Entscheidungsstichwort (Thema)
Vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem ,,negativen Gewinnfeststellungsbescheid"
Leitsatz (NV)
1. Vorläufiger Rechtsschutz gegen die Ablehnung eines Antrags auf Erlaß eines Gewinn-(Verlust-)Feststellungsbescheids kann nur im Wege der Aussetzung der Vollziehung (§ 69 Abs. 3 FGO) gewährt werden.
2. War das FG der Auffassung, daß vorläufiger Rechtsschutz in derartigen Fällen durch einstweilige Anordnung (§ 114 Abs. 1 FGO) gewährt werden kann und hat es den Erlaß einer einstweiligen Anordnung wegen Fehlens eines Anordnungsgrundes durch Beschluß abgelehnt, so ist auf eine entsprechende Beschwerde dieser Beschluß aufzuheben und die Sache zur erneuten Prüfung an das FG zurückzuverweisen.
Normenkette
FGO § 69 Abs. 3, § 114 Abs. 1
Tatbestand
Die Antragstellerin und Beschwerdeführerin (Antragstellerin), eine KG, betreibt einen . . .handel. Der Antragsgegner und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) lehnte die für 1982 beantragte Feststellung von Verlusten im Wege der einheitlichen Gewinnfeststellung ab, weil die Antragstellerin nicht in Gewinnerzielungsabsicht tätig gewesen sei und deswegen keinen Gewerbebetrieb unterhalten habe. Gegen diesen Bescheid erhob die Antragstellerin Einspruch. Außerdem beantragte sie beim Finanzgericht (FG) den Erlaß einer einstweiligen Anordnung mit dem Inhalt, daß die von ihr erwirtschafteten Verluste bei den Einkommensteuerveranlagungen ihrer Gesellschafter bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache zu berücksichtigen seien. Das FG wies diesen Antrag zurück, weil eine einstweilige Anordnung gemäß § 114 Abs. 1 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) nur aus besonderem Grunde gewährt werden könne, ein derartiger Grund von der Antragstellerin aber nicht glaubhaft gemacht worden sei; Vermögensnachteile aus höheren Einkommensteuerzahlungen stellten keinen ausreichenden Anordnungsgrund dar.
Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Antragstellerin.
Entscheidungsgründe
Auf diese Beschwerde muß der angefochtene Beschluß des FG aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung zurückverwiesen werden.
Der Senat ist bisher davon ausgegangen, daß vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Gewinnfeststellungsbescheid, wie er zum Nachteil der Antragstellerin ergangen ist, mittels einstweiliger Anordnung gewährt wird (Beschluß vom 10. November 1977 IV B 33-34/76, BFHE 123, 412, BStBl II 1978, 15). Der I. und der VIII. Senat des Bundesfinanzhofs (BFH) haben sich dem angeschlossen (Beschlüsse vom 17. Oktober 1979 I S 9/78, BFHE 129, 289, BStBl II 1980, 212; vom 12. April 1984 VIII B 136/83, nicht veröffentlicht - NV -). Nach erneuter rechtlicher Prüfung ist der Senat jedoch zu der Auffassung gelangt, daß vorläufiger Rechtsschutz in einem derartigen Fall mittels Aussetzung der Vollziehung gewährt werden müsse; er hat die Rechtsfrage deswegen dem Großen Senat des BHF zur Entscheidung vorgelegt. Der Große Senat des BFH hat durch Beschluß vom 14. April 1987 GrS 2/85 (BFHE 149, 493, BStBl II 1987, 637) entschieden, daß vorläufiger Rechtsschutz gegenüber einem negativen Gewinnfeststellungsbescheid nicht durch Erlaß einer einstweiligen Anordnung, sondern im Wege der Aussetzung der Vollziehung gewährt wird. In der Entscheidungsformel sei in einem solchen Falle auszusprechen, die Vollziehung des angefochtenen Bescheides werde mit der Maßgabe ausgesetzt, daß vorläufig bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Hauptverfahren von einem Verlust von X DM auszugehen sei, der sich auf die Beteiligten wie folgt verteile: (Angabe der jeweiligen Daten).
Die angefochtene Entscheidung konnte dieser geänderten Auffassung nicht Rechnung tragen. Das FG hat das Begehren der Antragstellerin als Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung behandelt und hierüber durch Beschluß entschieden. Aufgrund der geänderten Rechtsprechung kann der Antrag der Antragstellerin aber trotz der abweichenden Bezeichnung wegen seines sachlichen Gehaltes als Antrag auf Aussetzung der Vollziehung angesehen werden (vgl. Gräber, Finanzgerichtsordnung, § 114 Anm. 1 D; Kopp, Verwaltungsgerichtsordnung, 6. Aufl., § 80 Anm. 11, jeweils mit Rechtsprechungsnachweisen). Es ist jedoch nicht möglich, die Entscheidung des FG in eine solche über einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung umzudeuten und hierüber im Beschwerdeverfahren zu entscheiden; dem steht schon Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Entlastung des Bundesfinanzhofs über die beschränkte Zulässigkeit von Beschwerden gegen Entscheidungen über die Aussetzung der Vollziehung entgegen (vgl. BFH-Beschluß vom 29. September 1982 VII B 27/82, NV). Der Senat muß die angefochtene Entscheidung deswegen aufheben und die Sache, wie auch im Beschwerdeverfahren zulässig, zur erneuten Entscheidung an das FG zurückverweisen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO).
Das FG wird nunmehr prüfen müssen, ob an der rechtlichen Beurteilung des FA, daß die Antragstellerin mangels Gewinnerzielungsabsicht keinen Gewerbebetrieb unterhielt und deshalb eine einheitliche Gewinnfeststellung nicht in Betracht kommt, ernstliche Zweifel bestehen oder ob die Vollziehung eine für den Betroffenen unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte mit sich bringt. Das FG wird bei der Beurteilung der Sachfrage den Beschluß des Großen Senats vom 25. Juni 1984 GrS 4/82 (BFHE 141, 405, BStBl II 1984, 751) berücksichtigen können.
Fundstellen
Haufe-Index 415344 |
BFH/NV 1989, 504 |