Entscheidungsstichwort (Thema)
Kein Abzug von Beiträgen zu einer privaten Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherung im Rahmen der Grenzbetragsprüfung bei gesetzlicher Rentenversicherung des Kindes; Ausgestaltung des Grenzbetrags als Freigrenze verfassungsgemäß
Leitsatz (NV)
1. Durch die Rechtsprechung ist geklärt, dass Beiträge des Kindes zu einer privaten Rentenversicherung bei der Grenzbetragsprüfung nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG nicht von dessen Einkünften und/oder Bezügen abzuziehen sind, wenn das Kind gesetzlich rentenversichert ist.
2. Das gilt jedenfalls bis Ende 2000 auch für diejenigen Beiträge, welche auf die Versicherung gegen Berufsunfähigkeit entfallen, da die gesetzliche Rentenversicherung bis Ende 2000 auch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit umfasste.
3. Die Ausgestaltung des Grenzbetrags nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Freigrenze ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (Bestätigung der bisherigen Rechtsprechung).
Normenkette
EStG § 32 Abs. 4 S. 2
Verfahrensgang
Tatbestand
I. Der im Jahr 1980 geborene Sohn der Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war nach seiner Ausbildung zum Bankkaufmann befristet von Juni 1999 bis 31. März 2000 bei einer Bank beschäftigt. Ab 1. April 2000 meldete er sich arbeitslos und bezog bis zum 30. April 2000 Arbeitslosengeld in Höhe von 1 189,50 DM. Am 1. Mai 2000 trat er seinen Grundwehrdienst an.
Die Beklagte und Revisionsbeklagte (Familienkasse) setzte durch Bescheid vom 17. Mai 2000 das für den Monat April 2000 beantragte Kindergeld auf 0 DM fest. Nach Ansicht der Familienkasse überschritten die Bezüge des Sohnes im April 2000 den (anteiligen) Jahresgrenzbetrag in Höhe von 1 125 DM (1/12 von 13 500 DM).
Die Familienkasse ermittelte die Bezüge des Sohnes zuletzt wie folgt:
Bezüge (Arbeitslosengeld) |
1 189,50 DM |
./. anteiliger Pauschbetrag 1/9 von 360 DM |
40,00 DM |
Summe |
1 149,50 DM |
anteiliger Jahresgrenzbetrag |
1 125,00 DM |
Differenz |
24,50 DM |
Die Klägerin ist dagegen der Auffassung, der anteilige Jahresgrenzbetrag sei unterschritten, weil der Sohn im April 2000 Beiträge zu Lebensversicherungen geleistet habe, die nach den Grundsätzen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02 (BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260) von den Bezügen abzusetzen seien. Die gesetzliche Rentenversicherung könne dem "Versorgungsauftrag für die Bevölkerung allein nicht mehr gerecht werden". Junge Menschen, wie ihr Sohn, seien daher "mit ihrem Einstieg in das Berufsleben darauf angewiesen, rechtzeitig für eine angemessene Deckung dieser Versorgungslücke zu sorgen". Diese lebensnotwendige Vorsorge für das Alter habe ihr Sohn durch Lebensversicherungsverträge auf das mögliche Rentenalter (1. Dezember 2040) abgeschlossen.
Nach den in der mündlichen Verhandlung vor dem Finanzgericht (FG) vorgelegten Versicherungsscheinen handelt es sich um eine Rentenversicherung mit Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung bei der X-Versicherung (Versicherungsbeginn 1. Juni 1999, Beginn der Rentenzahlung 1. Juni 2045; monatlicher Beitrag für die Hauptversicherung 28,93 DM, für die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung 21,07 DM) und eine Versicherung bei der Z Versicherung (Versicherungsbeginn 1. Dezember 1996, Ablauf der Versicherungsdauer 1. Dezember 2040). Nach einer Bescheinigung vom 20. Dezember 2000 leistete der Sohn im April 2000 an die X-Versicherung einen Beitrag von 49,17 DM und für eine weitere Lebensversicherung einen Beitrag von 52,45 DM. Laut Versicherungsschein der Z-Versicherung betrug der monatliche Beitrag 60 DM. Versicherungsnehmer war danach der Vater, versicherte Person der Sohn, der angeblich auch die Beiträge bezahlt hat.
Im finanzgerichtlichen Verfahren machte die Klägerin außerdem geltend, bei Nichtberücksichtigung der Versicherungsbeiträge sei aus verfassungsrechtlichen Gründen eine Härtefallregelung einzufordern, weil die Bezüge im April 2000 den maßgebenden Grenzbetrag nur geringfügig in Höhe von 24,50 DM überschritten.
Der Senat ließ die Revision der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des FG vom 15. Dezember 2005 11 K 401/00 (Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 1766) im Juni 2006 zu, weil zum damaligen Zeitpunkt noch nicht geklärt war, inwieweit es sich bei Versicherungsbeiträgen um unvermeidbare, den Sozialversicherungsbeiträgen gleichzustellende Aufwendungen im Sinne der Entscheidung des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 handelt, die nicht als kindergeldschädliche Einkünfte oder Bezüge des Kindes angesetzt werden dürfen.
Mit der Revision beantragt die Klägerin sinngemäß,
das FG-Urteil sowie die Einspruchsentscheidung aufzuheben und unter Änderung des Bescheids vom 17. Mai 2000 Kindergeld in Höhe von 270 DM (138,05 €) festzusetzen,
hilfsweise im Wege verfassungskonformer Auslegung das Kindergeld gekürzt um den den Grenzbetrag übersteigenden Betrag zu gewähren,
hilfsweise die Sache dem BVerfG zur Prüfung vorzulegen, ob die fehlende Härtefallregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 des Einkommensteuergesetzes (EStG) gegen Art. 2 Abs. 1, Art. 6 und Art. 20 des Grundgesetzes (GG) verstoße.
Die Familienkasse beantragt, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
II. Die Entscheidung ergeht gemäß § 126a der Finanzgerichtsordnung (FGO). Der Senat hält einstimmig die Revision für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich. Die Beteiligten sind vorher davon unterrichtet worden und hatten Gelegenheit zur Stellungnahme.
1. Das FG hat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Senats die Beiträge zu den Lebensversicherungen zu Recht nicht von den Bezügen des Sohnes abgezogen.
Der Senat hat nach Zulassung der Revision in mehreren Grundsatzurteilen entschieden, inwieweit steuerrechtlich den Sonderausgaben zuzuordnende Aufwendungen für Versicherungen entsprechend den Vorgaben des BVerfG in BVerfGE 112, 164, BFH/NV 2005, Beilage 3, 260 nicht als kindergeldschädliche Einkünfte oder Bezüge berücksichtigt werden dürfen.
Nach Auffassung des BVerfG dürfen Einkünfte unter bestimmten Voraussetzungen ebenso wie Bezüge nur berücksichtigt werden, soweit sie zur Bestreitung des Unterhalts und der Berufsausbildung bestimmt und geeignet sind. Nicht angesetzt werden dürfen danach jedenfalls diejenigen Beträge, die --wie die gesetzlichen Sozialversicherungsbeiträge-- von Gesetzes wegen dem Einkünfte erzielenden Kind oder dessen Eltern nicht zur Verfügung stehen.
Beiträge des Kindes zu einer freiwilligen gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung sowie unvermeidbare Beiträge für eine private Kranken- und Pflegeversicherung hat der Senat den Sozialversicherungsbeiträgen gleichgestellt und nicht in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einbezogen (Senatsurteile vom 16. November 2006 III R 74/05, BFHE 216, 69, BStBl II 2007, 527, und vom 14. Dezember 2006 III R 24/06, BFHE 216, 225, BStBl II 2007, 530). Beiträge zu privaten Krankenversicherungen hat er nur insoweit als unvermeidbar angesehen, als sie eine Mindestvorsorge für den Krankheitsfall ermöglichen, nicht dagegen Beiträge für eine private Zusatzkrankenversicherung (Einzelheiten s. Senatsurteil vom 26. September 2007 III R 4/07, BFHE 219, 112, BFH/NV 2008, 434).
Beiträge zu privaten Rentenversicherungen hat der Senat jedenfalls dann nicht als unvermeidbare Aufwendungen beurteilt, wenn das Kind --wie im Streitfall-- gesetzlich rentenversichert ist. Denn im Unterschied zu Krankenversicherungsbeiträgen dienen sie nicht der aktuellen Existenzsicherung des Kindes (Einzelheiten s. Senatsurteil in BFHE 219, 112, BFH/NV 2008, 434).
Diese zu Einkünften eines Kindes ergangene Rechtsprechung des Senats gilt ebenso für Bezüge wie das Arbeitslosengeld. Werden die Bezüge trotz bestehender gesetzlicher Rentenversicherung, die bis Ende 2000 auch eine Rente wegen Berufsunfähigkeit umfasste (vgl. § 43 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch i.d.F. vom 24. März 1999), für Beiträge zu freiwillig abgeschlossenen Renten- und Berufsunfähigkeitsversicherungen verwendet, sind sie in die Bemessungsgröße des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG einzubeziehen.
2. Die von der Klägerin gerügte fehlende Härtefallregelung in § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG ist nach der Überzeugung des Senats nicht verfassungswidrig, so dass eine verfassungskonforme Auslegung oder eine Anrufung des BVerfG nach Art. 100 Abs. 1 GG ausscheidet.
Die Ausgestaltung des Grenzbetrages nach § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG als Freigrenze ist nach der Rechtsprechung des VI. und des VIII. Senats des Bundesfinanzhofs (BFH) verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (z.B. Urteile vom 21. Juli 2000 VI R 153/99, BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566; vom 25. Mai 2004 VIII R 66/99, BFH/NV 2005, 24, und vom 13. Juli 2004 VIII R 20/02, BFH/NV 2005, 36, jeweils m.w.N.). Der Senat hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen und in mehreren Verfahren die Zulassung der Revision mangels grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache abgelehnt (zuletzt Beschluss vom 10. August 2007 III B 96/06, BFH/NV 2007, 2274, m.w.N.). Zur Begründung im Einzelnen nimmt der Senat auf das BFH-Urteil in BFHE 192, 316, BStBl II 2000, 566 Bezug.
Fundstellen
BFH/NV 2008, 1821 |
HFR 2008, 1040 |
NWB 2008, 12 |
NWB 2008, 4463 |
EStB 2008, 395 |
StX 2008, 729 |
WISO-SteuerBrief 2008, 1 |