Leitsatz (amtlich)
1. Die Ablehnung eines Antrags auf Erlaß von Steuerschulden ist nicht ermessenswidrig, wenn die Bestreitung des notwendigen Lebensunterhalts des Antragstellers unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Ehegatten nicht gefährdet ist.
2. Der Antragsteller kann sich in einem solchen Fall nicht darauf berufen, es müsse ihm so viel belassen werden, daß er zur Absicherung einer bescheidenen Lebensführung eine Versicherung über sofort fällige Leibrentenbezüge begründen könne.
Normenkette
AO 1977 § 227
Verfahrensgang
Tatbestand
Der Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) hatte wegen Ablehnung des Erlasses einer Einkommensteuerschuld in Höhe von 111 777 DM Klage beim Hessischen Finanzgericht (FG) erhoben. Diese Klage hatte keinen Erfolg. In dem (rechtskräftig gewordenen) Urteil hatte das FG folgendes festgestellt:
Der Kläger betrieb bis zum 31. März 1973 einen Groß- und Einzelhandel mit "Parfümerien", Toilettenartikeln, Frisiereinrichtungen, Reformwaren sowie einen Damen- und Herrenfriseursalon. Außerdem war er an einer KG beteiligt, die den Handel mit ... betrieb und die ihre gewerbliche Tätigkeit ebenfalls am 31. März 1973 eingestellt hatte. Der Kläger hat die Steuererklärungen für die Kalenderjahre 1969 und 1970 am 28. Mai 1973 abgegeben. Steuererklärungen für die Kalenderjahre 1971 bis 1973 hat er nicht eingereicht. Im Anschluß an eine vom 14. Juni 1973 bis 10. Januar 1974 beim Kläger durchgeführte Betriebsprüfung für die Jahre 1969 bis 1973 ergaben sich Steuernachzahlungen in Höhe von 111 777 DM (Einkommensteuer, Ergänzungsabgabe, Stabilitätszuschlag und Umsatzsteuer). Die Finanzbehörden hatten den Antrag auf Erlaß der Steuern abgelehnt. Das FG hatte die Entscheidungen der Finanzbehörde bestätigt. Es hielt die Ablehnung des Erlasses nicht für ermessensfehlerhaft. Insbesondere billigte das FG die Auffassung der Verwaltung, der notwendige Lebensunterhalt des Klägers sei jedenfalls unter Berücksichtigung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Ehefrau nicht gefährdet. In der Steuererklärung 1976 sei das Einkommen der Ehefrau aus Gewerbebetrieb mit 36 170 DM angegeben. Dabei seien ab August des Jahres 1976 negative Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung in Höhe von 3 751 DM für ein Grundstück abgesetzt, das die Ehefrau des Klägers zum Kaufpreis von 264 825 DM einschließlich Grunderwerbsteuer erworben habe. Außerdem hätten sich negative Einkünfte in Höhe von 4 367 DM aus Vermietung und Verpachtung für das eigene Grundstück des Klägers ergeben. Diese beruhten darauf, daß der Kläger im Jahre 1976 Modernisierungsaufwendungen in Höhe von insgesamt 50 403,88 DM vorgenommen habe, die auf zehn Jahre verteilt mit jeweils 5 040 DM abgeschrieben worden seien. Darüber hinaus habe der Kläger noch, wie sich aus den Einkommensteuererklärungen ergebe, einen Betrag von 20 620 DM an Bausparbeiträgen geleistet. Die Beträge zur Bestreitung dieser Aufwendungen habe der Kläger, da ihm praktisch kein eigenes Einkommen zur Verfügung gestanden habe, nur aus Zuwendungen seiner Ehefrau erhalten haben können. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt - FA -) sei deshalb ohne Ermessensverstoß davon ausgegangen, daß die Ehefrau des Klägers in der Lage gewesen sei, den Unterhalt des Klägers aus ihrem Einkommen zu bestreiten.
Mit Schreiben von 23. Juni 1981 hat der Kläger für ein (erneutes) Verfahren wegen Erlasses der rückständigen Steuern beim FG beantragt, ihm Prozeßkostenhilfe zu bewilligen. Diesen Antrag hat das FG abgelehnt. Es hat sich zunächst auf sein rechtskräftiges Urteil bezogen und ausgeführt: Hinreichende Erfolgsaussichten könne die mit einer erneuten Klage angestrebte Rechtsverfolgung nur haben, wenn eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen des Klägers eingetreten wäre, die das Gericht in seiner Entscheidung vom 4. Dezember 1979 als maßgeblich zugrunde gelegt habe. Das sei aber nicht der Fall. Nach den gegenwärtigen Einkommensverhältnissen der Eheleute (Einkünfte der Ehefrau aus Gewerbebetrieb nach Einkommensteuererklärung 1980 = 29 560 DM) seien die Eheleute in der Lage gewesen, einen Betrag von 16 000 DM in Bausparverträgen anzulegen. Bei der im Verfahren wegen Prozeßkostenhilfe gebotenen summarischen Prüfung müsse davon ausgegangen werden, daß der Unterhalt des Klägers durch seine Ehefrau auch gegenwärtig gewährleistet sei.
Mit seiner Beschwerde macht der Kläger geltend, es müsse berücksichtigt werden, daß sich inzwischen die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) zu seinen Gunsten geändert habe. In seinem Urteil vom 29. April 1981 IV R 23/78 (BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726) habe der BFH ausgeführt, daß ein Erlaß der auf den Betriebsaufgabegewinn entfallenden Steuer aus persönlichen Billigkeitsgründen trotz vorhandenen Vermögens geboten sein könne, wenn ein alter, nicht mehr erwerbsfähiger Steuerpflichtiger seinen Gewerbetrieb aufgebe oder aufgrund tragischer Umstände aufzugeben gezwungen sei. Von der Steuer sei in einem solchen Fall so viel zu erlassen, daß es dem Steuerpflichtigen ermöglicht werde, eine Versicherung zu erwerben, die ihm für später eine bescheidene Lebensführung ermögliche. Damit habe der BFH Rechtsgrundsätze aufgestellt, die im bisherigen Verfahren noch in keiner Weise berücksichtigt worden seien.
Entscheidungsgründe
Die Beschwerde ist nicht begründet.
Die Prozeßkostenhilfe kann nach § 142 der Finanzgerichtsordnung (FGO) i. V. m. § 114 der Zivilprozeßordnung (ZPO) u. a. nur unter der Voraussetzung gewährt werden, daß die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Das FG ist zutreffend davon ausgegangen, daß diese Voraussetzungen hier nicht vorliegen.
Der Kläger beruft sich zu Unrecht auf das Urteil in BFHE 133, 489, BStBl II 1981, 726. Der hier vorliegende Sachverhalt weicht in einzelnen, für die Entscheidung erheblichen Beziehungen wesentlich von dem ab, den der IV. Senat zu beurteilen hatte.
Im Zusammenhang mit der Frage, ob die Existenz eines Steuerpflichtigen gefährdet ist, hat der IV. Senat zutreffend auf dessen Vermögenslage entscheidend abgestellt. Er hat ausgeführt, daß grundsätzlich der Steuerpflichtige gehalten sei, zur Zahlung seiner Steuerschulden alle verfügbaren Mittel einzusetzen und auch seine Vermögenssubstanz anzugreifen. Davon ausgenommen seien allerdings die Fälle, in denen die Verwertung der Vermögenssubstanz den Ruin des Steuerpflichtigen bedeuten würde. Das gelte insbesondere für alte, nicht mehr erwerbsfähige Steuerpflichtige. Ihnen müsse wenigstens so viel von ihrem Vermögen belassen werden, daß sie damit für den Rest ihres Lebens eine bescheidene Lebensführung bestreiten könnten. In diesem Zusammenhang könne es als brauchbare Erwägung angesehen werden, einem alten und nicht mehr erwerbsfähigen Steuerpflichtigen von seinem Vermögen so viel zu belassen, daß er in der Lage sei, eine Versicherung über sofort fällige Leibrentenbezüge gegen eine Einmalprämie abzuschließen, und zwar in einer Höhe, die ihm die Möglichkeit einer bescheidenen Lebensführung gestatte.
So liegen die Dinge im Streitfall nicht. Die Frage der Sicherung des notwendigen Lebensunterhalts kann nicht ohne Berücksichtigung der Grundsätze des Familienunterhaltsrechts beurteilt werden (BFH-Urteil vom 12. Februar 1964 I 345/60, Steuerrechtsprechung in Karteiform, Reichsabgabenordnung, § 131 n. F., Rechtsspruch 97). Insbesondere sind Ehegatten nach § 1360 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einander verpflichtet, durch ihre Arbeit und ihr Vermögen die Familie angemessen zu unterhalten. Der angemessene Unterhalt der Familie umfaßt alles, was nach den Verhältnissen der Ehegatten erforderlich ist, um die Kosten des Haushalts zu bestreiten und die persönlichen Bedürfnisse der Ehegatten und den Lebensbedarf der gemeinsamen unterhaltsberechtigten Kinder zu befriedigen (§ 1360 a Abs. 1 BGB). Im Streitfall hat das FG bei der Beurteilung der hinreichenden Erfolgsaussichten der erneut angestrengten Klage die Vermögensverhältnisse der Ehefrau des Klägers mitberücksichtigt. In diesem Zusammenhang erscheint von Bedeutung, daß nach den insoweit unbestrittenen Ausführungen des FG in der Einkommensteuererklärung der Eheleute für das Jahr 1980 die Einkünfte der Ehefrau aus Gewerbebetrieb mit 29 560 DM angegeben werden und daß die Eheleute in der Lage waren, von diesem Einkommen einen Betrag von 16 000 DM in Bausparverträgen anzulegen. Anders als in dem vom IV. Senat entschiedenen Fall war der Kläger mithin nicht darauf angewiesen, eine Versicherung über sofort fällige Leibrentenbezüge gegen eine Einmalprämie abzuschließen.
Fundstellen
Haufe-Index 74077 |
BStBl II 1982, 530 |
BFHE 1982, 410 |