Entscheidungsstichwort (Thema)
Verfahrensmangel durch Übergehen eines Beweisantrags; doppelte Haushaltsführung
Leitsatz (NV)
1. Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das angebotene Beweismittel für die zu treffende Entscheidung untauglich ist, wenn es auf die Beweistatsache unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des FG nicht ankommt oder wenn die Beweistatsache als wahr unterstellt wird.
2. Ob die außerhalb des Beschäftigungsorts liegende Wohnung des Arbeitnehmers als dessen Lebensmittelpunkt anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen.
Normenkette
FGO § 76 Abs. 1, § 81 Abs. 1 S. 2, § 115 Abs. 2 Nr. 3, § 116 Abs. 6; EStG § 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 5
Verfahrensgang
FG Nürnberg (Urteil vom 08.11.2007; Aktenzeichen VI 213/2006) |
Tatbestand
I. Die Beteiligten stritten im finanzgerichtlichen Verfahren um die einkommensteuerliche Berücksichtigung von Kosten einer doppelten Haushaltsführung als Werbungskosten.
Die aus X in Sachsen stammende Klägerin arbeitete seit dem Jahr 2001 in E. Sie wohnte dort mit ihrer am … 2002 geborenen Tochter zunächst in einer möblierten Wohnung (etwa 60 qm) in der …Straße in B. Seit … März 2003 war dort auch der Lebensgefährte der Klägerin und Vater der Tochter der Klägerin gemeldet. Am 1. August 2004 bezogen die Klägerin und ihr Lebensgefährte eine größere unmöblierte Wohnung (etwa 80 qm) in B. Die Klägerin war zu diesem Zeitpunkt mit ihrem am … 2005 geborenen zweiten Kind schwanger.
Die Klägerin gab in der Einkommensteuererklärung für das Jahr 2004 (Streitjahr) als Wohnort X an und machte für die in B unterhaltene Wohnung Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung als Werbungskosten geltend.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) ließ die Kosten unberücksichtigt. Das FA wies zur Begründung darauf hin, dass die Klägerin im Jahr 2004 eine größere Wohnung bezogen und dafür umfangreiche Aufwendungen getätigt habe, dass auch ihr Lebensgefährte dort anwesend gewesen sei, so dass daraus geschlossen werden müsse, dass der Lebensmittelpunkt der Klägerin in B sei.
Die Klägerin berief sich im Einspruchs- und Klageverfahren darauf, dass sich ihr Lebensmittelpunkt auch im Jahr 2004 in X befunden habe. Dort habe sie eine eingerichtete Wohnung unterhalten, die mit 96 qm auch größer sei als die neue Wohnung in B. Sie bewerbe sich weiterhin laufend in Sachsen und Südbrandenburg um Arbeitsplätze, habe dort bisher allerdings nichts finden können. Sie sei regelmäßig fast jedes Wochenende mit dem eigenen Auto oder dem ihres Lebensgefährten nachhause gefahren. Sie sei in der dortigen örtlichen Gemeinschaft verwurzelt, habe Kontakt zu den Patenkindern, Verwandten, Schulkameraden und Freunden, organisiere Treffen, nehme an Dorfclubaktivitäten und Straßenfesten gemeinsam mit den Nachbarn teil, habe dort auch ihr Wahlrecht ausgeübt und Ärzte besucht. Auch ihr Lebensgefährte habe dort seinen Lebensmittelpunkt.
Die Klägerin hat für ihre vorstehenden Behauptungen mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2006 Beweis angeboten durch Vernehmung namentlich benannter Zeugen unter Nennung ladungsfähiger Anschriften. Ausweislich der Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung beantragte die Klägerin in der mündlichen Verhandlung unter Bezugnahme auf den Schriftsatz vom 16. Oktober 2006 hierüber Beweis zu erheben.
Das Finanzgericht (FG) wies in der Sitzung der mündlichen Verhandlung darauf hin, dass es den Sachvortrag bezüglich der Beziehungen und Bindungen, die die Klägerin zu X unterhalte, nicht anzweifele und wies die Klage am Ende der Sitzung ohne weitere Beweiserhebung ab. § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 des Einkommensteuergesetzes (EStG) berücksichtige Kosten einer doppelten Haushaltsführung, um auf die Verwurzelung eines Arbeitnehmers mit seinem bisherigen Lebensmittelpunkt Rücksicht zu nehmen. Ein verheirateter Arbeitnehmer habe grundsätzlich am Aufenthalts- und Wohnort der Familie seinen Lebensmittelpunkt. Nichts anderes könne bei unverheirateten Eltern mit minderjährigen Kindern gelten. Mit Weiterführung des ursprünglichen Familienhaushalts, der nicht mehr den Lebensmittelpunkt darstelle, werde die doppelte Haushaltsführung beendet. Dies bedeute für den Streitfall, dass die doppelte Haushaltsführung der Klägerin schon mit der Geburt ihrer Tochter am … 2002 geendet habe. Der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen habe sich von X nach B verschoben. Es komme nicht darauf an, dass der Kindesvater nachgezogen sei und die Klägerin eine größere nicht möblierte Wohnung bezogen habe; ebenso komme es nicht darauf an, dass die Klägerin zur Geburt ihres zweiten Kindes nach X zurückgekehrt sei. Allerdings bestätige der Umstand, dass der Lebensgefährte ab März 2003 auch in der Wohnung der Klägerin gemeldet gewesen sei und eine Arbeit in der Nähe von B aufgenommen habe, sowie die Tatsache, dass zum 1. August 2004 eine größere Wohnung angemietet worden sei, dass sich der Lebensmittelpunkt der Klägerin und ihres Lebensgefährten zwischenzeitlich nach B verschoben habe. Es sei durchaus glaubhaft, dass die Klägerin und ihr Partner noch mit der alten Heimat verwurzelt seien und dort regelmäßig Verwandte und Freunde besuchten. Dies ändere aber nichts daran, dass sich der Lebensmittelpunkt der Klägerin schon vor dem Streitjahr nach B verlagert habe. Aufenthalts- und Wohnort der Familie der Klägerin sei seit der Geburt der Tochter B.
Mit der Nichtzulassungsbeschwerde rügt die Klägerin unter anderem eine unzureichende Sachaufklärung und eine trotz Antrag unterbliebene Beweiserhebung dazu, dass auch der Lebensmittelpunkt des Lebensgefährten der Klägerin X gewesen sei. Die Zeugenaussage hätte bestätigt, dass sich der Lebensgefährte der Klägerin nicht ständig in B aufgehalten habe, dass dessen Lebensmittelpunkt in X gewesen sei und dass er sich dort überwiegend aufgehalten habe.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde ist begründet. Die Vorentscheidung beruht auf einem Verfahrensmangel i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Das angefochtene finanzgerichtliche Urteil wird gemäß § 116 Abs. 6 FGO aufgehoben und der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.
1. Das FG hat den entscheidungserheblichen Sachverhalt nicht vollständig aufgeklärt und damit gegen § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO verstoßen.
a) Nach § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO hat das FG den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen und gemäß § 81 Abs. 1 Satz 2 FGO die erforderlichen Beweise zu erheben. Dabei hat es den entscheidungserheblichen Sachverhalt so vollständig wie möglich und bis zur Grenze des Zumutbaren, d.h. unter Ausnutzung aller verfügbaren Beweismittel aufzuklären. Ein ordnungsgemäß gestellter Beweisantrag darf nur unberücksichtigt bleiben, wenn das Beweismittel für die zu treffende Entscheidung unerheblich, das Beweismittel unerreichbar bzw. unzulässig oder absolut untauglich ist oder wenn die in Frage stehende Tatsache zugunsten des Beweisführenden als wahr unterstellt werden kann (vgl. Senatsentscheidungen vom 13. November 2007 VI B 100/07, BFH/NV 2008, 219; vom 1. Februar 2007 VI B 124/06, BFH/NV 2007, 956; vom 16. November 2005 VI R 71/99, BFH/NV 2006, 753, jeweils m.w.N.).
b) Nach diesem Rechtsmaßstab hätte das FG den angebotenen Zeugenbeweis zu der Frage erheben müssen, ob die Klägerin und deren Lebensgefährte ihren Lebensmittelpunkt noch in X hatten.
aa) Eine doppelte Haushaltsführung liegt nach § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am Beschäftigungsort wohnt. Zwischen dem Wohnen in einer Zweitwohnung am Beschäftigungsort und dem Unterhalten eines eigenen Hausstandes außerhalb dieses Ortes ist zu unterscheiden. Mit dem "Hausstand" ist der Ersthaushalt (Hauptwohnung) umschrieben, an dem sich der Arbeitnehmer --abgesehen von den Zeiten der Arbeitstätigkeit und ggf. Urlaubsfahrten-- regelmäßig aufhält, den er fortwährend nutzt und von dem aus er sein Privatleben führt, also seinen Lebensmittelpunkt hat. Das Vorhalten einer Wohnung außerhalb des Beschäftigungsorts für gelegentliche Besuche oder für Ferienaufenthalte ist dagegen nicht als Unterhalten eines Hausstandes zu werten.
bb) Ob die außerhalb des Beschäftigungsorts liegende Wohnung des Arbeitnehmers als dessen Lebensmittelpunkt anzusehen ist und deshalb seinen Hausstand darstellt, ist anhand einer Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (ständige Rechtsprechung, vgl. Senatsurteile vom 22. Februar 2001 VI R 192/97, BFH/NV 2001, 1111; vom 9. August 2007 VI R 10/06, BStBl II 2007, 820, jeweils m.w.N.). Bei nicht verheirateten Arbeitnehmern spricht, je länger die Auswärtstätigkeit dauert, immer mehr dafür, dass die eigentliche Haushaltsführung und auch der Mittelpunkt der Lebensinteressen an den Beschäftigungsort verlegt wurden und die Heimatwohnung nur noch für Besuchszwecke vorgehalten wird (vgl. BFH-Urteil vom 10. Februar 2000 VI R 60/98, BFH/NV 2000, 949). Eine besondere Prüfung, ob der Lebensmittelpunkt gewechselt hat, ist daher angezeigt. Indizien können sein, wie oft und wie lange sich der Arbeitnehmer in der einen und der anderen Wohnung aufhält, wie beide Wohnungen ausgestattet und wie groß sie sind. Von Bedeutung sind auch die Dauer des Aufenthalts am Beschäftigungsort, die Entfernung beider Wohnungen sowie die Zahl der Heimfahrten. Erhebliches Gewicht hat ferner der Umstand, wo sich Bezugspersonen des Arbeitnehmers überwiegend aufhalten; dies gilt auch, soweit ein alleinstehender Arbeitnehmer mit einer Lebensgefährtin zusammenlebt (vgl. BFH-Urteil in BStBl II 2007, 820).
c) Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem FG hatte die Klägerin die Vernehmung ihres Lebensgefährten und weiterer Zeugen zu den Fragen beantragt, ob die Klägerin ihren Lebensmittelpunkt in X beibehalten und dort auch im Streitjahr gehabt habe und ob dies auch auf ihren Lebensgefährten zutreffe. Hierzu hat die Klägerin auch hinreichend substantiiert einzelne Indiztatsachen vorgetragen und unter Beweis gestellt. Das FG hat zu Unrecht diesen Beweis nicht erhoben. Es hätte dies insbesondere nicht mit der Begründung ablehnen dürfen, seitens des Gerichts werde nicht angezweifelt, dass die Klägerin Beziehungen und Bindungen zu X unterhalte. Denn damit blieb gerade die entscheidungserhebliche Frage ungeklärt, ob diese Beziehungen und Bindungen noch derart qualifiziert waren, dass sie die Würdigung rechtfertigen, die Klägerin habe ihren Lebensmittelpunkt in X beibehalten.
2. Die Klägerin hat ihr Rügerecht nicht verloren. Denn der gerügte Verfahrensverstoß ergab sich erst aus den Entscheidungsgründen selbst. Die rechtzeitige Rüge in der mündlichen Verhandlung war nicht möglich (BFH-Beschluss in BFH/NV 2008, 219, m.w.N.).
Fundstellen
Haufe-Index 2014926 |
BFH/NV 2008, 1475 |