Entscheidungsstichwort (Thema)
Steuersatz auf Übernahmegewinn aus der Umwandlung von Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft; Verstoß gegen Parlamentsvorbehalt (Vorlage an das BVerfG)
Leitsatz (amtlich)
Es wird die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts darüber eingeholt, ob § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 i.d.F. des StBereinG 1999 gegen Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG verstößt.
Normenkette
KStG 1999 § 23 Abs. 2 S. 5, § 54 Abs. 9 S. 1; UmwStG 1995 § 10 Abs. 1, § 14 S. 1; GG Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1
Verfahrensgang
Nachgehend
Tatbestand
A. Streitpunkt ist die Verfassungsmäßigkeit des § 54 Abs. 9 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes in der durch Art. 4 Nr. 10 Buchst. h des Gesetzes zur Bereinigung steuerlicher Vorschriften vom 22. Dezember 1999 (Steuerbereinigungsgesetz 1999 --StBereinG 1999--, BGBl I 1999, 2601, BStBl I 2000, 13) geänderten Fassung (KStG 1999), welcher die Anwendbarkeit des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 betreffend die höhere Besteuerung bestimmter umwandlungssteuerrechtlicher Übernahmegewinne bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 angeordnet hat.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine GmbH, war im Streitjahr 1999 als geschäftsleitende Holdinggesellschaft Alleingesellschafterin u.a. von fünf Tochtergesellschaften in der Rechtsform der GmbH. Diese wandelten sich aufgrund von Umwandlungsbeschlüssen jeweils vom 14. Dezember 1999 durch Formwechsel gemäß §§ 190 ff. des Umwandlungsgesetzes zum steuerlichen Umwandlungsstichtag 31. Dezember 1999 in Kommanditgesellschaften (GmbH & Co. KG) um, an denen die Klägerin nunmehr die Kommanditbeteiligungen hielt.
Die jeweils für die Tochtergesellschaften zuständigen Finanzämter stellten die auf die Klägerin entfallenden umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinne bzw. -verluste und die anzurechnende Körperschaftsteuer gemäß § 180 der Abgabenordnung (AO) gesondert fest. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) ermittelte die in den Übernahmegewinnen der Klägerin enthaltenen Einnahmen aus EK 45 (Teilbetrag des verwendbaren Eigenkapitals --vEK--, der aus Einkommensbestandteilen entstanden ist, die einem Körperschaftsteuersatz von 45 v.H. unterlagen) auf zuletzt 20 923 186 DM und unterwarf diesen Betrag im Rahmen der Festsetzung der Körperschaftsteuer 1999 nach § 23 Abs. 2 Satz 5, § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 einem Steuersatz von 45 v.H. Auf dieser Grundlage erfolgte auch die Feststellung der Teilbeträge des vEK der Klägerin gemäß § 47 Abs. 1 KStG 1999 zum 31. Dezember 1999.
Hiergegen wendet sich die Klägerin, die die durch § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 angeordnete Geltung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 bereits für den Veranlagungszeitraum 1999 für verfassungswidrig hält. Ihre auf eine Besteuerung der Übernahmegewinne aus dem EK 45 mit einem Körperschaftsteuersatz von nur 40 v.H. und eine entsprechende Änderung der Feststellung der Teilbeträge des vEK zum 31. Dezember 1999 gerichtete Klage hat das Finanzgericht (FG) Münster abgewiesen. Sein Urteil vom 28. Januar 2005 9 K 1514/02 K,F ist in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 1225 abgedruckt.
Gegen das Urteil richtet sich die Revision der Klägerin, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und "den Körperschaftsteuerbescheid 1999 in der Fassung --wie in der Einspruchsbegründung begehrt-- zu ändern und die Körperschaftsteuer entsprechend herabzusetzen".
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
B. Das durch Beschluss des Senats vom 10. Juli 2007 gemäß § 155 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i.V.m. § 251 der Zivilprozessordnung zum Ruhen gebrachte Verfahren ist fortzusetzen. Der Ruhensgrund ist entfallen, nachdem das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Beschluss vom 15. Januar 2008 2 BvL 12/01 (BGBl I 2008, 481) über die ihm vom Senat durch Beschluss vom 18. Juli 2001 I R 38/99 (BFHE 196, 232, BStBl 2002, 27) nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Normenkontrolle vorgelegte Rechtsfrage entschieden hat.
C. Die für die Entscheidung des Revisionsverfahrens maßgebliche Vorschrift des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 ist nach der Überzeugung des Senats nicht in formell verfassungsmäßiger Weise zustande gekommen, so dass das Verfahren gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht auszusetzen und eine Entscheidung des BVerfG einzuholen ist.
I. Auf der Grundlage der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen wäre --was auch die Klägerin nicht anders sieht-- die Revision unbegründet.
1. Beim Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft ist ein nach Maßgabe von § 14 Satz 1 i.V.m. § 4 Abs. 4 und 5 des Umwandlungssteuergesetzes 1995 (UmwStG 1995) zum steuerlichen Umwandlungsstichtag vorhandener Übernahmegewinn auf der Ebene der Gesellschafter der übernehmenden Personengesellschaft zu versteuern. Dabei ist gemäß § 14 Satz 1 i.V.m. § 10 Abs. 1 UmwStG 1995 die Körperschaftsteuer, die unter Geltung des seinerzeitigen körperschaftsteuerlichen Anrechnungsverfahrens auf den Teilbeträgen des für Ausschüttungen verwendbaren Eigenkapitals der übertragenden Kapitalgesellschaft i.S. des § 30 Abs. 1 Satz 3 Nr. 1 und Nr. 2 KStG 1999 lastete, auf die Einkommensteuer oder Körperschaftsteuer der Gesellschafter der übernehmenden Personengesellschaft zu übertragen. Der Übernahmegewinn (oder ein etwaiger Übernahmeverlust) ist im Rahmen der gesonderten Feststellung der Einkünfte gemäß § 180 AO einheitlich und gesondert festzustellen (vgl. van Lishaut in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, UmwStG, 2008, § 4 Rz 139; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, Umwandlungsgesetz, Umwandlungssteuergesetz, 4. Aufl., § 4 UmwStG Rz 84, m.w.N.).
2. Für den gesondert festgestellten, zum 31. Dezember 1999 entstandenen Übernahmegewinn der fünf im Streitfall umgewandelten Gesellschaften folgt hieraus, dass dieser von der Klägerin als alleiniger Gesellschafterin nach dem für sie im Streitjahr geltenden Körperschaftsteuersatz zu versteuern war. Der allgemeine Körperschaftsteuersatz betrug im Streitjahr nach der mit Art. 5 Nr. 9 Buchst. a des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 vom 24. März 1999 (StEntlG 1999/2000/2002, BGBl I 1999, 402, BStBl I 1999, 304) erstmals für den Veranlagungszeitraum 1999 vorgenommenen Absenkung um 5 v.H. gemäß § 23 Abs. 1 KStG grundsätzlich nur noch 40 v.H.
Von der ebenfalls mit dem Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/ 2002 eingefügten Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999, wonach die dort aufgeführten Einkünfte weiterhin einer Steuerbelastung von 45 v.H. unterlagen, sind die in Rede stehenden Übernahmegewinne nicht umfasst. Es handelt sich dabei --wie das FG zutreffend ausgeführt hat-- weder um Dividenden bzw. verdeckte Gewinnausschüttungen (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--) noch um Bezüge, die nach der Auflösung unbeschränkt steuerpflichtiger Körperschaften oder Personenvereinigungen anfallen (§ 20 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Soweit das FG in Bezug auf die Übernahmegewinne eine Analogie ("ergänzende Auslegung") zu § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 erwägt, ist hierfür angesichts des klar eingegrenzten Wortlauts dieser detailliert gefassten Ausnahmebestimmung kein Raum.
Die mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1999 angefügte Bestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 betrifft jedoch die umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinne und unterwirft diese, soweit sie auf Gewinnrücklagen aus dem EK 45 der übertragenden Kapitalgesellschaft beruhen, dem höheren Steuersatz von 45 v.H. Wendet man diese Bestimmung --wie durch § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 in Ausnahme von der allgemeinen Anwendungsregel des § 54 Abs. 1 KStG 1999 angeordnet-- auf den Veranlagungszeitraum 1999 an, unterliegt der auf dem EK 45 beruhende Übernahmegewinn der Klägerin, dessen Höhe von 20 923 186 DM mittlerweile zwischen den Beteiligten außer Streit steht, einem Körperschaftsteuersatz von 45 v.H.
II. Danach wäre die Revision, die Verfassungsmäßigkeit des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 unterstellt, als unbegründet zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 FGO). Die Einfügung dieser Gesetzesbestimmung verstößt indes gegen das Demokratieprinzip in Gestalt des Parlamentsvorbehalts (Art. 20 Abs. 3, Art. 76 Abs. 1 GG), weil sie auf einer Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zwischen Bundestag und Bundesrat beruht, die die diesem von Verfassungs wegen gesetzten Grenzen überschreitet.
1. Nach der Rechtsprechung des BVerfG darf der Vermittlungsausschuss eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Er ist somit an den Gegenstand des Anrufungsbegehrens und an den Rahmen gebunden, der nach den bisherigen Beratungen in Bundestag und Bundesrat inhaltlich und formal gezogen ist, und darf keinen Vorschlag unterbreiten, der außerhalb der bisherigen Auffassungsunterschiede im Parlament oder der bisherigen Gegenläufigkeit zwischen Bundestag und Bundesrat bleibt. Diese Beschränkung entspricht der Funktion des Vermittlungsausschusses, der nicht eigenständig Gesetzesvorlagen einbringen darf, sondern nur eine Brücke zwischen schon innerhalb der Gesetzgebungsorgane erörterten Alternativen schlagen soll. Überschreitet der Vermittlungsausschuss die dergestalt gezogenen Grenzen seiner Befugnisse, so ist ein hierauf beruhendes Gesetz nicht ordnungsgemäß zustande gekommen (BVerfG-Beschlüsse vom 13. Mai 1986 1 BvR 99/85 und 1 BvR 461/85, BVerfGE 72, 175; vom 8. Juni 1988 2 BvL 9/85 und 2 BvL 3/86, BVerfGE 78, 249, 271; BVerfG-Urteil vom 7. Dezember 1999 2 BvR 301/98, BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162; BVerfG-Beschluss in BGBl I 2008, 481; Senatsbeschlüsse vom 29. November 2000 I R 38/99, BFHE 194, 49, BStBl II 2001, 374; vom 22. August 2006 I R 25/06, BFHE 214, 424, BStBl II 2007, 793; vom 8. November 2006 I R 69, 70/05, BFHE 215, 491, BStBl II 2007, 662).
2. Hieran gemessen hat der Vermittlungsausschuss mit dem Vorschlag der in § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 getroffenen Regelung die ihm von der Verfassung gesetzten Grenzen überschritten.
a) Das Gesetzgebungsverfahren hat folgenden Verlauf genommen:
Im Zuge der Absenkung des allgemeinen Körperschaftsteuersatzes von 45 v.H. auf 40 v.H. durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 zum 1. Januar 1999 hatte der Gesetzgeber in § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 eine Ausnahme für Bezüge aus Gewinnausschüttungen und aus der Auflösung von Körperschaften eingeführt, die --soweit sie auf Gewinnrücklagen aus dem EK 45 beruhten-- weiterhin mit 45 v.H. zu versteuern waren (s. oben C.I.2.). Mit dieser Ausnahmeregelung sollte ausweislich der Begründung des Entwurfs der Regierungsfraktionen zum Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 (BTDrucks 14/23, S. 192, 193) insbesondere bei Konzernen verhindert werden, dass bis zum 31. Dezember 1998 entstandene Gewinne zum Zwecke der Steuerentlastung auf 40 v.H. ausgeschüttet würden.
Der Fraktionsentwurf des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 27. August 1999 (BTDrucks 14/1514), das als Artikelgesetz Regelungen zu einer Vielzahl steuerlicher Gesetze --darunter auch das Einkommensteuergesetz und das Körperschaftsteuergesetz-- enthielt, sah eine Änderung oder Ergänzung der in § 23 KStG geregelten Materie nicht vor. Die das Körperschaftsteuergesetz betreffenden Änderungen durch das Steuerbereinigungsgesetz 1999 sollten nach der Gesetz gewordenen Regelung in § 54 Abs. 1 KStG 1999 grundsätzlich erstmals für den Veranlagungszeitraum 2000 anzuwenden sein. Der Finanzausschuss (7. Ausschuss) des Bundestages schlug in seiner Beschlussempfehlung zum Fraktionsentwurf des Steuerbereinigungsgesetzes 1999 vom 10. November 1999 (BTDrucks 14/2035, S. 30) neben vielen anderen Änderungen und Ergänzungen die Einfügung des späteren § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 vor, der die Ausnahmebestimmung des § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG 1999 auf umwandlungssteuerrechtliche Übernahmegewinne ausdehnte. Zur Begründung des Vorschlags heißt es im Bericht des Finanzausschusses vom 11. November 1999 (BTDrucks 14/2070, S. 23, 24):
"Die Regelung soll verhindern, dass über den Umweg der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personengesellschaft, an der Kapitalgesellschaften als Gesellschafter beteiligt sind, eine Steuerentlastung von EK 45 eintritt, die bei Gewinnausschüttungen durch § 23 Abs. 2 Satz 1 KStG versagt wird. … Die Herabschleusung der Belastung von 45 v.H. auf 40 v.H. kann außer durch Ausschüttung auch durch Umwandlung in eine Personengesellschaft erreicht werden. Soweit an der Personengesellschaft wiederum Kapitalgesellschaften beteiligt sind, würden sie den Übernahmegewinn … nach allgemeinen Regeln mit dem Tarifsteuersatz von 40 v.H. versteuern, die auf der Ebene der umgewandelten Kapitalgesellschaft entstandene Körperschaftsteuer von 45 v.H. wäre gemäß § 10 UmwStG anzurechnen. Der angefügte Satz 5 schließt die Lücke, indem er den Übernahmegewinn einer Belastung von 45 v.H. unterwirft."
Eine besondere, von § 54 Abs. 1 KStG 1999 abweichende Bestimmung über den Zeitpunkt des Wirksamwerdens dieser Regelung enthielt der Vorschlag nicht.
Das Steuerbereinigungsgesetz 1999 wurde in der Sitzung des Bundestages vom 12. November 1999 in zweiter und dritter Beratung verhandelt und in der vom Finanzausschuss vorgeschlagenen Fassung beschlossen (Plenarprotokoll des Bundestages 14/70, S. 6339).
Der Bundesrat beschloss in der Sitzung vom 26. November 1999 (Plenarprotokoll 745) auf der Grundlage eines Antrags des Freistaates Sachsen vom 24. November 1999 (BRDrucks 636/2/99) die Anrufung des Vermittlungsausschusses. In dem Antrag wird die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit dem Verlangen nach Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften des Einkommensteuergesetzes über die Einführung einer Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen begründet (ebenso das gleichlautende Unterrichtungsschreiben des Präsidenten des Bundesrates an den Vorsitzenden des Vermittlungsausschusses vom 7. Dezember 1999, BTDrucks 14/2328).
Die nach Durchführung des Vermittlungsverfahrens vom Vermittlungsausschuss beschlossene Beschlussempfehlung vom 15. Dezember 1999 (BTDrucks 14/2380) sieht neben der vom Bundesrat verlangten Streichung der Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen eine Reihe anderer Änderungen und Ergänzungen vor, u.a. auch die Einfügung des später Gesetz gewordenen § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999, der die Anwendung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 bereits für das Veranlagungsjahr 1999 vorschreibt. Am 16. Dezember 1999 nahm der Bundestag den Vorschlag des Vermittlungsausschusses ohne inhaltliche Aussprache an (Plenarprotokoll des Bundestages 14/79, S. 7291). Nachdem am Tag darauf auch der Bundesrat zugestimmt hatte (Plenarprotokoll des Bundesrates 746, S. 485), ist das Steuerbereinigungsgesetz am 29. Dezember 1999 im Bundesgesetzblatt verkündet worden und am 1. Januar 2000 in Kraft getreten.
b) Der Vermittlungsausschuss hat mit dem Vorschlag der Einfügung von § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 die vom Anrufungsbegehren vorgegebenen Grenzen seiner Aufgabe überschritten.
aa) Im Unterschied zu der aus anderen Gesetzgebungsverfahren bekannten Praxis (vgl. etwa die den Entscheidungen des BVerfG in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162, und in BGBl I 2008, 481 zugrundeliegenden Sachverhalte) enthielt der Vermittlungsauftrag des Bundesrates zum Steuerbereinigungsgesetz 1999 eine konkrete Beschreibung und Konkretisierung des Vermittlungsauftrags. Dieser betraf ausschließlich die im vom Bundestag verabschiedeten Entwurf enthaltenen Änderungen des Einkommensteuergesetzes betreffend die Einführung einer Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen, die vom Bundesrat abgelehnt wurden und deren Streichung im Anrufungsbegehren verlangt worden ist.
bb) Zu der Problematik der Besteuerung von Erträgen aus Kapitallebensversicherungen und der damit zusammenhängenden, übergeordneten Materie der steuerlichen Rahmenbedingungen der privaten Altersvorsorge steht die eine Detailfrage des Körperschaftsteuerrechts betreffende Thematik der Besteuerung von umwandlungssteuerrechtlichen Übernahmegewinnen in keinerlei inhaltlicher Beziehung. Es handelt sich um zwei thematisch gänzlich verschiedene Bereiche, die keine Wechselwirkungen zeitigen.
Das vom Vermittlungsausschuss vorgeschlagene zeitliche Vorziehen der höheren Besteuerung der Übernahmegewinne beruhte offenkundig auch nicht auf einem Entgegenkommen des Bundesrates, zu dem dieser gleichsam als "Gegenleistung" für die durchgesetzte Streichung der Besteuerung der Kapitallebensversicherungen bereit gewesen wäre. Aus den Plenarprotokollen und sonstigen Gesetzesmaterialien ergibt sich kein Anhalt dafür, dass die Besteuerung der Übernahmegewinne überhaupt jemals Gegenstand einer politischen Kontroverse innerhalb von Bundestag und Bundesrat bzw. zwischen diesen beiden Gesetzgebungsorganen war. Auch führte die Streichung des geplanten Einstiegs in eine Besteuerung der Erträge von Kapitallebensversicherungen nicht zu kurzfristigen Steuerausfällen, die einer anderweitigen fiskalischen Kompensation bedurften. Die vom Bundestag beschlossene Besteuerung bezog sich nämlich nur auf neu abgeschlossene Lebensversicherungsverträge und hätte folglich erst auf lange Sicht zu Mehreinnahmen führen können (vgl. auch die Begründung des Antrags des Freistaates Sachsen im Bundesrat vom 24. November 1999, BRDrucks 636/2/99).
Es spricht deshalb alles dafür, dass --wovon auch das FG ausgegangen ist-- der Vermittlungsausschuss das Vermittlungsverfahren über das Anrufungsbegehren hinausgehend zum Anlass genommen hat, das gesamte Gesetzesvorhaben auf seine Stimmigkeit und Effizienz zu prüfen, und er dabei festgestellt hat, dass die mit der geplanten Einführung von § 23 Abs. 2 Satz 5 KStG 1999 beabsichtigte Lückenschließung zur größtmöglichen Effektivität eines zeitlichen Vorziehens auf den laufenden Veranlagungszeitraum bedurfte. Diese Vorgehensweise des Vermittlungsausschusses zeigt sich insbesondere daran, dass seine Beschlussempfehlung außer der streitgegenständlichen Ergänzung des Körperschaftsteuergesetzes noch Vorschläge zur Änderung und Ergänzung einer Anzahl weiterer Gesetze (z.B. Umsatzsteuergesetz, Kraftfahrzeugsteuergesetz) enthält, die ebenfalls keinen inhaltlichen Bezug zum Gegenstand des Vermittlungsauftrags aufweisen.
c) Der Vermittlungsausschuss bewegte sich mit seiner Beschlussempfehlung zur Einfügung von § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 mithin außerhalb der seine Anrufung auslösenden Auffassungsunterschiede zwischen Bundestag und Bundesrat und überschritt damit seine Befugnisse. Diese sehen es nicht vor, dass der Vermittlungsausschuss seine Anrufung dazu nutzt, das geplante Gesetzesvorhaben außerhalb der Materie des hier vorliegenden konkret eingegrenzten Anrufungsbegehrens einer Kontrolle auf Stimmigkeit, Zweckmäßigkeit und Effizienz zu unterziehen. Denn der Vermittlungsausschuss fungierte damit nicht mehr als Brücke zwischen Bundesrat und Bundestag, sondern als in der Verfassung nicht vorgesehene legislative Qualitätskontrollinstanz. Mangels Grundlage in der Verfassung kann dem Vermittlungsausschuss eine solche Funktion auch nicht --wie das FG meint-- aus Gründen der Effizienz des Gesetzgebungsverfahrens zugebilligt werden.
Aus dem vom FG in Bezug genommenen BVerfG-Beschluss in BVerfGE 72, 175 zum 2. Haushaltsstrukturgesetz 1981 folgt nichts Gegenteiliges. Der dortige Sachverhalt unterscheidet sich vom Streitfall wesentlich dadurch, dass dort die Anrufung des Vermittlungsausschusses durch den Bundestag sachlich nicht konkretisiert und eingegrenzt worden war, dass die in die Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses einbezogene gesetzliche Regelung aus dem Bereich der Wohnungsbauförderung zuvor schon Gegenstand einer Stellungnahme des Bundesrates im zur Anrufung führenden Gesetzgebungsverfahren gewesen ist und dass die betreffende Regelung bereits in erster Lesung Gegenstand der Verhandlungen des Bundestages war, mithin die Abgeordneten des Bundestages und auch der Bundesrat bereits Gelegenheit zur Stellungnahme hatten. Mit diesen Gegebenheiten hatte das BVerfG seine Entscheidung im Wesentlichen begründet, so dass daraus nicht auf die Verfassungsmäßigkeit des im Streitfall zu beurteilenden Gesetzgebungsverfahrens geschlossen werden kann.
Schließlich kann dem FG in diesem Zusammenhang nicht in der Differenzierung zwischen bloßen Ergänzungen bzw. Modifikationen bereits beschlossener gesetzlicher Regelungen --die dem Vermittlungsausschuss auch außerhalb des Anrufungsgegenstandes erlaubt sein sollen-- und der originären Kreation eines eigenständigen Normgefüges --das der Gesetzesinitiative der dazu von Verfassungs wegen berufenen Gremien vorbehalten bleibe-- gefolgt werden. Denn der Vornahme von Veränderungen und Modifikationen vorhandener Gesetze kommt in gleicher Weise Gesetzesqualität zu wie der erstmaligen Schaffung neuer Gesetze. Die Komplexität der jeweils vorgeschlagenen Normen und die für die Normgebung erforderliche Kreativität des Normgebers sind keine tauglichen Abgrenzungskriterien für die Zuständigkeit zur Gesetzesinitiative. Dem entsprechend heißt es sowohl im BVerfG-Beschluss in BGBl I 2008, 481 als auch im ersten Leitsatz des BVerfG-Urteils in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 ohne jede Differenzierung, der Vermittlungsausschuss dürfe "Änderungen, Ergänzungen oder Streichungen" des Gesetzesbeschlusses nur vorschlagen, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibe.
3. Das nicht verfassungsgemäße Zustandekommen des § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999 führt zur Nichtigkeit der Norm. An der dazu erforderlichen Evidenz des Verfassungsverstoßes (BVerfG-Urteil vom 26. Juli 1972 2 BvF 1/71, BVerfGE 34, 9, 25; BVerfG-Beschlüsse vom 11. Oktober 1994 1 BvR 337/92, BVerfGE 91, 148, 175; in BGBl I 2008, 481) fehlt es nicht.
a) Nach dem BVerfG-Beschluss in BGBl I 2008, 481 kommt es für die Evidenz eines Verfassungsverstoßes aufgrund unzulässiger Gesetzesinitiative des Vermittlungsausschusses entscheidend darauf an, ob sich der Gesetzgeber bis zum Abschluss des betreffenden Gesetzgebungsverfahrens auf die Grundsätze des BVerfG-Urteils in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 hat einstellen können. Erst unter Heranziehung der in jenem BVerfG-Urteil entwickelten und konkretisierten Maßstäbe lassen sich die Grenzen der zulässigen Tätigkeit des Vermittlungsausschusses hinreichend klar bestimmen.
b) In dem Gesetzgebungsverfahren betreffend das Steuerbereinigungsgesetz 1999 hätten die Maßstäbe des BVerfG-Urteils in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 berücksichtigt werden können. Das Urteil datiert vom 7. Dezember 1999. Am gleichen Tag hat das BVerfG eine ausführliche Pressemitteilung veröffentlicht (Pressemitteilung Nr. 134/99 vom 7. Dezember 1999, www.bverfg.de/pressemitteilungen/bvg134-99.html), in der die entscheidenden Auszüge aus den Urteilsgründen wiedergegeben werden. Dazu zählt u.a. die Passage, wonach der Vermittlungsausschuss eine Änderung, Ergänzung oder Streichung der vom Bundestag beschlossenen Vorschriften nur vorschlagen darf, wenn und soweit dieser Einigungsvorschlag im Rahmen des Anrufungsbegehrens und des ihm zugrunde liegenden Gesetzgebungsverfahrens verbleibt. Die Maßstäbe des BVerfG-Urteils in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 zu den Grenzen der Initiativbefugnisse des Vermittlungsausschusses hätten demnach bis zum 15. Dezember 1999, als der Vermittlungsausschuss seine Beschlussempfehlung zum Steuerbereinigungsgesetz 1999 abgegeben hat, bzw. bis zu den Folgetagen, als Bundestag und Bundesrat der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses zugestimmt haben, von den an der Gesetzgebung Beteiligten noch berücksichtigt werden können.
Soweit das FA meint, das BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 sei für die Evidenz des im Streitfall in Rede stehenden Verfassungsverstoßes nicht maßgeblich, weil dem Tätigwerden des Vermittlungsausschusses im Urteilsfall ein sog. "offenes Anrufungsbegehren" zugrunde gelegen hatte, in welchem ein konkretes Vermittlungsbegehren nicht formuliert worden sei, ist dem nicht zuzustimmen. Denn in dem BVerfG-Urteil in BVerfGE 101, 297, BStBl II 2000, 162 (und in der Pressemitteilung Nr. 134/99 des BVerfG vom 7. Dezember 1999) wird ausdrücklich und unmissverständlich der "Rahmen des Anrufungsbegehrens" als Grenze für die Vermittlungstätigkeit hervorgehoben. Dass diese Grenze im Urteilsfall selbst nicht relevant geworden war, ist demgegenüber nicht von entscheidender Bedeutung.
D. Ob und inwieweit § 54 Abs. 9 Satz 1 KStG 1999, wie von der Klägerin gerügt, auch unter dem Gesichtspunkt eines Verstoßes gegen das sog. Rückwirkungsverbot verfassungswidrig ist, lässt der Senat offen. Die zuvor dargestellte Unvereinbarkeit mit Art. 20 Abs. 3 und Art. 76 Abs. 1 GG reicht aus, um die Vorlage zu rechtfertigen. Die Beurteilung sonstiger verfassungsrechtlicher Fragen und Vorfragen obliegt allein dem BVerfG; sie gehört nicht zur Begründung des Vorlagebeschlusses (vgl. BVerfG-Beschlüsse vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 133, BStBl II 1995, 655, 660; in BGBl I 2008, 481, dort unter III. der Gründe).
Fundstellen
Haufe-Index 2080467 |
BFH/NV 2009, 89 |
BFH/PR 2009, 56 |
BStBl II 2010, 63 |
BFHE 2008, 537 |
BFHE 222, 537 |
DB 2008, 2734 |
DStR 2008, 2415 |
DStRE 2008, 1536 |
HFR 2009, 154 |
FR 2009, 477 |
NWB 2008, 4701 |
StuB 2008, 930 |
KÖSDI 2009, 16315 |
GmbHR 2009, 156 |
NWB direkt 2008, 8 |
StX 2008, 777 |
Ubg 2009, 64 |