Entscheidungsstichwort (Thema)
Gehörsverletzung; Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung
Leitsatz (NV)
1. Mit dem Vortrag, das FG habe es zu Unrecht zu Lasten der Klägerin gewertet, dass diese keine Bescheinigung ihres früheren Ehemannes über die Weiterleitung des Kindergeldes an das Kind habe beibringen können, wird nicht die Verletzung des rechtlichen Gehörs, sondern ein (angeblicher) materiell-rechtlicher Fehler gerügt, der nicht zur Zulassung der Revision führt.
2. Die Rüge, das FG habe wegen einer unterbliebenen Zeugeneinvernahme seine Pflicht zur Sachaufklärung verletzt, erfordert einen substantiierten Vortrag dazu, welche konkreten Tatsachen das FG hätte aufklären und welche Beweise es von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich für das FG die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sie auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätten führen können.
Normenkette
AO § 37 Abs. 2; GG Art. 103 Abs. 1; FGO § 76 Abs. 1, § 96 Abs. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 3 S. 3
Verfahrensgang
Sächsisches FG (Urteil vom 11.03.2008; Aktenzeichen 5 K 1603/05 (Kg)) |
Tatbestand
I. Die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) bezog für ihren am … 1984 geborenen Sohn D Kindergeld. Auf ihre Weisung hin wurden die Zahlungen ab August 2001 auf ein Bankkonto des D geleistet. Im April 2003 verließ die Klägerin den gemeinsamen Haushalt. D wohnte beim Ehemann der Klägerin, von dem diese später geschieden wurde.
Die Beklagte und Beschwerdegegnerin (Familienkasse) hob mit Bescheid vom 8. Juli 2005 die Festsetzung des Kindergeldes ab Dezember 2002 auf und forderte von der Klägerin einen Betrag von 4 158 € zurück. Der hiergegen gerichtete Einspruch hatte keinen Erfolg.
Im anschließenden Klageverfahren half die Familienkasse dem Klagebegehren zum Teil ab und hob die Kindergeldfestsetzung erst ab Mai 2003 auf. Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab, die sich nunmehr gegen den Änderungsbescheid richtete. Es führte u.a. aus, die Klägerin sei trotz der Überweisung der Kindergeldzahlungen auf ein Konto von D Leistungsempfängerin i.S. von § 37 Abs. 2 der Abgabenordnung, da sie selbst dieses Konto benannt habe. Sie könne auch nicht einwenden, sie habe das erhaltene Kindergeld an den geschiedenen Ehemann weitergeleitet, denn dieser habe nicht bestätigt, dass er die Beträge erhalten habe und seinen Anspruch als erfüllt ansehe (vgl. Dienstanweisung zur Durchführung des steuerlichen Familienleistungsausgleichs nach dem X. Abschnitt des Einkommensteuergesetzes 64.4 Abs. 4 bis 8).
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde macht die Klägerin Verfahrensfehler geltend (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG habe ihren Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt. Es habe in den Urteilsgründen ausgeführt, sie, die Klägerin, habe ausreichend Gelegenheit gehabt, eine Weiterleitungsbestätigung beizubringen. In der mündlichen Verhandlung habe sich herausgestellt, dass es problematisch sein würde, eine solche Bestätigung vom geschiedenen Ehemann zu erhalten, dennoch habe das FG keine weitere Fristverlängerung gewährt. Das FG habe selbst den früheren Ehemann dazu bewegen wollen, die Bescheinigung auszustellen, dies sei jedoch nicht gelungen. Ihr, der Klägerin, könne nicht angelastet werden, dass sie die Weiterleitungsbestätigung nicht habe vorlegen können. Ihre entsprechenden Bemühungen habe sie in ausreichendem Maße nachgewiesen. Darüber hinaus sei das FG seiner Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO) nicht nachgekommen, denn es habe den geschiedenen Ehemann nicht von Amts wegen angehört.
Entscheidungsgründe
II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg und wird durch Beschluss zurückgewiesen (§ 116 Abs. 5 Satz 1 FGO). Dabei kann dahinstehen, ob die Beschwerdebegründung den Darlegungserfordernissen des § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO genügt. Die Beschwerde ist zumindest unbegründet. Die geltend gemachten Verfahrensmängel liegen nicht vor.
1. Das FG hat das rechtliche Gehör der Klägerin nicht verletzt.
a) Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes, § 96 Abs. 2 FGO) verpflichtet das FG, die Beteiligten über den Verfahrensstoff zu informieren und ihnen Gelegenheit zur Äußerung zu geben, ihre Ausführungen zur Kenntnis zu nehmen, in Erwägung zu ziehen und sich mit dem entscheidungserheblichen Kern ihres Vorbringens auseinanderzusetzen. Das rechtliche Gehör ist erst dann verletzt, wenn sich aus den besonderen Umständen des Einzelfalls deutlich ergibt, dass das Gericht Vorbringen entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei seiner Entscheidung ersichtlich nicht in Erwägung gezogen hat (z.B. Senatsbeschluss vom 27. Juli 2007 III S 8/07, BFH/NV 2007, 2135). Die Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet nicht, dass das FG den Kläger "erhören", sich also seinen rechtlichen Ansichten anschließen müsste (Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 26. November 2007 VIII B 121/07, BFH/NV 2008, 397).
b) Die Klägerin sieht eine Gehörsverletzung darin, dass das FG es zu ihrem Nachteil gewertet hat, dass sie keine Weiterleitungsbestätigung ihres geschiedenen Ehemannes beibringen konnte, obwohl ihre entsprechenden Bemühungen bekannt gewesen seien und obwohl sich das Gericht selbst dafür habe einsetzen wollen, dass der frühere Ehemann eine solche Bestätigung ausstelle. Damit macht sie jedoch keinen Verfahrensmangel geltend, vielmehr rügt sie einen (angeblichen) materiell-rechtlichen Fehler der angefochtenen FG-Entscheidung. Derartige Einwände rechtfertigen jedoch grundsätzlich nicht die Zulassung der Revision (vgl. z.B. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 24, m.w.N. aus der Rechtsprechung des BFH).
c) Die Rüge, das FG habe das rechtliche Gehör verletzt, weil es keine weitere Fristverlängerung zur Vorlage einer Weiterleitungsbestätigung gewährt habe, rechtfertigt schon deshalb nicht die Zulassung der Revision, weil die Klägerin selbst lt. Protokoll über die mündliche Verhandlung das Gericht gebeten
hat, ein Urteil zu fällen, das sie ggf. für Regresszwecke verwenden könne.
2. Mit dem Vorbringen, das FG hätte ihren früheren Ehemann von Amts wegen anhören, d.h. als Zeugen vernehmen müssen, beanstandet die Klägerin die Verletzung der Pflicht zur Sachaufklärung (§ 76 Abs. 1 FGO). Insoweit hätte es jedoch eines substantiierten Vortrags bedurft, welche konkreten Tatsachen das FG hätte aufklären und welche Beweise es von Amts wegen hätte erheben müssen, aus welchen Gründen sich für das FG die Notwendigkeit einer Beweiserhebung auch ohne Antrag hätte aufdrängen müssen, welche entscheidungserheblichen Tatsachen sich bei einer Beweisaufnahme voraussichtlich ergeben hätten und inwiefern sie auf der Grundlage des materiell-rechtlichen Standpunkts des FG zu einer anderen Entscheidung hätten führen können (z.B. BFH-Beschlüsse vom 10. April 2006 X B 162/05, BFH/NV 2006, 1332; vom 22. Mai 2007 X B 143/06, BFH/NV 2007, 1692; Gräber/Ruban, a.a.O., § 120 Rz 70).
Fundstellen