstweilige Anordnung darf das Finanzgericht nicht aufgrund eines hiergegen gerichteten Antrages auf mündliche Verhandlung durch Beschluß aufheben und gleichzeitig unter Umdeutung des zu der aufgehobenen Anordnung führenden Begehrens in ein solches auf Aussetzung der Vollziehung über den umgedeuteten Antrag entscheiden.
Normenkette
FGO §§ 69, 114 Abs. 4-5; ZPO § 925
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) hat durch den umstrittenen Bescheid betreffend die gesonderte Feststellung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb einen Verlust in Höhe von 290 467 DM unter dem Vorbehalt der Nachprüfung festgestellt. Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Beschwerdeführerin) - eine GmbH & Co. KG - hatte einen Verlust in Höhe von 25 239 393 DM erklärt. Über die gegen den Bescheid nach erfolglosem Einspruch erhobene Klage ist noch nicht entschieden.
Die Beschwerdeführerin beantragte beim Finanzgericht (FG), eine einstweilige Anordnung zu erlassen, durch die dem FA aufgegeben werden sollte, den gewerblichen Verlust für 1976 in der von ihr erklärten Höhe festzustellen. Durch den aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenen Beschluß vom 4. Oktober 1978 entsprach das FG diesem Antrag.
Das FA stellte hierauf gegen die erlassene einstweilige Anordnung Antrag auf mündliche Verhandlung und beantragte,
"die angegriffene einstweilige Anordnung aufzuheben und den Antrag der Antragstellerin auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung als unbegründet zurückzuweisen, hilfsweise: die Bestätigung der angegriffenen einstweiligen Anordnung von einer Sicherheitsleistung abhängig zu machen".
Die Beschwerdeführerin ist diesem Antrag entgegengetreten.
Durch den aufgrund mündlicher Verhandlung ergangenen Beschluß vom 21. Januar 1981 hat das FG den Beschluß vom 4. Oktober 1978 aufgehoben und den "Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zurückgewiesen"; die Beschwerde gegen diesen Beschluß hat das FG "im Hinblick auf die durch den fehlerhaften Beschluß vom 4. Oktober 1978 aufgeworfenen verfahrensrechtlichen Fragen - über die, soweit ersichtlich, bisher keine Entscheidung des Bundesfinanzhofs vorliegt - sowie wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zu entscheidenden materiell-rechtlichen Fragen zugelassen".
Hiergegen richtet sich die Beschwerde, mit der die Beschwerdeführerin beantragt, den angefochtenen Beschluß aufzuheben und ihr den begehrten vorläufigen Rechtsschutz zu gewähren.
Das FA ist der Beschwerde entgegengetreten; die Behörde hält den angefochtenen Beschluß für richtig.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist im Ergebnis begründet. Der angefochtene Beschluß ist ersatzlos aufzuheben.
I. Die Beschwerde ist zulässig.
Sie ist sowohl aufgrund § 128 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) als auch aufgrund Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs (BFH-EntlastG) vom 8. Juli 1975 (BGBl I, 1861, BStBl I, 932) i. d. F. des Gesetzes vom 4. August 1980 (BGBl I, 1147, BStBl I, 462) statthaft.
Gemäß § 128 Abs. 1 FGO findet gegen Entscheidungen des FG, die nicht Urteile oder Vorbescheide sind, die Beschwerde statt, soweit nicht in der Finanzgerichtsordnung etwas anderes bestimmt ist. Der angefochtene Beschluß, durch den der Beschluß über die einstweilige Anordnung vom 4. Oktober 1978 aufgehoben worden ist, ist eine solche Entscheidung.
Gemäß Art. 1 Nr. 3 BFH-EntlastG steht gegen den Beschluß des FG nach § 69 Abs. 3 FGO den Beteiligten die Beschwerde nur dann zu, wenn sie in dem Beschluß zugelassen worden ist. Auch diese Voraussetzung ist erfüllt. Angesichts der obigen Ausführungen mag hierbei offenbleiben, ob die Zulassung der Beschwerde den Bundesfinanzhof (BFH) nur insoweit bindet, als das FG die Beschwerde mit Rücksicht auf die durch den angefochtenen Beschluß abgelehnte Aussetzung der Vollziehung zugelassen hat, eine Bindung hingegen insoweit nicht in Betracht kommt, als das FG die Beschwerde auch im Hinblick auf die durch den fehlerhaften Beschluß vom 4. Oktober 1978 aufgeworfenen verfahrensrechtlichen Fragen zugelassen hat.
Die für die Zulässigkeit der Beschwerde erforderliche Beschwer liegt schon deshalb vor, weil das FG durch den angefochtenen Beschluß die der Beschwerdeführerin durch den Beschluß vom 4. Oktober 1978 gewährte Rechtsstellung wieder entzogen hat. Die Beschwerdeführerin ist auch dadurch beschwert, daß das FG es abgelehnt hat, die - seiner Ansicht nach - als vorläufiger Rechtsschutz in Betracht kommende Aussetzung der Vollziehung des Gewinnfeststellungsbescheides 1976 zu gewähren; in diesem Zusammenhang ist es unerheblich, ob es rechtlich möglich ist, im Verfahren der einstweiligen Anordnung vorläufigen Rechtsschutz durch Aussetzung der Vollziehung zu gewähren, nachdem gegen die einstweilige Anordnung Antrag auf mündliche Verhandlung gestellt worden ist.
II. Die Beschwerde ist auch begründet.
Die Entscheidung des FG ist aufzuheben, weil das Gericht über die Rechtmäßigkeit der einstweiligen Anordnung durch Beschluß anstatt durch Endurteil entschieden hat. Durch die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses wird der Weg frei für eine der Form nach dem Gesetz entsprechende Entscheidung durch Endurteil; eine Zurückverweisung zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung kommt nicht in Betracht.
Aufgrund des gegen die erlassene einstweilige Anordnung gerichteten Antrages des FA war gemäß § 114 Abs. 4 FGO über die Rechtmäßigkeit dieser einstweiligen Anordnung durch Endurteil zu entscheiden; dies folgt aus der Verweisung in dieser Vorschrift auf § 925 der Zivilprozeßordnung - ZPO - (Beschlüsse des BFH vom 24. April 1967 VI B 3/66, BFHE 88, 231, BStBl III 1967, 343, und vom 8. Dezember 1972 VI B 39/72, BFHE 107, 492, BStBl II 1973, 245) und gilt auch dann, wenn die einstweilige Anordnung aufgrund einer mündlichen Verhandlung ergangen ist (Beschluß des BFH vom 13. April 1978 IV B 63/77, BFHE 125, 120, BStBl II 1978, 461 unter Bezugnahme auf BFHE 107, 492, BStBl II 1973, 245; vgl. auch Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114 RdNr. 20). Da das FG den Beschluß vom 4. Oktober 1978 nicht durch Beschluß aufheben durfte, trifft auch die Ansicht des FG nicht zu, mit der Aufhebung dieses Beschlusses (durch den angefochtenen Beschluß) sei (in demselben Verfahren) "der Weg frei für eine erneute sachliche Prüfung des Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes". Für das aufgrund mündlicher Verhandlung ergehende Endurteil über die einstweilige Anordnung regelt § 925 Abs. 2 ZPO - von der Frage der Zulässigkeit der mündlichen Verhandlung und dem Angriff auf die Kostenentscheidung in der erlassenen einstweiligen Anordnung abgesehen - den Inhalt abschließend. Das Endurteil wird im Zeitpunkt der Verkündung oder der Zustellung statt der Verkündung rechtskräftig (§ 117 FGO). Entscheidet das FG hingegen - wie im Streitfall - entgegen der gesetzlichen Regelung durch Beschluß, so ist aufgrund § 128 Abs. 1 FGO die Beschwerde gegeben.
Die Ansicht des FG "eine erneute sachliche Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes" sei "deshalb zulässig, weil das Gericht den in der Sache gefaßten Beschluß nach § 69 Abs. 3 Satz 1 FGO jederzeit hätte ändern oder aufheben können (§ 69 Abs. 3 Satz 5 FGO)", trifft nicht den Kern der Sache. Der Beschluß vom 4. Oktober 1978 ist eine einstweilige Anordnung und keine Entscheidung über die Aussetzung der Vollziehung; für die einstweilige Anordnung gelten besondere Vorschriften (vgl. auch § 114 Abs. 5 FGO). Das Verfahren der einstweiligen Anordnung schließt während seiner Anhängigkeit ein Verfahren der Aussetzung der Vollziehung über den gleichen Gegenstand aus. Deshalb geht auch der Hinweis des FG auf Art. 3 § 7 Abs. 2 des Gesetzes zur Entlastung der Gerichte in der Verwaltungs- und Finanzgerichtsbarkeit vom 31. März 1978 (VGFG-EntlG) fehl, wonach trotz dieser Vorschrift eine Änderung oder Aufhebung des Beschlusses über einen Antrag nach § 69 Abs. 3 FGO von Amts wegen weiterhin zulässig sei. Das FG hat nicht einen solchen Beschluß geändert, sondern unter - verfahrensmäßig nicht dem Gesetz entsprechenden - Aufhebung einer einstweiligen Anordnung erstmals einen die Aussetzung der Vollziehung ablehnenden Beschluß erlassen.
III. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind dem unterliegenden FA aufzuerlegen (§ 135 Abs. 1 FGO). Über die Kosten des aufgrund der Aufhebung des angefochtenen Beschlusses des FG durch Endurteil (§ 114 Abs. 4 FGO, § 925 Abs. 1 ZPO) abzuschließenden Verfahrens der einstweiligen Anordnung wird das FG entscheiden.
Fundstellen
Haufe-Index 413663 |
BStBl II 1981, 719 |